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2020/22 Ausland Zum Unwillen von Islamisten stellte eine Fernsehserie während des Ramadan erstmals eine Jüdin ohne antisemitische Klischees dar

Tabubruch im Ramadan

Die saudische Fernsehserie »Umm Haroun« stellt eine jüdische Kranken­schwester im Kuwait der vierziger Jahre dar, ohne in anti­semitische Klischees zu verfallen. Den Muslimbrüdern nahestehende Gruppen riefen zum Boykott auf.

Libanon: Schlag für die Protestbewegung

Im Libanon rehabilitiert Corona korrupte Politiker und erstickt die Protestbewegung, die eine tiefgreifende Reform des politischen Systems gefordert hatte.

 

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(Beirut, Bildquelle: Wallpaper)

 

Kaum ein Land der Welt reagierte so schnell und besonnen auf die Corona-Pandemie wie der Libanon. Das scheint erstaunlich. Denn das Land zeichnete sich in den vergangenen Jahren durch weitgehendes Staatsversagen aus. Doch die Regierung hat gute Gründe ausnahmsweise mal geeint zu handeln – die Ausgangssperre könnte ihre Köpfe retten. Denn mit Corona endeten auch die Massendemonstrationen gegen das politische System.

Fast einen Monat bevor viele europäische Länder landesweite Maßnahmen verhängten, verfügte der libanesische Bildungsminister die Schließung aller Bildungseinrichtungen. Das war am 28. Februar – fünf Tage zuvor hatte Italien erst angefangen, einzelne Gemeinden abzuriegeln. Dabei gab es im Libanon zu dem Zeitpunkt erst vier bestätigte Corona-Fälle.

So manchem erschien das als Überreaktion. Einige Universitäten protestierten. Aber wer die Nachrichten in der Region verfolgte und nicht den offiziellen Verlautbarungen glaubte, konnte die Katastrophe heranrollen sehen – und wissen, dass diese zuerst die Länder treffen würde, die enge Beziehungen zum Iran unterhielten.

Eng mit dem Iran verbandelt

Offiziell war zwar noch nicht klar, dass der Iran nach Ostasien der zweite große Krisenherd werden würde. Erst am 20. Februar gab die Regierung dort bekannt, dass bei zwei Todesfällen in der heiligen Stadt Qom das Corona-Virus nachgewiesen worden war. Doch die iranische Opposition spielte schon seit drei Wochen Informationen in die sozialen Medien, dass sich Corona im Iran ausbreite. Vier Tage später bestritt der iranische Gesundheitsminister eine Krise, hustend und unter Schweißausbrüchen – er war längst erkrankt.

Der eng mit dem iranischen Regime verbandelten Regierung im Libanon war wohl sofort klar, dass dort im größten Maße vertuscht wurde. Anfang März verfügte sie sukzessive die Schließung von Kinos, Sportstätten, Clubs und Restaurants. Seitdem gilt eine nächtliche Ausgangssperre, tagsüber darf nur eingekauft werden, Helikopter fliegen über den Städten und fordern die Menschen auf, in ihren Wohnungen zu bleiben.

Die Regierung hatte gute Gründe für solch umfassende und frühe Maßnahmen. Die Schiiten im Libanon, rund ein Drittel der Bevölkerung, unterhalten traditionell enge Beziehungen zum Iran. Die erste libanesische Corona-Infizierte war eine Pilgerin, die aus Qom zurückkehrte. Politisch ist der Libanon, seit die Hisbollah in der Regierung sitzt, immer mehr zum Satelliten des Iran geworden.

Gesundheitssystem desolat

Eine Ausbreitung des Virus hätte im Libanon verheerende Folgen. Das öffentliche Gesundheitssystem ist wie alle staatlichen Leistungen desolat. Seit Jahren funktionieren nicht einmal mehr Stromversorgung und Müllabfuhr. Nur ein einziges öffentliches Krankenhaus hat das Equipment, um Covid19-Fälle zu behandeln.

Die Bevölkerung ist im Vergleich zur Region relativ alt mit einer deutlich höheren Lebenserwartung und sinkender Kinderzahl.

Geld um aufzurüsten hat der Staat nicht. Seit Monaten entwertet eine galoppierende Inflation täglich die libanesische Lira. Der Staat kann seit Anfang März seine Schulden nicht mehr bedienen und erklärte damit de-facto den Staatsbankrott.

Zudem ist die Bevölkerung im Vergleich zur Region relativ alt mit einer deutlich höheren Lebenserwartung und sinkender Kinderzahl. Größte Sorge bereitet die Angst vor einem Corona-Ausbruch in den Flüchtlingslagern. Mindestens 1,5 Millionen Flüchtlinge kamen in den vergangenen Jahren aus Syrien. Eine halbe Million Palästinenser leben schon in der vierten Generation in Lagern, ohne Anrecht auf reguläre Arbeit.

Ob es dort nicht schon längst zum Ausbruch gekommen ist, weiß man nicht. Viele syrische Flüchtlinge sind nicht registriert. Sie haben Angst abgeschoben zu werden. Geschichten kursieren, dass das Regime in Syrien Rückkehrer sofort inhaftiert und zu Tode foltert. Das Risiko an Covid19 zu sterben erscheint da kleiner, also lassen sie sich nicht testen.

Harter Schlag für die Protestbewegung

Nach dem, was man weiß, steht der Libanon bisher gut da. Es gab erst 20 Todesfälle. Nicht nur die Regierung hat sich zusammengerafft, um endlich mal zu handeln. Auch die libanesische Zivilgesellschaft mobilisiert enorme Kräfte, um dem Virus etwas entgegenzusetzen.

Die letzten Demonstrationen im Februar fanden schon vor den Maßnahmen mit Mundschutz und zwei Meter Abstand statt.

Das libanesische Rote Kreuz ist mit 12.000 ehrenamtlichen Helfern rund um die Uhr im Einsatz. Eine Textilfabrik begann sofort mit dem Nähen von Mundschutzmasken. Mehrere Firmen arbeiten an der Entwicklung von Beatmungsgeräten. Menschenrechtsaktivisten organisieren Spendensammlungen und Lebensmittelverteilung an die Armen. 

Gerade die Protestbewegung reagierte besonnen. Die letzten Demonstrationen im Februar fanden schon vor den Maßnahmen mit Mundschutz und zwei Meter Abstand statt. Seitdem mahnen Aktivisten in sozialen Medien zu Hause zu bleiben.

Doch die Ausgangssperre ist ein harter Rückschlag für die Bewegung, die in den letzten Monaten nicht weniger forderte als den Rücktritt aller Politiker und die Abschaffung von Taifiah, dem Konfessionalismus.

Im Libanon werden Ämter nach Religionszugehörigkeit vergeben und Abgeordnete entsprechend ins Parlament gewählt. Dafür gibt es einen festgelegten Schlüssel, der alle offiziell anerkannten 19 Religionen bzw. Konfessionen nach Größe berücksichtigt. Das Wahlsystem führt dazu, dass Parteien in erster Linie Politik für ihre Religionsgemeinschaft machen. Mandatsträger verteilen Pfründen an ihre Klientel, statt das Wohl des Landes im Auge zu haben, denn Anhänger über ihre Glaubensbrüder und -schwestern hinaus können sie kaum gewinnen.

Parteien, die sich überkonfessionell ausrichten, wie etwa die Kommunisten oder diverse Bürgerparteien, die in den vergangenen Jahren antraten, haben keine Chance. So erhielt die Liste Beirut Madinati (Beirut, meine Stadt), die sich Demokratie- und Umweltthemen verschrieben hat, zwar in der Kommunalwahl 2016 beirutweit 30 Prozent der Stimmen und in bürgerlichen Stadtteilen sogar 60 Prozent, erhielt aber keinen einzigen Sitz im Kommunalrat.

Gegen ein Staudammprojekt

In den vergangenen 15 Jahren gab es immer wieder Massenproteste, die so manche Regierung zum Rücktritt zwangen. Aber nie zuvor ging es dabei um das System als Ganzes. Die Proteste, die im September vergangenen Jahres begangen, forderten hingegen erstmals die Revolution. Konfessions- und schichtenübergreifend gingen Millionen Menschen in allen Städten des Landes auf die Straße – über Monate. Prominente schlossen sich an. Die Medien berichteten freundlich.

Doch dann kam Corona. Viele Aktivistengruppen versprachen, ihre politische Arbeit online fortzusetzen, aber inzwischen sind viele Websites eingeschlafen. Die Facebook-Seite Thawra TV (Revolutionsfernsehen) postet noch regelmäßig. Ein wichtiges Thema ist gerade das Staudamm-Projekt im Bisri-Tal. Mit 600 Millionen Dollar unterstützt die Weltbank die Flutung einer der wenigen unberührten Naturgebiete des Libanon. Das beliebte Ausflugsziel beheimatet alte Klöster, Tempel und eine römische Brücke.

Nebenbei verschafft die Ausgangssperre den Politikern eine Atempause in der Bankenkrise.

Dieses Tal zu fluten, wäre nicht nur ein unverzeihlicher Verlust, sondern erscheint auch unsinnig in einem Land mit unzähligen Flüssen und massiven Regenfällen im Winter – weit mehr Wasser als in Deutschland kommt in der Küstenregion vom Himmel. Der Libanon hat Wasser im Überschuss. Dass der Staat es nicht schafft, seine Bevölkerung damit zu versorgen, ist Staatsversagen, das ein Staudamm nicht reparieren würde.

Die Umwelt-Aktivisten beschuldigen die Regierung, das Millionenprojekt zu nutzen, um Haufenweise Geld für sich selbst abzuzweigen – wahrscheinlich zu Recht. Sie fürchten, dass mit den Arbeiten im Bisri-Tal begonnen wird, während der Protest durch die Ausgangssperre lahmgelegt ist.

Regierung profitiert

Ein Rückschlag für die Revolutionsbewegung ist auch die massive Präsenz der konfessionellen Parteien in der Corona-Krise. Allen voran die Hisbollah haben die alten Parteien Helfer-Teams zusammengestellt, die Essensrationen verteilen und die Ausgangssperre kontrollieren. Während alle anderen in ihren Wohnungen oder auf ihren Balkonen sitzen, fahren mit Parteifahnen beflaggte Pick-Up-Trucks durch die Straßen und agitieren durch Lautsprecher die Anwohner.

Nebenbei verschafft die Ausgangssperre den Politikern eine Atempause in der Bankenkrise: Die Banken dürfen nur noch zwei Stunden am Tag öffnen und damit ist das Abheben von Dollar vor dem Zusammenbruch stark eingeschränkt. 

Der eingesperrten Bevölkerung bleibt nur das Aufdrehen der Stereoanlangen auf ihren Balkonen – davon machen sie wie die Italiener reichlich Gebrauch – ganze Straßenzüge singen gemeinsam. Den Ruf nach Revolution hört man nur noch selten. Auf Twitter überwiegen nun die Stimmen, die der Regierung applaudieren und besonders dem Gesundheitsminister Hamad Hassan, der für die Hisbollah im Kabinett sitzt.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch

Region in Irakisch Kurdistan beendet weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Nach fünfzehn Jahren Kampagne erklärt eine Region in Irakisch Kurdistan sich für frei von Genitalverstümmelung (FGM)

Bildergebnis für fgm kurdistan

(Ein FGM freies Dorf in Kurdistan, Bild: Judit Neurink)

 

In der irakisch-kurdischen Region Garmian wurde seit über einem Jahr kein einziger Fall mehr bekannt, dass ein Mädchen genital verstümmelt worden sei. Noch vor 15 Jahren lag hier die Rate weiblicher Genitalverstümmelung dort bei 80 Prozent. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg der Aufklärungskampagne, die die irakisch-deutsche Organisation Wadi dort seit 15 Jahren bestreitet. Es ist sogar fast einzigartig: 

Am 6. Februar, dem internationalen Tag gegen FGM wurden die positiven Resultate in der Hauptstadt der Region vorgestellt:

“This historic moment will be celebrated on February 6, the world-wide day against FGM, in the capital of Garmiyan,” WADI said in a press statement.

“The whole campaign started in 2004 in Garmiyan and mainly because of hard work and awareness-raising, attitudes there changed,” WADI official Thomas von der Osten-Sacken told Kurdistan 24.

However, he added that in some regions near Erbil and Rania there are still FGM cases being recorded. “Although it is declining everywhere, luckily. Including in Halabja. But this relates [the decline] a lot what is done against it.”

From its offices in Sulaimani, workers from WADI have tirelessly worked with residents, authorities, and religious leaders that have been willing to speak to them. They have also made hundreds of trips to rural areas where FGM is most common to speak to villagers and give classes and presentations to educate women and local officials on the grave emotional trauma and serious health risks it poses.

In vielen Ländern Afrikas versuchen NGOs, manche mit großen UN- oder EU-finanzierten Programmen, seit Jahrzehnten weibliche Genitalverstümmelung zu bekämpfen. In einigen Ländern gibt es nennenswerte Rückgänge, in den meisten recht geringe. Seit Jahrzehnten wird auf Konferenzen diskutiert: Wie schaffen wir es FGM (female genital mutilation) in einer Generation abzuschaffen? Dass es nicht schneller geht, ist jedem klar. Denn es sind oft die Großmütter, die darauf bestehen. Sie müssen vom Gegenteil überzeugt werden, oder es muss eine neue Generation Großmütter eine andere Meinung haben.

Den einzig bekannten und untersuchten Fall einer kompletten Aufgabe der Praxis in rund 20 Jahren gab es bei einem Beduinen-Stamm in Israel.

Gründe für den Erfolg

Zum Erfolg der Frauen-Teams von Wadi haben meines Erachtens drei Dinge beigetragen. Von Anfang an haben die kurdischen Frauen die Führung übernommen. Gemeinsam mit verschiedenen Frauenorganisationen konnte Wadi 2011 die Parlamentarierinnen gewinnen, eine Gesetzvorlage einzubringen, die häusliche Gewalt mit expliziter Nennung von weiblicher Genitalverstümmelung unter Strafe stellt. Es war die erste Gesetzesvorlage, die nicht von der Regierung eingebracht wurde. Als das Parlament dem Gesetzentwurf zustimmte, war somit auch ein wichtiger Schritt in der noch jungen Demokratie genommen.

Dass irakisch-Kurdistan eine junge Demokratie ist mit einer lebendigen Zivilgesellschaft ist sicherlich ein weiterer Grund für den schnellen Erfolg der Aufklärungskampagne. Die Menschen wollen Veränderung. Nach der Befreiung von der Diktatur Saddam Husseins, den Milizen im innerkurdischen Bürgerkrieg, dem Islamismus wollen sie auch die Befreiung der Frau und die Befreiung von der Repression in der Familie.

Gewalttätige Gesellschaften

Wadi hat diese Verbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher Themen von Anfang an zusammengedacht – und das ist womöglich der wichtigste Grund für den Erfolg der Kampagne. Die Abschaffung von weiblicher Genitalverstümmelung, Gleichberechtigung von Männer und Frauen, demokratische Mitbestimmung, gewaltfreie Erziehung von Kindern und auch das Bewusstsein, dass man die Natur schützen muss, gehören zusammen. Was das genau bedeutet versuche ich auch in diesem Interview mit Radio Dreyeckland etwas näher zu erläutern. 

Die Gesellschaften im Nahen Osten sind unglaublich gewalttätige Gesellschaften, auch wenn die Kriminalitätsstatistiken niedrig sind. Repressive Folterregime, schlagende Patriarchen, die keine Widerworte erlauben, auch von ihren Söhnen nicht, Ehrenmorde, Prügelstrafen in der Schule, das Quälen von Tieren haben das Leben von Generationen geprägt. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass das alles nicht gut war und aufhören muss. Wenn man all diese Themen gleichzeitig und miteinander verbunden diskutiert, ergibt das für viele Menschen Sinn – viel mehr als wenn man ihnen erzählt, dass weibliche Genitalverstümmelung gesundheitlich schädlich ist.

Oman stellt weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe

Im August gab das omanische Sozialministerium eine Gesetzesänderung zum Schutz von Kindern bekannt, darunter ein ausdrückliches Verbot von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM). Für Frauenrechtsaktivistinnen kam der Schritt überraschend.

Zuvor verbot Artikel 4 der „Konvention des Kindes“ nur vage „schädliche traditionelle Praktiken“. Der Begriff wird international häufig als Synonym für FGM verwendet. Doch im Oman verstand man das anders. Religionsführer und sogar der Großmufti des Oman predigten die Verstümmelung sei religiöse Pflicht. Die Beschneidungsrate ist entsprechend hoch, ein Umdenken hat bisher kaum stattgefunden.

Nun sind im Gesetz sechs Beispiele für schädliche traditionelle Praktiken aufgeführt. Unter Punkt 1 wird die Genitalverstümmelung von Mädchen genannt, weitere Beispiele sind das Verbrennen oder Bügeln von Kindern, um das Böse auszutreiben und Kinder dazu zu zwingen, etwas Schädliches zu trinken.

Erschreckende Zahlen

Ministeriumsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen erläuterten das Gesetz im Fernsehen und kündigten Aufklärung der Bevölkerung an. Diese Sendungen haben eine breite Debatte in sozialen Medien ausgelöst, berichtet die Frauenrechtsaktivistin Habiba al Hinai im Interview: „Die Menschen waren überrascht, niemand wusste, dass das kommen würde. Viele Männer sind wütend. Sie sagen, es sei gegen die Religion. Aber Frauen jubeln.“

 

Überraschend verbietet Oman weibliche Genitalverstümmelung

 

Sie selbst setzt sich seit 2013 gegen weibliche Genitalverstümmelung im Oman ein. Damals führte sie eine Umfrage unter 100 Frauen in der Hauptstadt Muskat durch und war von dem Ergebnis schockiert: 78 Prozent der zufällig befragten Frauen in Einkaufszentren und einem Krankenhaus gaben an, verstümmelt zu sein. Dieser hohe Prozentsatz war selbst für die wenigen, die schon in den Jahren zuvor auf die Verbreitung von FGM im Oman hingewiesen hatten, überraschend.

Als Leiterin der deutsch-irakischen Kampagne Stop FGM Middle East & Asia, die sich dem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in Asien verschrieben hat, reiste ich Ende 2013 in den Oman und traf dort Bloggerinnen, die gegen die brutale Praxis anschrieben. Sie alle nahmen bis dahin an, die Praxis sei hauptsächlich in der konservativen südlichen Region Dhofar und in einigen ländlichen Bergregionen im Norden verbreitet – nicht in der modernen Hauptstadt.

Noch immer nimmt die UN nicht zur Kenntnis, in wie vielen Ländern Asiens FGM praktiziert wird.

Nach der Veröffentlichung ihrer Studie traf sich Al-Hinai mit Vertreterinnen des Gesundheitsministeriums und des Sozialministeriums. „Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr interessiert waren und handeln wollten, aber dann versiegte der Kontakt – ich vermutete, jemand hatte ihnen geraten, das Thema ruhen zu lassen.“

Bereits im Jahr 2005 hatte das Gesundheitsministerium in seinem Fünfjahresplan Maßnahmen gegen weibliche Genitalverstümmelung angekündigt und eine Studie erwähnt, die eine hohe Verbreitung aufzeigte. Es wurden jedoch nie Maßnahmen ergriffen, und die Studie war für Außenstehende lange nicht verfügbar.

2018 veröffentlichten die Sozialwissenschaftlerin Hoda Thabet und die Ärztin Muna Al Kharoussi eine weitere Studie, diesmal im Gouvernement Dakhiliyya. Sie stellten fest, dass 95,5 Prozent der befragten Frauen verstümmelt waren.

Ignoranz der UNO

Habiba Al-Hinai vermutet, dass die jetztige Gesetzesänderung mit dem bald anstehenden Universal Periodic Report (UPR) zusammenhängen könnte. Die Vereinten Nationen (UN) verfassen diese Berichte in regelmäßigen Abständen zu allen UN-Mitgliedstaaten. Im Zentrum stehen dabei Verletzungen und Schutz von Menschenrechten. Die Regierung von Oman reagiere stets sehr empfindlich auf internationale Kritik an Frauenrechtsverletzungen, erläutert Al Hinai.

Allerdings haben die Vereinten Nationen weibliche Genitalverstümmelung im Oman bisher kaum thematisiert. Anti-FGM-Aktivistinnen klagten darüber, dass sie im UNICEF-Büro in Muskat nicht empfangen würden. Ein lokaler Vertreter des UN-Bevölkerungsfonds hatte noch 2015 behauptet, die brutale Praxis gäbe es nicht im Oman. Erst als die Initiative Stop FGM Middle East das New Yorker Büro des UNFPA-UNICEF Programms zur Beseitigung von Genitalverstümmelung alarmierte, nahm die lokale UN-Vertretung diese Behauptung zurück.

Wie auch in Bezug auf andere asiatische Länder wollte die UN lange nichts davon wissen, dass dort weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird. Viele UN-Berichte erwähnten nicht einmal Indonesien, wo eine vom UN-Bevölkerungsfonds finanzierte Umfrage schon 2003 eine hohe Verbreitung festgestellt hatte. Anti-FGM-Aktivistinnen in Indien erlebten beim Besuch des UNICEF-Büros in Mumbai ganz ähnliches wie die Frauenrechtlerinnen in Oman: Ihnen, die selbst Betroffene waren, sagte eine Mitarbeiterin, es gäbe in Indien keine weibliche Genitalverstümmelung.

Noch immer nimmt die UN nicht zur Kenntnis, in wie vielen Ländern Asiens FGM praktiziert wird. So findet etwa Malaysia, Thailand, Brunei, Kambodscha, Sri Lanka oder Iran keine Erwähnung. Für diejenigen dort, die sich gegen die Praxis aussprechen, wäre eine solche Anerkennung jedoch wichtig, auch weil sie einen gewissen Schutz bietet. Denn schon das Reden über weibliche Genitalverstümmelung ist gefährlich. Gerade wurde in Malaysia eine Fatwa gegen Sisters in Islam, die einzige Frauenrechtsorganisation, die sich des Themas annimmt, vom obersten Gericht bestätigt. Im Iran wurde der Anthropologe Kameel Ahmady, der mit seinen Studien zu weiblicher Genitalverstümmelung in den kurdischen Gebieten Pionierarbeit geleistet hat, vergangenen Monat inhaftiert.

Was folgt auf das Gesetz?

Daher ist es kaum wahrscheinlich, dass die UNO Druck auf die Regierung im Oman ausgeübt hat. Unterstützung erhielten Aktivistinnen dort allerdings ganz unverhofft von der früheren Bundesvorsitzenden der Grünen und heutigen Vizepräsidentin des Bundestags Claudia Roth. Sie besuchte den Oman 2014 und traf sich auf Anraten der deutschen Botschaft mit Habiba Al Hinai, die eine führende Rolle im omanischen Arabischen Frühling gespielt hatte. „Ich habe das Thema FGM mit ihr besprochen und am nächsten Tag sprach sie darüber vor der Majlis Al Dawla (dem Repräsentantenhaus).“

Es war laut Hinai das erste Mal, dass das Thema so offen angesprochen wurde. Das lange Schweigen hatte Gründe. Wer über die Existenz von FGM auf Arabisch in sozialen Medien schrieb, erhielt Besuch vom Staatsschutz. Nur englisch-sprachige lokale Medien durften berichten.

Al-Hinai hält die Rede von Claudia Roth für einen entscheidenden Faktor, der zur aktuellen Gesetzesänderung geführt habe. „Die omanische Regierung, insbesondere der Sultan, legen großen Wert auf ihr positives Image in Punkto Frauenrechte“, sagt Hinai.

Sie hat aber auch Kritik an den Deutschen: „Am nächsten Tag hat mich die Botschaft angerufen und gefragt, ob ich Schwierigkeiten bekommen hätte. Ich sagte ihnen, es gehe mir gut, aber ich würde gerne zur Botschaft kommen und mich dort treffen. Aber sie schienen meinen Standpunkt nicht zu verstehen. Natürlich hatte ich bereits einen Besuch vom Staatsschutz bekommen, aber das konnte ich nicht sagen, weil Telefone von Aktivisten abgehört werden.“ Botschaftsmitarbeiter gaben ihr erst Wochen später einen Termin.

Heute lebt Habiba Al-Hinai im deutschen Exil. Sie ist nicht sehr zuversichtlich, dass die Regierung im Oman nach der Gesetzesänderung ihr Versprechen zur Aufklärung einlösen wird. Das Thema bleibt heikel und angesichts der Repression jeglichen zivilgesellschaftlichen Engagements gibt es auch keine Frauen- und Menschenrechtsgruppen, die ihrerseits in der Bevölkerung aufklären könnten. Aber immerhin: „Ich bin überrascht und froh, dass die Bestrafung (für FGM) relevant ist“, sagt Al Hinai. Das Gesetz sieht eine Strafe von sechs Monaten bis drei Jahren vor.

 

2019/38 Ausland Nach einem mutmaßlichen ­»Ehrenmord« kommt es in der Westbank zu Protesten

Nicht mehr stillhalten

Ein mutmaßlicher »Ehrenmord« führt in der Westbank zu Protesten. Einige geben Israel die Schuld, doch werden nun auch die Missstände in der palästinensischen Gesellschaft thematisiert.