Neuwahlen in Israel

Die Rücktrittbremse

Der israelische Premier Barak gibt sein Amt auf, um den Rivalen Netanyahu loszuwerden.

Erneut hat Ehud Barak Freund und Feind überrascht. In einer live übertragenen Rede kündigte der israelische Ministerpräsident am Samstagabend seinen Rücktritt an. Da es Zweifel an seiner Einigung gebe, Israel zu regieren, habe er sich vor dem Hintergrund des Staatsnotstandes, der parlamentarischen Unklarheiten und der Notwendigkeit, die Gewalt zu verringern und die Chancen für den Frieden zu erhöhen, entschlossen, »erneut um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bitten und das Mandat zu erringen, Israel auf dem Weg zu Frieden, Sicherheit und einer neuen zivilgesellschaftlichen Agenda zu führen«. Nach dem Vollzug des Rücktritts am Dienstag müssen nun innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. In Israel wird der Ministerpräsident direkt von der Bevölkerung gewählt.

Kurz vor seiner Ankündigung hatte Barak Neuwahlen für das Parlament zugestimmt. Der Rücktritt würde diese Neuwahlen zunächst verhindern. Ein wesentlicher Hintergrund ist zudem wohl die Regelung des israelischen Grundgesetzes, wonach in einem solchen Falle nur Mitglieder der Knesset zur Wahl stellen dürfen. Baraks Vorgänger Benyamin Netanyahu wäre also von einer Kandidatur ausgeschlossen. Nach jüngsten Meinungsumfragen hätte Barak derzeit gegen Netanyahu keine Chancen, während er nur wenige Prozent hinter dem Likud-Vorsitzenden Ariel Sharon liegt. Der Likud-Abgeordnete Shilvan Shalom bezeichnete Baraks Manöver deshalb sogleich als »dirty trick«.

Es gibt für Netanyahu zwei Möglichkeiten, doch noch einzugreifen. Entweder beschließt die Knesset ihre Selbstauflösung, was allgemeine Wahlen zur Folge hätte, bei denen auch Netanyahu für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren dürfte. Oder aber die Knesset beschließt mit absoluter Mehrheit die Änderung des Grundgesetzes.

Beide Varianten sind jedoch sehr unwahrscheinlich, da weder Parlamentsmehrheiten dafür in Aussicht stehen, noch die Gesetze in der vorgeschriebenen Frist von 48 Stunden nach Baraks Rücktritt auf dem Weg sein werden. Netanyahu selbst hat schon angekündigt, für den Likud kandidieren zu wollen.

Ein weiteres Motiv für Barak dürfte der Umstand gewesen sein, dass in den jüngsten Umfragen der Zeitungen Ma'ariv und Yediot Ahronot nicht nur er selbst mit massiven Stimmeneinbrüchen zu rechnen hätte, sondern auch seine Partei Ein Israel, und zwar zugunsten des Likud. Barak scheint seinem ursprünglichen Kalkül, das halbe Jahr bis zu den geplanten Parlamentswahlen zu nutzen, um mit den Palästinensern zu einer Einigung zu gelangen, die seine Wahlaussichten gegen Netanyahu und den Likud wieder steigen lassen würde, inzwischen nicht mehr zu trauen. Dagegen haben sich Vertreter fast aller anderen Parteien für Neuwahlen ausgesprochen.

Drittens schließlich soll der Schritt Baraks die innerparteilichen Gegner zum Schweigen bringen, deren Kritik in den letzten Tagen lauter geworden ist. Insbesondere Innenminister Haim Ramon, aber auch Shimon Peres und der Parlamentspräsident Avraham Burg hatten sich gegen seinen Führungsstil und gegen seine Palästina-Politik ausgesprochen. Vor dem politischen Sekretariat der Vereinigten Kibbuzbewegung sagte Barak am Donnerstag, »dieses Gerede von links« müsse aufhören. »Wir müssen den Likud nicht mit Wahlwerbung versorgen.« Tatsächlich wird auch bereits in der linksliberalen Presse diskutiert, ob man trotz aller Kritik Barak bei den Wahlen unterstützen müsse, um noch Schlimmeres zu verhindern, sei es nun Sharon oder Netanyahu.

Die Linke ist allerdings Barak nicht so gnädig. Uri Avneri von der Friedensgruppe Gush Shalom sieht keinen Unterschied zu Netanyahu. Man habe Barak damals gewählt, weil er sich als der Mann angepriesen habe, der Netanyahu besiegen könne. »Wir haben ihn fälschlicherweise gewählt und er hat die Chancen für den Frieden zerstört. Jeder, der immer noch Hoffnungen mit ihm verbindet, muss sich seinen Kopf untersuchen lassen.« Ob diese Mahnung, die Avneri noch vor Baraks Rücktritt, aber bereits nach der Ankündigung vorgezogener Parlamentswahlen aussprach, auch angesichts einer drohenden Regierung Sharon in der Linken noch Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten.

Aber auch so sind Baraks Wahlaussichten nicht allzu rosig. Die Unterstützung der etwa 800 000 arabischen Israelis, deren er bei der letzten Wahl gewiss sein konnte, dürfte er nach den Unruhen weitgehend eingebüßt haben. Im übrigen wird sehr viel davon abhängen, mit welchem Programm er in den Wahlkampf zieht. Seiner Rücktrittsankündigung am Samstag ging eine Rede voraus, in der er erneut die »zivile Revolution« propagierte. »Wir wollen den Prozess für eine neue soziale und zivile Agenda erneut starten«, so Barak. »Wir waren gezwungen, ihn auszusetzen, um in den Verhandlungen mit den Palästinensern voranzukommen. Das war ein Fehler.« Dabei ist fraglich, ob mit der jetzigen Knesset ein solcher Prozess auch möglich ist. Jedenfalls wurde das bereits auf den Weg gebrachte Gesetz, dass auch die Thoraschüler zum Wehrdienst verpflichten würde, mit Rücksicht auf die orthodoxen Parteien von Barak erst einmal gestoppt.

Klar scheint damit, dass Barak nicht mit einer forcierten Friedenspolitik die Wahlen gewinnen möchte. Vielleicht war es deshalb auch kein Zufall, dass er seinen Rücktritt unmittelbar nach dem bisher blutigsten Tag der gesamten »Al-Aksa-Intifada« ankündigte, an dem sieben Palästinenser und drei Israelis ums Leben kamen. In derselben Rede bekräftigte er noch einmal seine »roten Linien« für die Verhandlungen mit den Palästinensern: keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967; 80 Prozent der Siedlungen in der West Bank unter israelischer Souveränität; kein Recht auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge und ein »großes« Jerusalem mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit als Hauptstadt Israels.

Doch auch von palästinensischer Seite ist kein allzu großes Interesse an einer Rückkehr zum Friedensprozess vorhanden. Auf die zwischen dem stellvertretenden israelischen Verteidigungsminister Ephraim Sneh und zwei palästinensischen Vertretern vor knapp drei Wochen ausgehandelten und von Israel durchgeführten Erleichterungen der Situation in den besetzten Gebieten reagierten die Palästinenser nicht, wie von Arafat versprochen, mit einem Waffenstillstand, sondern mit einer Eskalation. Einzelne Fatah-Führer haben bereits erklärt, dass ihnen ein Ministerpräsident Sharon als Gegner lieber wäre, da ihnen dann die Sympathien der Welt sicher seien.