Entspannt euch nicht!

Das Projekt »I can’t relax in Deutschland« bäumt sich auf gegen die Nationalisierung des Pop. von thomas blum

Dass ihnen Rotgrün und Schwarzgelb Jacke wie Hose sind und sie »Identität« wie »Vaterland« für einen ausgemachten Humbug halten, haben die Bands Tocotronic, Mouse on Mars, Die Sterne, Von Spar, Knarf Rellöm, Stella, Superpunk, Die Goldenen Zitronen u.a., die auf diesem Sampler zu hören sind, gemeinsam. Das ist erfreulich.

In dem der CD beigegebenen Booklet »I can’t relax in Deutschland«, das liebevoll aufgemacht ist und an einen kleinen Heimat-Almanach der fünfziger Jahre erinnert, geht es zum wiederholten Mal um all jene Dinge, die einerseits zwar nicht neu sind, andererseits aber auch nicht oft genug gesagt werden können.

Vom deutschen Antiamerikanismus und Antisemitismus ist die Rede, von der Totalitarismustheorie, von der albernen Vorstellung, es gäbe eine »authentische« und vermeintlich überlegene »deutsche Kultur«, vom Wahn der Deutschen, sie hätten ein Recht auf Nationalismus, weil sie aus ihrer Vergangenheit gelernt hätten, und vom fortgesetzten und bis zum heutigen Tag praktizierten Umlügen der deutschen Schuld, sodass am Ende immer nur deutsche Opfer dabei herauskommen.

Martin Büsser gelingt es in seinem klugen, den abweichenden Verlauf der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte skizzierenden Beitrag darzulegen, wie es zur Herausbildung einer spezifisch deutschen »Hochkultur« kommen konnte. Präzise zeichnet er die Traditionslinie des völkischen, zutiefst antiliberalen Kulturbegriffs nach, die vom deutschen Idealismus und der Romantik über den Nationalsozialismus und die Rede von der »Negermusik« bis zur Gegenwart führt. Roger Behrens erklärt in seinem Aufsatz die politischen Hintergründe für die historisch-kulturelle Kontinuität, die von Richard Wagner bis zu Rammstein reicht, warum Populärkultur in Deutschland immer volkstümlich ist und woher die hierzulande so starke Bereitwilligkeit und das Wohlgefühl, einem Kollektiv anzugehören, kommen.

Auch die Popkultur, die Nonkonformismus – wenn überhaupt – oft genug nur simuliert, ist keine Ausnahme: Auf der einen Seite haben wir es mit »Bumstechno und Bumsmetal« zu tun, einer Ästhetik, »die aus einer Art Operngesang, Pyrotechnik, Fellkostümen und prüden Sexualphantasien besteht«, auf der anderen Seite mit einem Keckheit und Unangepasstheit nur suggerierenden, gnadenlosen Zuversichts- und Optimismuspop.

Kritische Kunst hingegen hat sich immer, wie Behrens schreibt, »explizit der Nation widersetzt«. Wer aber Nein sagt, wird nicht gehört und muss draußen bleiben. Indessen vollzieht sich die freiwillige Integration aller in die deutsche Effizienz-, Konsens-, Konsum- und Idiotengesellschaft, auch mittels Popkultur: »Gesellschaft insgesamt erscheint als einzige Kulturveranstaltung. Integration von Protest war von jeher die politische Funktion der Massenkultur.«

Bei aller richtigen und notwendigen politischen Kritik an Deutschland sowie an dem Irrglauben, Popkultur könne zugleich national und subversiv sein, die in den versammelten Aufsätzen formuliert wird, stellt sich allerdings die Frage, warum ein Teil der hier vorgelegten Texte in der in der deutschen Linken üblichen, halb akademischen, halb ungenießbaren Flugblattsprache verfasst ist.

Die Unfähigkeit, einen richtigen Gedanken einigermaßen vernünftig zu Papier zu bringen, ohne in das allerorts grassierende, holpernde und von allerlei Phrasen durchsetzte, verquaste Amts- und Soziologendeutsch (»adäquate Optionen zur Lösung sozialer Problemstellungen«) zu verfallen, geht auch dem geduldigsten und mit den Interessen der Autoren sympathisierenden Leser irgendwann schwer auf den Keks: Vom »Heilmittel für den Schlussstrich« ist da etwa die Rede und von »Hymnen«, die »akzeptiert die Bildfläche betreten«. An anderer Stelle wird irgendetwas »niedrigschwellig konstruiert«, oder es werden »Eckpfeiler aufgeführt«. Man muss nicht so schreiben, wenn man es gut meint mit dem Leser.

Auch die Gruppe »Sinistra« sollte man bei Gelegenheit nicht nur darüber in Kenntnis setzen, dass sie, bei allem guten Willen, den man ihr wohl anrechnen kann, einen unter rein stilistischem Aspekt betrachtet nur schwer erträglichen Stiefel daherschreibt, sondern auch darüber, dass der Kapitalismus, aus welchem »Verhältnis« bzw. welcher »Struktur« auch immer er im einzelnen »bestehen« mag, nicht ausschließlich von Frauen hervorgebracht wird, so sehr man sich auch, offenbar in der irrigen Annahme, man tue Gutes dabei, die Marotte zu eigen gemacht hat, nur von Frauen zu reden: »Der Kapitalismus besteht nicht aus einem personalen Herrschaftsverhältnis zwischen Kapitalistin und Arbeiterin, sondern aus einer Grundstruktur, der jede Einzelne gegenübertritt.« Weiter erfährt man, dass das Wertverhältnis die »Form« ist, »in der« das eine »sich derart« mit dem anderen »vermittelt, dass« etwas anderes »nicht unmittelbar ist, sondern« wiederum etwas anderes »vermittelt wird«. So jedenfalls liest sich das, betrachtet man das Gerüst des Satzes.

All das mag meinethalben so sein, nichts davon soll in Abrede gestellt werden. Aber möchte irgendwer derlei in lieblos-deutschem Philosophieseminar- und Oberlehrer-Slang Hingeschriebenes zum hundertsten Mal, freudlos mit hängenden Backen im Studierstübchen hockend, lesen? Egal.

Die Musik aber all der Bands und Künstler, die ein Musikstück zu dieser Compilation beigesteuert haben und die Wert darauf legen, hierzulande nicht instrumentalisiert und in die deutsche Nation eingemeindet zu werden, führe man oder von mir aus eben auch frau sich nicht nur sinnierend, sondern auch tanzend zu Gemüte, denn es handelt sich, wie Herbert Marcuse, den man auch gern einmal tanzen gesehen hätte, es so hübsch formuliert, um »nicht-kontemplative Musik, die die Kluft zwischen Aufführung und Rezeption überbrückt, indem sie den Körper direkt in eine spontane Bewegung versetzt, die ›normale‹ Bewegungsmuster durch subversive Klänge und Rhythmen verzerrt und verdreht. Die Bewegung (…) ist freudige Rebellion, Ausgelassenheit ob der abgeschüttelten Hemmungen bei gleichzeitigem Bewusstsein von Unterdrückung und Erniedrigung.« Der Körper, so ergänzt Martin Büsser, bewege sich »aus freien Stücken« und »ohne erkennbaren ökonomischen Zweck«. Das gefällt uns.

Wobei man sich aber bitteschön immer an die dunkle Seite erinnern möge, an die Lindenbergs, Niedeckens, Grönemeyers, Kunzes, Westernhagens und all jene, die früher oder später so oder ähnlich enden werden. Verdummt und an der Kaffeetafel des Kanzlers oder von mir aus auch der Kanzlerin hockend.

Various Artists: »I can’t relax in Deutschland«, CD und Buch (Herausgeber: Unterm Durchschnitt. Vertrieb: Brokensilence).

Record-Release-Party und Podiumsdiskussion in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz am 2. Oktober. Mit Kevin Blechdom, Spillsbury, Kante und dem Chicks-on-Speed-DJ-Team

www.unterm-durchschnitt.de, www.icantrelaxin.de