Frankreich kooperiert nicht mit dem Kriegsverbrechertribunal in Ruanda

Frankreich schweigt

15 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda tauchen immer neue Enthüllungen über den Umgang des französischen Staats mit den génocidaires auf. Das Kriegsverbrechertribunal wirft Frankreich »mangelnde Kooperation« vor.

Es passiert selten, dass ein westliches Land von einem internationalen Strafgerichtshof öffentlich kritisiert wird. In aller Regel gilt die Kritik internationaler Gerichtshöfe, die wegen Massakern oder Verbrechen gegen die Menschheit ermitteln, eher afrikanischen oder asiatischen Potentaten. Eine wohl begründete Ausnahme machte nun das International Crime Tribunal for Rwanda (ICTR) im tansanischen Arusha. Das Kriegsverbrechertribunal ist zuständig für die Haupttäter des Genozids, der in Ruanda im Jahr 1994 stattfand. Mitte November warf das ICTR Frankreich »mangelnde Kooperation« bei der Aufklärung der Ereignisse vor.
Vergeblich habe die dritte Kammer des ICTR versucht, wichtige Dokumente aus Frankreich zu erhalten, hieß es in einem Urteil. Nun sei die Kammer »am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt« und habe vor, Dennis Byron, den Vorsitzenden Richter des Tribunals, über die mangelnde Kooperation zu informieren. Byron solle »seine Konsequenzen daraus ziehen«. Ein solcher Vorgang ist äußerst selten, wie die französische Nachrichtenagentur AFP notierte.
Für Frankreich steht dabei nicht wenig auf dem Spiel. Käme die Regierung der Aufforderung des ICTR nach, dann könnte dies einige brisante Aspekte über die enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und dem Regime enthüllen, das den Völkermord von 1994 plante und durchführte.
Die dritte Strafkammer des ICTR hatte die französische Regierung darum gebeten, ihr eine Liste jener ruandischen Persönlichkeiten zu übermitteln, die zu Beginn der Massaker Anfang April 1994 »Zuflucht in der französischen Botschaft« in Kigali gesucht hatten. Anlass dafür ist, dass der frühere Jugendminister Ruandas, Callixte Nzabonimana, vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist, an der Planung des Genozids teilgenommen zu haben. In Gitarama im Süden des Landes soll er die örtliche Bevölkerung zu Massakern an der Minderheit der Tutsi sowie an Oppositionellen in der Hutu-Mehrheitsbevölkerung aufgestachelt haben.

Nzabonimana beteuert seine Unschuld und behauptet, vom 7. bis 11. April 1994, also in den ersten Tagen nach Beginn des Genozids, Zuflucht in der französischen Botschaft gefunden zu haben. Er könne, so lautet sein Argument, nicht in dieser Zeit am Völkermord beteiligt gewesen sein. Dies hätte die dritte Strafkammer gerne überprüft und forderte deshalb die französische Botschaft dazu auf, ihr eine Liste der damals anwesenden Personen zu übermitteln.
Aus Frankreich kam jedoch nur beharrliches Schweigen, das auf die Dauer ein gewisses Erstaunen hervorrief. Denn in der französischen Botschaft in Kigali hielten sich während der ersten Tage des Genozids rund 200 Ruander auf. Nur wird vermutet, dass die meisten unter ihnen nicht wirklich Flüchtlinge waren, die Schutz vor den génocidaires suchten, sondern weitaus eher Täter. Nach dem Tod des damaligen Staatspräsidenten Juvenal Habyarimana, dessen Flugzeug am 6. April 1994 abgeschossen worden war, bildete sich die provisorische ruandische Regierung (GIR) zum Großteil in den Räumen der französischen Botschaft. Diese Interimsregierung gab den Milizen der Hutu-Extremisten den Befehl zum Völkermord.
Der Tod von Präsident Habyarimana war mutmaßlich das Ergebnis eines Putsches, mit dem die Fraktion der Hardliner unter den Hutu-Rassisten die Macht an sich riss. Frankreich hatte Habyarimana seit dessen Machtantritt im Juli 1973 stets als »Bollwerk gegen den Kommunismus« wie gegen die Ausweitung des englischsprachigen Einflussbereichs in Afrika unterstützt. Nach seinem Tod kam eine Reihe hochrangiger Persönlichkeiten des bisherigen Regimes unter französischen Schutz, so Habyarimanas Witwe Agathe, die derzeit in Frankreich lebt. Ihr wurde zwar im vergangenen Jahr das Asylrecht mit der Begründung verweigert, sie sei nachweislich persönlich an der Planung des Völkermords beteiligt gewesen. Doch lebt sie, auch ohne Aufenthaltstitel, nach wie vor völlig unbehelligt auf französischem Boden.
Nicht nur geschützt wurden hochrangige Persönlichkeiten aus dem Establishment, unter Präsident François Mitterrand und Premierminister Edouard Balladur wurden sie auch aktiv unterstützt. Etwa bei der Konstituierung des GIR, dessen Vertreter an Treffen in Paris teilnahmen. Das war im Mai 1994, als die Wahrheit über den Genozid ans Licht der internationalen Öffentlichkeit zu dringen begann.

Aus Frankreich wurden damals auch Waffen geliefert. Die Lieferungen wurden zwar nicht direkt von der Regierung organisiert – aber von einem Söldner namens Paul Barril, der in den frühen achtziger Jahren Mitglied der Gendarmerieabteilung für den Präsidentenschutz im Elysée-Palast gewesen war. In den neunziger Jahren unterhielt er eine private Sicherheitsfirma, die beste Kontakte zu staatlichen Stellen hatte. Während des Genozids in Ruanda hielt Paul Barril sich in Kigali auf und führte dort die so genannte Operation Insektizid durch. Die Tutsi wurden damals von Hutu-Rassisten als »Wanzen« bezeichnet. Erst im September druckte die Pariser Wochenzeitung Charlie Hebdo neue Beweisdokumente über das damalige Wirken Paul Barrils nach.
Kein Wunder also, dass auch nach 15 Jahren in Frankreich immer neue Details im Umgang mit ruandischen génocidaires auftauchen. Jüngstes Beispiel ist der Fall von Eugène Rwamucyo, der seit Mai 2008 als Arzt am Krankenhaus im nordfranzösischen Maubeuge arbeitete. Am 17. Oktober wurde er als mutmaßlicher Massenmörder während des Genozids in seinem Herkunftsland Ruanda enttarnt.
Über Rwamucyo hatte Interpol eine eigene Akte der »Fahndungsstufe rot« angelegt. In Frankreich hatte sich Thierry Lazaro, ein Abgeordneter der konservativen Regierungspartei UMP, eigenen Angaben zufolge im Jahr 2001 »bei mehreren Ministern« dafür verwandt, dass Rwamucyo einen Aufenthaltstitel erhalte. Die Tageszeitung Libération berichtete, es sei eine Intervention des Büros des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy gewesen, die dafür gesorgt habe, dass Rwamucyo den ersehnten Aufenthaltstitel erhielt. Lazaro sagte der Zeitung, er habe empfunden, dass Rwamucyo »sich in einer prekären ­Situation befand«.
Eine Krankenschwester fand heraus, was dem Staat offenbar entgangen war, nämlich dass Interpol eine Akte über Rwamucyo als Völkermordverdächtigen führte. Nachdem Rwamucyo sie wegen ihres Körpergewichts beleidigt hatte, googlete sie den Namen des Arztes und machte die Information öffentlich. Rwamucyo wurde daraufhin vom Dienst suspendiert. Inzwischen hat er Frankreich verlassen und sich in Belgien niedergelassen. Dort will man ihm einen vorläufigen Aufenthaltstitel gewähren, aber auch den Prozess machen.
Auch im Prozess gegen den nationalistischen französischen Schriftsteller Pierre Péan spielte der Völkermord in Ruanda in den vergangenen Wochen eine Rolle. Péan hatte im Winter 2006 in einem Buch unter dem Titel »Schwarzer Furor, weiße Lügner« gegen angebliche Nestbeschmutzer in Frankreich gewettert, die dem eigenen Land eine Mitschuld an den Massakern in Ruanda gäben. Péan vermutete ein Komplott des »derzeitigen stalinistischen Regimes in Ruanda«, welches zudem von den USA gegen den französischen Einfluss in Afrika unterstützt werde. Bei den Tutsi gebe es traditionell eine »Kultur der Lüge«, deshalb höre man besser nicht zu sehr auf Aussagen über den Völkermord. Die Vereinigung SOS Racisme hatte Péan wegen rassistischer Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe angezeigt. Am Mittwoch vergangener Woche wurde der Schriftsteller in zweiter Instanz freigesprochen. Seine Auslassungen seien durch die Meinungsfreiheit geschützt, lautete die Urteilsbegründung.

Vergangene Woche wurden in Deutschland die beiden obersten internationalen Chefs der Terrormiliz FLDR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Rwandas) verhaftet. Die FLDR ist eine Miliz, die mutmaßlich rund 7 000 im Osten der Demokratischen Republik Kongo agierende Kämpfer unter Waffen hat und überwiegend aus früheren génocidaires besteht. Diese waren nach dem Sturz des ruandischen Völkermordregimes im Juli 1994 in den Osten des Kongo geflüchtet und terrorisieren seitdem die Bevölkerung in mehreren entlegenen Regionen.
Ignace Murwanashyaka lebte seit mehreren Jahren unbehelligt in Mannheim. Unter dem ­erheblichen Druck der kongolesischen Regierung und der USA verhafteten die deutschen Behörden ihn und seinen Stellvertreter Straton Musoni. Den beiden werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit vorgeworfen.
Die kongolesische Regierung hat nun nachgelegt und betont, die FLDR verfügten noch über Netzwerke, die etwa für Finanzierung und Bewaffnung sorgten, in einigen Städten im Osten des Kongo wie Bukavu, in Tansania und in Frankreich. Sie forderte Frankreich nun ebenfalls zu verbindlicher Kooperation in dieser Angelegenheit auf. Die französischen Behörden beeilten sich, die Verhaftung Murwanashyakas in Deutschland zu »begrüßen«. Dem Netzwerk der noch aktiven Völkermordmilizen dürfte dadurch ein höchst empfindlicher Schlag versetzt worden sein.