Der IS verbucht weitere territoriale Gewinne

Ein Fall für die Miliz

Nach dem Fall der irakischen Stadt Ramadi und Gebietsgewinnen des »Islamischen Staats« (IS) in Syrien scheint ein Sieg gegen die Jihadisten nicht absehbar. Die USA kooperieren nun offen mit dem Iran.

Im Februar hatte das Zentralkommando der US-Streitkräfte (Centcom) für April eine »große Offensive« zur Befreiung der irakischen Stadt Mossul vom »Islamischen Staat« (IS) angekündigt. Ende Mai befindet sich nicht nur Mossul weiter fest in den Händen der Jihadisten, sondern neuerdings auch Ramadi, die Hauptstadt der Provinz Anbar, die den größten Teil des sogenannten sunnitischen Dreiecks im Irak umfasst. Nach monatelangen Kämpfen gelang es dem IS Mitte Mai, Ramadi zu erobern. Irakische Armeeeinheiten flohen aus der Stadt und ließen dem IS, wie in anderen Gefechten zuvor, haufenweise militärisches Gerät zurück, das fast ausschließlich aus jüngsten Lieferungen der USA stammt.
Ein Offizier berichtete später der kurdischen Zeitung Rudaw, als erstes sei die Eliteeinheit »Golden Dawn Brigade« geflohen und habe den Rest der irakischen Armee im Stich gelassen. Zudem habe es an Nachschub und Munition gemangelt, vor allem an panzerbrechenden Raketen, die im Krieg gegen den IS entscheidend sind, um die mit Sprengstoff gefüllten, von Selbstmordattentätern gesteuerten Lastwagen frühzeitig auszuschalten, mit denen dessen Kämpfer die feindlichen Linien zu durchbrechen pflegen.

Da die Jihadisten gleichzeitig eine erfolgreiche Offensive in Syrien durchführten, wo sie nach der Einnahme der Stadt Palmyra nun über die Hälfte der Landesfläche kontrollieren, scheint ­alles Gerede der vergangenen Monate, der IS sei nachhaltig geschwächt, Ausdruck reinen Wunschdenkens. Acht Monate Luftkrieg der Koalition scheinen die Jihadisten nicht geschwächt zu haben. Neuerdings kontrollieren sie auch alle syrisch-irakischen Grenzübergänge, können künftig also noch leichter Menschen und Material von einer Front an die andere verlegen; Damaskus liegt 130 Kilometer von Palmyra entfernt, Ramadi keine 100 Kilometer von Bagdad
Auch die Strategie der USA liegt in Trümmern. Ganze vier Luftangriffe soll die US-Luftwaffe während der Kämpfe um Ramadi geflogen haben, angeblich hat ein Staubsturm weitere Einsätze verunmöglicht. In der Tat greift der IS regelmäßig an, wenn Nebel oder Sandstürme Angriffe aus der Luft erschweren. Das wirft die Frage auf, ob, wie von der US-Regierung auch nach dem Debakel von Ramadi erneut beteuert, Luftunterstützung allein ausreicht. Von einer Koalition gegen den IS kann dieser Tage ohnehin kaum gesprochen werden, nur vier der 60 Länder setzen noch ihre Luftwaffe ein.
Dabei hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Luftangriffe nur dann halbwegs erfolgreich waren, wenn sie wie im syrischen oder irakischen Kurdistan von Bodentruppen unterstützt werden, die unter einheitlichem Kommando stehen und motiviert kämpfen. So waren es auch einzig kurdische Einheiten, die in letzter Zeit territoriale Gewinne gegen den IS vermelden konnten.

Die US-Regierung, die auch nach dem Fall Ramadis darauf insistiert, die irakische Armee müsse gestärkt werden, will offensichtlich nicht verstehen, dass weder das iranische Regime noch bedeutende Teile der in Bagdad regierenden schiitischen Parteien überhaupt ein Interesse an einer funktionsfähigen nationalen Armee haben, sondern vielmehr das Militär in den vergangenen Jahren zugunsten eines parteigebundenen Milizwesen geschwächt haben. Derzeit stehen schätzungsweise 120 000 Milizionäre im Sold von schiitischen Parteien oder werden direkt vom iranischen Regime bezahlt. Die iranische Außenpolitik zielt auf eine systematische Schwächung irakischer staatlicher Institutionen, generell misstraut die iranische Führung regulären Armeen, weshalb sie in den vergangenen Jahren auch im eigenen Land das Militär zugunsten der Revolutionsgarden verkleinerte, deren al-Quds-Einheiten im Ausland eingesetzt werden. Die Hoffnung, zusammen mit dem Iran könne man im Irak eine überkonfessionelle irakische Armee aufbauen, deren Loyalität dem Staat und nicht irgendwelchen Parteien gilt, ist illusorisch.
So sind es denn auch einmal mehr die schiitischen Milizen und damit der Iran, die neben dem Islamischen Staat am meisten vom Fall Ramadis profitieren. Bei der Einnahme der Stadt Tikrit, die anfangs unter direkter Führung des obersten Generals der al-Quds-Brigaden, Qasem Soleimani, stand, gaben diese Milizen ein schlechtes Bild ab. Fehlende militärische Erfolge glichen sie durch Terror gegen die Zivilbevölkerung aus, bis sie auch auf Druck der USA von der Front abgezogen wurden.
Nach dem Fall Ramadis stimmten sogar sunnitische Politiker erstmalig dem Einsatz dieser Milizen zu. Auf einem hochrangigen Treffen in Bagdad hätten sich irakische Regierungsmitglieder mit Vertretern des Iran und der US-Botschaft auf deren Einsatz zur Rückeroberung Ramadis geeinigt, berichtete der irakische Journalist Mustafa Habib. Erstmals hätte damit die de facto seit Monaten bestehende US-iranische Kooperation einen offiziellen Segen aus Washington. Das hielt Soleimani nicht davon ab, in einer Ansprache die US-Regierung heftig anzugreifen. Einzig der Iran, prahlte er, sei in der Lage, den Islamischen Staat zu bekämpfen.

Dabei ist schlicht das Gegenteil der Fall: Solange der Iran im Irak und Syrien freie Hand hat, sich deshalb der IS als Beschützer der Sunniten präsentieren kann und die Anti-IS-Koalition über keine langfristige Strategie verfügt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Katastrophe kommt. Derweil begann der IS in Palmyra mit öffentlichen Enthauptungen und aus Ramadi ­versuchen Zehntausende zu fliehen, nur um vor Bagdad abgewiesen zu werden, weil die Flücht­linge kollektiv der Sympathie mit den Jihadisten verdächtigt werden. Man rechne mit bis zu drei Jahren, bis der Islamische Staat besiegt sei, hieß es unterdessen in einer der jüngsten Erklärungen des Centcom.