Ballots and Bullets
Er war ausgestattet mit einem Sturmgewehr und wollte Juden töten: Am Samstag ermordete ein Mann in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen. Der von der Polizei festgenommene Verdächtige hatte sich zuvor in sozialen Netzwerken nicht nur antisemitisch geäußert, sondern auch seinen Hass auf Migranten bekundet. Sich selbst bezeichnete er als Nationalisten, der sich im Kampf mit »Globalisten« befinde (siehe auch Seite 4). In der vorigen Woche hatte zudem mutmaßlich ein Anhänger des US-Präsidenten mindestens 13 Rohrbomben an Barack Obama, George Soros, Hillary Clinton und andere verschickt.
Die Stimmung kurz vor den midterm elections, den Zwischenwahlen in den USA ist generell feindselig. Präsident Donald Trump selbst machte abermals die Medien dafür verantwortlich. Doch die aggressive Rhetorik kommt auch von ihm. In der Vergangenheit bezeichnete er migrantische Bandenmitglieder als Tiere und Journalisten als Volksfeinde. Auch er schwadroniert von »Globalisten« und bezeichnete sich jüngst als Nationalisten. Die derzeit in den USA zu beobachtende rechtsextreme Gewalt speist sich aus Verschwörungstheorien, Nationalismus und übersteigerter Männlichkeit, einer aggressiven Ideologie, die längst die schmuddeligen Ecken des Internet verlassen hat.
Die Aussicht auf ein demokratisch dominiertes Repräsentantenhaus könnte viele Republikaner in die Wahllokale treiben.
Bei vielen US-Amerikanern ist nicht nur deshalb der Unmut über die Regierung groß. Doch der »Widerstand«, wie sich die Opposition seit der Wahl Trumps vor knapp zwei Jahren in halbironischer Anlehnung an die populären Star-Wars-Filme nennt, könnte dennoch bei den US-amerikanischen Kongresswahlen scheitern. Die Republikaner profitieren von strukturellen Bedingungen im politischen System der USA. Die könnten dafür sorgen, dass die Demokraten am 6. November landesweit zwar vier oder fünf Prozentpunkte mehr Stimmen holen als die Republikaner, aber dennoch nicht die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern. Wenn die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus oder im Senat verlieren, könnte das die Präsidentschaft von Trump deutlich erschweren .
23 Sitze müssen die Demokraten im Repräsentantenhaus dazugewinnen, um die untere Kammer unter ihre Kontrolle zu bringen. Eigentlich gibt es dafür dieses Jahr gute Voraussetzungen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Partei des jeweils regierenden Präsidenten bei den Midterm-Wahlen im Durchschnitt 28 Sitze verloren. Die Republikaner profitieren dieses Jahr zudem weniger vom Bonus des Amtsinhabers, weil eine Rekordzahl von 37 Abgeordneten – unter anderem, weil die »Tea Party«-Bewegung in der Krise ist – ihren Rückzug aus der Politik angekündigt und so offene Sitze hinterlassen hat.
Auch die hohe Zahl demokratischer Kandidaten zeigt: Mit Verve rennt die Partei dieses Jahr gegen die Trump-Regierung an. Sie hat so viele Kandidaten rekrutiert wie noch nie. 1 706 Politikerinnen und Politiker traten bei den Vorwahlen an. Der bisherige Kandidatenrekord wurde 2010 von den Republikanern mit 1 688 Vorwahlteilnehmern aufgestellt. Viele Frauen, die landesweit am Tag von Donald Trumps Amtseinführung mit dem »Women’s March« auf die Straße gingen, kandidieren bei den Demokraten. Sie brachen den bisherigen Rekord weiblicher Beteiligung aus dem »Jahr der Frau« 1992. 356 Frauen traten bei den Vorwahlen der Demokraten an, 183 von ihnen setzten sich durch und stehen nun am 6. November zur Wahl.
Zum ersten Mal könnte es bei den diesjährigen Midterm-Wahlen mehr als fünf Milliarden Dollar an Parteispenden geben. Laut einer Analyse der New York Times liegen die Demokraten vor den Republikanern im Spendensammeln mit insgesamt 1,3 zu 1,2 Milliarden Dollar. Zu dieser Summe gehören Spenden an Kandidaten, Parteikomitees und political action committees – private Gruppen, die bestimmte Themen oder Arten von Kandidaten unterstützen. Vor allem in umkämpften Bezirken übertrumpften die Kandidaten der Demokraten ihre republikanischen Gegner. Die nationalen Parteikomitees der Republikaner gleichen dies durch Großspenden der Industrie aus. Anonyme Großspenden hat die New York Times nicht einberechnet.
Ein Wahlerfolg der Demokraten ist dennoch unsicher. Der Datenjournalist Nate Silver von der Nachrichtenwebsite Fivethirtyeight schätzt, dass die Demokraten landesweit mit mehr als sechs Prozentpunkten Vorsprung gewinnen müssten, um die Mehrheit der Mandate im Repräsentantenhaus zu erhalten. Wollten sie die Mehrheit im Senat zurückgewinnen, müssten es sogar zwölf bis 13 Prozentpunkte sein.