Die US-Regierung lässt Bundesbeamte ohne Kennzeichnung gegen Demonstranten vorgehen

In Tarnuniform für Trump

Die US-Regierung lässt Bundesbeamte gegen Demonstranten vorgehen, die an den Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt teilnehmen. Am Wochenende kam es erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Eine Beruhigung der Situation ist nicht in Sicht.

Die seit Wochen andauernden Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA mündeten am Wochenende in gewaltsame Auseinandersetzungen. In Richmond, Virginia, wurde in der Nacht von Samstag auf Sonntag vor einem Polizeirevier ein Kipplaster in Brand gesetzt. In der Nähe von Denver, Colorado, raste am Samstag ein Jeep durch eine Menschenmenge, die eine Schnellstraße blockierte. Der Polizei zufolge gab ein Demonstrant Schüsse ab und verletzte so mindestens einen anderen Demonstranten. Ebenfalls Samstagnacht wurde in Austin, Texas, ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Demonstrant von einem Autofahrer erschossen. Die Polizei und Zeugen gaben an, der Fahrer habe sein Auto aggressiv in Richtung der Demonstranten gelenkt. Der Fahrer und Zeugen sagten der Polizei, der bewaffnete Demonstrant habe sich dem Auto genähert und mit dem Sturmgewehr auf den Fahrer gezielt. Als der Wagen wegfuhr, wurde er nach Angaben der Polizei aus der Menge heraus beschossen.

Der Schwerpunkt der Proteste liegt im Nordwesten der USA, vor allem in Seattle im Bundesstaat Washington und in Portland, Oregon – beides Städte, in denen ziviles Aufbegehren zum guten Ton gehört. Am 8. Juni hatte eine Gruppe von Demonstranten eine Gegend im trendigen Stadtteil Capitol Hill in Seattle zur »autonomen Zone« erklärt, nachdem die Polizei ihr dortiges Revier verlassen hatte. Nachdem zwei Menschen bei Schießereien zu Tode gekommen waren, ließ die Bürgermeisterin von Seattle, die Demokratin Jenny Durkan, die »Capitol Hill Autonomous Zone« am 1. Juli räumen – in einem umsichtigen Polizeieinsatz ohne Verletzte.

In Portland wird seit fast zwei Monaten jede Nacht demonstriert. Die Proteste werden zum Teil organisiert von einer Gruppe namens Pacific Northwest Youth Liberation Front (PNWYLF). Auf Twitter beschreibt sich die PNWYLF als ein »dezentrales Netzwerk autonomer Jugendgruppen«. Ihre Zielsetzung ist umfassend, aber vage: die »totale Befreiung«. Wessen Befreiung? Mit den Protesten anlässlich der Tötung George Floyds scheinen die Demonstrationen in Portland kaum noch etwas zu tun zu haben. Elbert D. Mondaine, der örtliche Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People, schrieb vorige Woche in einem Gastbeitrag für die Washington Post, die Proteste gegen rassistische Polizeigewalt seien zu einem »weißen Spektakel« geworden. Selbstinszenierungen wie die einer jungen Frau, die am vorvergangenen Samstag in Portland nur mit einer Mütze und einer Gesichtsmaske bekleidet vor Polizisten posierte, helfen wohl nur bedingt, die Forderungen der Demonstranten durchzusetzen. Auch der mediale Hype um die »Wall of Moms«, Mütter, die sich zwischen Polizei und Demonstranten stellen, lenkt vom Kern der Sache ab. Die Forderung nach einer Polizei- und Justizreform ist merklich in den Hintergrund getreten.

US-Präsident Donald Trump versteht es, die Bilder von Krawallen und beschmutzten Regierungsgebäuden für sich zu nutzen.

Einer jedenfalls versteht es, die Bilder von Krawallen und beschmutzten Regierungsgebäuden für sich zu nutzen: US-Präsident Donald J. Trump. Die Bilder bieten ihm die Chance, sich vor seiner Stammwählerschaft zu profilieren. Er hofft, so seine sinkenden Umfragewerte zu verbessern. Am 26. Juni erließ er executive order 13933. Diese bevollmächtigt das Department of Homeland Security (DHS), das Ministerium für innere Sicherheit, Denkmäler, Statuen und Eigentum des Bundes zu schützen. Chad Wolf, der kommissarische zuständige Minister schickte Beamte des United States Marshals Service und des Grenzschutzes in Tarnuniformen ohne Kennzeichnung nach Portland. Diese haben seitdem Medienberichten zufolge Demonstranten festgenommen und sie in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen abtransportiert – eine Vorgehensweise, die man mit Diktaturen in Verbindung bringt, nicht mit Demokratien.

»Ich denke, es ist gerechtfertigt, dass die Bundesregierung eingreift«, sagte der rechtskonservative Kommentator Geoffrey Ingersoll am Freitag in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Radiosender National Public Radio (NPR). »Wir haben es hier mit gewalttätigen linken Gruppen zu tun, die sich die derzeitige Situation zunutze machen.«

Der Bürgermeister von Portland, der Demokrat Ted Wheeler, beschuldigte hingegen die Bundesregierung, die Lage in der Stadt verschlimmert zu haben. »Die Situation ist an sich schon angespannt«, sagte er NPR am vorvergangenen Sonntag. »Aber nach fast fünf Wochen andauernden Demonstrationen haben wir zuletzt nur eine kleine Handvoll Menschen gesehen, die sich kriminell betätigt haben. Die Situation beruhigte sich gerade.« Dann habe die Regierung brutal durchgegriffen. Man wisse nicht, warum die Bundesbeamten in Portland seien. »Wo gab es hier einen hinreichenden Verdacht, um Menschen in nicht gekennzeichnete Autos zu zerren?« Die Gouverneurin von Oregon, die Demokratin Kate Brown, sagte NPR, das Verhalten der Beamten gieße »Öl ins Feuer«. Der Kongressabgeordnete Earl Blumenauer von der Demokratischen Partei, der Portland im Repräsentantenhaus vertritt, sagte dem öffentlich-rechtlichen Radiosender Oregon Public Broadcasting, es gebe keine Entschuldigung für das brutale und unrechtmäßige Vorgehen der ­Regierung: »Diese Provokation ist doch nur für die Fernsehkameras inszeniert.«

Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, zeigte am Freitag vergangener Woche vor Journalisten Aufnahmen von Demonstranten in Portland, die die Polizei beschimpften. Die unmissverständlichen Signale aus dem Weißen Haus werden von rechten Medien wie Fox News aufgegriffen und verstärkt. Die Nachrichtenwebsite Politico schrieb, die Regierung inszeniere in Portland einen »Wahlkampfspot«. Chad Wolf wies diese Kritik zurück: »Wir werden unseren Job machen, egal, ob das den Leuten gefällt oder nicht,« sagte er am Montag voriger Woche dem Fernsehsender Fox News.

Beide Seiten spielen ihre Rollen in einem entwürdigenden Schauspiel, und die Situation eskaliert. Gefährlich ist das vor allem für die potentiellen Opfer staatlicher Übergriffe. Trump kündigte vorige Woche an, bis zu 75 000 weitere Beamte nach Chicago, Albuquerque und andere Städte zu entsenden.