Die Überreste der Friedensbewegung lassen Beobachter:innen ratlos zurück

Kaffeefahrt ins Märchenland

Der Berliner Ostermarsch wehrt sich gegen den Vorwurf der Querfront.
Raucherecke Von

Die Schiebermützendichte war hoch an diesem Samstagnachmittag auf dem Elise-und-Otto-Hampel-Platz in Berlin-Wedding. In die Jahre gekommene Paare starrten auf die Redner:innenbühne. Dass sich der Berliner Ostermarsch unter dem Motto »Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg« wie eine melancholische Kaffeefahrt anfühlte, lag aber nicht nur am hohen Altersdurchschnitt der etwa 1 500 Teilnehmenden. Die Redner:innen taten ein Übriges.

Gleich zu Beginn beschwor Lühr Henken, Co-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, die Wiederkehr des Kalten Kriegs durch das hypothetische Szenario, dass die USA Hyperschallraketen in Wiesbaden stationieren könnten. En detail erklärte er das Waffensystem, das den russischen Präsidenten »persönlich gefährdet« – ohne zu erwähnen, dass seine Stationierung in Deutschland und der Ukraine reine Spekulation ist. Die »hoffnungslose Unterlegenheit« der Ukraine dagegen sei so gut belegt, dass sie »gut beraten« sei, »jetzt in Verhandlungen einzuwilligen«.

Die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić erinnerte daran, dass die Friedensbewegung nicht nur beim Ukraine-Krieg, sondern schon bei den Kriegen in Mali, im Jemen, im Irak, in Afghanistan und in Jugoslawien »nie geschwiegen« habe. Wie unterschiedlich all diese Kriege waren, war ihr kein Wort wert. Das Einzige, was für sie und die anwesenden »Friedensfreunde« zu zählen scheint, war die Beteiligung des Westens an all jenen Konflikten.

»Das ist wertebasierte feministische Außenpolitik«, rief Nastić sarkastisch und voller Pathos, als hätte sie einen Beweis geführt, »das sind eure westlichen Werte!« Die Menge applaudierte nach diesen Worten so laut wie wohl an keiner anderen Stelle. Im Feindbild »Westen« war man sich hier einig. Wenig überraschend wurde denn auch in keinem Redebeitrag der Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine gefordert.

Die North East Antifa Berlin warf dem Netzwerk Friedenskooperative vor, seit dem Ostermarsch 2022 den Schulterschluss mit Rechten und Verschwörungstheoretikern zu suchen.

Die Moderatorin Christa Weber verlas die Rede Jutta Kauschs vom Netzwerk Friedenskooperative (Friko), die wegen einer Erkrankung nicht selbst auftreten konnte. Mit beängstigender Emphase rezitierte Weber das Brecht-Lied »Die Gleichgeschalteten«. Es sollte bekräftigen, dass »unabhängige Meinungsbildung, freies Reden und Denken in diesem Land rar geworden sind«. Und natürlich durfte auch ein Liedermacher, in diesem Fall Karsten Troyke, nicht fehlen. Mit rauer Stimme träumte er davon, sein Lager auf einer einsamen Insel aufzuschlagen, um »diesen Wahnsinn hier« zu ­entrinnen.

Immerhin, die Moderatorin Weber stellte sich zumindest darin der Wirklichkeit, dass die Friedensbewegung in diesem Jahr nicht geeint, sondern »gespalten« sei. Als Grund nannte sie die fehlende Unterstützung der Partei »Die Linke« und »Verleumdungen« durch Kritiker:innen. Darunter dürfte auch eine Stellungnahme der North East Antifa Berlin (NEA) kurz vor der Demonstration fallen.

Darin hatte die NEA der Friko und insbesondere ihrer Pressesprecherin Laura von Wimmersperg vorgeworfen, seit dem Ostermarsch 2022 den Schulterschluss mit Rechten und Verschwörungstheoretikern zu suchen. Genannt wurden als Beispiele dafür die »Freie Linke« und die Partei »Die Basis«, beide aus dem »Quer­denken«-Milieu. Die Friko insistierte in einer Antwort darauf, dass man nicht mit »tatsächlich rechten Gruppierungen« wie Reichsbürgern, AfD oder dem Magazin Compact zusammenwirke. Die »Freie Linke« und »Die Basis« halte man dagegen nicht für rechts.

»Ich verstehe nicht, was hier passiert«, kommentierte eine Passantin das Geschehen. Genau in dem Moment war in der Menge eine Palästina-Fahne zu sehen, vor der eine Deutschland-Fahne wehte.

Eine Gegendemonstration der Gruppe »Right to Resist – Linke Ukraine-Solidarität Berlin« störte die Kundgebung in unmittelbarer Nähe mit 20 bis 30 Personen.