Rena Molho, Historikerin, im Gespräch über die deutsche Besatzung Griechenlands

»Man will sich nicht so genau erinnern«

Die Historikerin Rena Molho hat über die deutsche Besatzung Griechen­lands im Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen an der ­jüdischen Bevölkerung geforscht, von der fast 90 Prozent ermordet wurde. Ein Gespräch über die Rettung verfolgter Juden, Nazi­kollaborateure und den derzeitigen Antisemitismus in Griechenland.
Interview

In Thessaloniki erinnern noch immer viele Gebäude an ihre ehemaligen jüdischen Besitzer. Doch viele Griech:innen und Besucher:innen sind sich der jüdischen Vergangenheit der Stadt nicht bewusst. Warum ist dies so?
Dass die jüdische Vergangenheit Thessalonikis totgeschwiegen wird, liegt daran, dass die Stadt über Jahrhunderte die größte sephardische Gemeinde Europas beherbergte und deren Sprache, das Ladino, den Alltag prägte. Das prägte den Charakter der Stadt, die deshalb als das »Jerusalem des Balkans« bezeichnet wurde. Vor allem aber liegt es daran, dass die jüdischen Ein­wohn­er:in­nen, als sie in die Vernichtungslager der Nazis deportiert wurden, über 10.000 Wohnungen und Häuser zurückließen, die von ihren christlich-orthodoxen Mitbürger:innen, die mit den Besatzer:innen kollaborierten, beschlagnahmt wurden. Die Vergangenheit der Stadt ist also bekannt, man will sich aber nicht so genau erinnern.

Was muss sich Ihrer Meinung nach an der staatlichen Erinnerungspolitik in Griechenland ändern?
Was die griechischen Juden und das Andenken an die Opfer des Holocaust betrifft, sollte der griechische Staat seine offizielle Version der Geschichte aufgeben, die behauptet, dass alle Griechen gemeinsam Juden gerettet haben. In einigen Gegenden Griechenlands, wie in Katerini, in Volos, auf Zakynthos, wurden fast alle Juden und Jüdinnen gerettet, während in anderen Städten wie in Thessaloniki, auf Korfu und in Ioannina, mehr als 96 Prozent ausgelöscht wurden.

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