Nicht nur der Westen ist wegen der Instabilität Russlands ratlos

Außer Kontrolle

Der Aufstand der Söldnergruppe Wagner zeigt die Insta­bi­lität Russlands, die in den Zerfall übergehen könnte.
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In der internationalen Diplomatie kommt es auch darauf an, was nicht gesagt wird. Es überraschte nicht, dass die chinesische Regierung den bewaffneten Aufstand der Söldnergruppe Wagner als »innere Angelegenheit« Russlands bezeichnete. »Als Russlands befreundeter Nachbar und umfassender strategischer Partner für die Koordination in der neuen Ära unterstützt China Russland dabei, die nationale Stabilität zu erhalten und Entwicklung und Wohlstand zu erreichen«, ließ das chinesische Außenministerium verlauten. Doch es fehlte eine explizite Unterstützungserklärung für Präsident Wladimir Putin, überdies erfolgte die Stellungsnahme erst am Sonntag – nach der vorläufigen Einigung mit der Wagner-Gruppe und einem Besuch des stellvertretenden russischen Außenministers Andrej Rudenko in Peking.

Das kann als Rüge verstanden werden, denn die Blamage des wichtigsten strategischen Partners im Kampf gegen die Demokratie fällt auch auf China zurück – wenigstens den Anschein von Stabilität sollten Autokratien ja wahren können, wenn sie als Alternative zum Durcheinander des Parteiengezänks gelten wollen. Die chinesische Zurückhaltung ist aber wohl auch ein Ausdruck der Verunsicherung.

Eine gut ausgerüstete Truppe in Divisionsstärke hat genügt, um Putin zu zwingen, Verrat und bewaffneten Aufstand zu verzeihen. Hält er sein Wort, zeigt er Schwäche und ermutigt weitere Rebellionen insbesondere im Militärapparat, aber auch in Republiken der Russischen Föderation, deren Führungsschichten mit der Moskauer Herrschaft unzufrieden sind. Kommt es doch noch zu einer »Säuberung«, besteht die Gefahr einer erneuten Eskalation.

Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Kämpfer Jewgenij Prigoschins versucht hätten, sich auf dem Weg nach Moskau in der Basis »Woronesch-45« gelagerter Nuklearsprengköpfe zu bemächtigen. Unberechtigt ist die Sorge jedoch nicht.

Deshalb hält sich die Freude bei den westlichen Regierungen in Grenzen, obwohl die Schwächung Putins der Ukraine nützen könnte. Es sei »keine gute Sache, zu sehen, dass eine Nuklearmacht wie Russland in eine Phase der Instabilität übergehen kann«, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Zum Glück ist es nicht ganz einfach, eine erbeutete Atomwaffe auch einzusetzen, und es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Kämpfer Jewgenij Prigoschins versucht hätten, sich auf dem Weg nach Moskau in der Basis »Woronesch-45« gelagerter Nuklearsprengköpfe zu bemächtigen. Unberechtigt ist die Sorge jedoch nicht.

In dem oft als Machtvertikale bezeichneten politischen System Russlands sind alle Institutionen auf den Präsidenten ausgerichtet, dem aber eine effiziente zentralisierte Bürokratie fehlt, um seine Herrschaft durchzusetzen. Putin hat dieses System aufgebaut, um potentielle Konkurrenten, ob Gouverneure oder Oligarchen, auszuschalten, kann es aber nicht kontrollieren.

Das ist auch für die westliche Russland-Politik von Bedeutung. Die Befürchtung, in Russland könne ein Bürgerkrieg ausbrechen, bei dem Ultranationalisten sich Atomwaffen verschaffen, könnte jene Kräfte stärken, die Putin als Garanten der Stabilität sehen und ihn rehabilitieren wollen. Doch die vom russischen Präsidenten aufgebaute Machtvertikale ist die Ursache der Instabilität, die, verschärft durch die Folgen des Ukraine-Kriegs, in den Zerfall übergehen könnte. Mit Prigoschin rebellierte ein von Putin geförderter und hochgerüsteter Gefolgsmann. Die erratische Reaktion auf dessen Aufstand erweckte den Eindruck, dass sich auch der Präsident und sein engstes Umfeld über die Machtverhältnisse und Loyalitäten nicht im Klaren waren.