Der alltägliche Rechtsextremismus in Südbrandenburg

Flucht aus Burg

In Südbrandenburg gehört Neonazi-Gebaren zum Alltag. Das zeigt der Fall der Lehrerin und des Lehrers, die öffentlich auf Rechtsextremismus an ihrer Schule aufmerksam machten. Nun haben sie die Schule gewechselt.

Die Gemeinde Burg liegt etwa 20 Kilometer nordwestlich von Cottbus im Spreewald. In dem kleinen Ort, auf Niedersorbisch Bórkowy, befindet sich die einzige weiterführende Schule im Umkreis, die Grund- und Oberschule »Mina Witkojc«. Dort erlebten »die wenigen ausländischen und toleranten Schüler« jeden Tag »Ausgrenzung, Mobbing und Gewaltandrohungen«. So war es in einem offenen Brief zu lesen, den ein Lehrer und eine Lehrerin der Schule im April veröffentlichten. Inzwischen haben sie die Schule verlassen.

Der Brief hatte die Allgegenwart ex­trem rechter und rassistischer Einstellungen im Schulalltag thematisiert. Später hat ein anonymer Brief von Schülern diese Schilderungen bestätigt. Der Hitlergruß werde regelmäßig gezeigt, hieß es dort, die meisten Lehrkräfte schauten nur weg, viele der Schüler seien Mitläufer.

Die mediale Resonanz war groß, die Lehrerin und der Lehrer sollen den diesjährigen »Preis für Zivilcourage gegen Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Rassismus« bekommen, den der Förderkreis »Denkmal für die ­ermordeten Juden Europas e. V.« vergibt. Doch in Burg wurden sie auch angefeindet. Eltern forderten in einem Brief an die Schulleitung ihre Entlassung. Anfang Juli tauchten Aufkleber mit den Konterfeis der beiden Lehrkräfte und der Aufforderung »’pisst euch nach Berl*in« auf. Auf Instagram wurde zur »Jagd« auf sie aufgerufen. Der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen. Als mutmaßlicher Autor des Aufrufs wurde inzwischen ein 16jähriger aus der Region ausfindig gemacht.

Ein anonymer Brief von Schülern bestätigte die Schilderung der Lehrerin und des Lehrers: Der Hitlergruß werde regelmäßig gezeigt, die meisten Lehrkräfte schauten nur weg.

Am Ende zeigte die Hetzkampagne Wirkung. Mitte Juli gaben die beiden Betroffenen bekannt, die Schule verlassen zu wollen. Dass die übrigen Lehrerinnen und Lehrer nicht geschlossen hinter ihnen standen, dürfte dabei durchaus eine Rolle gespielt haben. Das Kollegium sei tief gespalten, sagte einer der beiden dem RBB, manche Lehrkräfte grüßten ihn und seine Kollegin zum Teil nicht mehr.

Es ist ein klarer Sieg für die extreme Rechte in der Lausitz. »Bürgerliches Engagement wirkt«, frohlockte der Cottbuser AfD-Kreisvorsitzende Jean-Pascal Hohm, ein »linksradikaler Denunziant« und dessen »Genossin« seien weg. Hohm selbst hat sein Profilbild auf Face­book mit der Fahne des »Stolzmonats« unterlegt, einer queerfeindlichen Online-Kampagne gegen den »Pride Month«.

In Brandenburg stuft der Verfassungsschutz den Jugendverband der Partei, die Junge Alternative (JA), seit kurzem als gesichert rechtsextremistisch ein. In seinem aktuellen Bericht beschreibt das Landesamt überraschend treffend, was in Brandenburg geschieht: Die extreme Rechte verfolge das Ziel, »die Mitte der Gesellschaft ideologisch zu durchdringen«. Die AfD und ihre Jugendorganisation werden als »zentrale Entgrenzungsakteure« bezeichnet. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD in Burg 25,1 Prozent der Stimmen.

Die beschriebene Entgrenzung prägt nicht nur im schulischen Bereich den Alltag So wird ein Restaurant im Ort, das passenderweise »Deutsches Haus« heißt, von Daniel Grätz betrieben, den der Tagesspiegel als Neonazi bezeichnet und der nachweislich an Veranstaltungen der extremen Rechten wie etwa dem »Schild-und-Schwert-Festival« der NPD im sächsischen Ostritz 2018 teilgenommen hat.

Von Grätz gibt es auch ein Foto, das ihn in einem T-Shirt der offiziell aufgelösten, praktisch jedoch in der Kurve des Regionalligisten Energie Cottbus weiter sehr präsenten Gruppierung Inferno Cottbus zeigt, die der RBB treffend als »Sammelbecken für Rechtsextreme« bezeichnete. Inzwischen haben sich einige der Mitglieder in der »Kampfgemeinschaft Cottbus« neu formiert. 2019 ging die Polizei mit mehreren Razzien gegen die Gruppe vor. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung wurden jedoch eingestellt, weil keine »gefestigte Organisation mit festgelegten Gruppenstrukturen, Rollen und Akteuren« nachgewiesen konnte, wie die Staatsanwaltschaft Cottbus es ausdrückte.

Eine solche »gefestigte Organisation« aber braucht es in Cottbus und Umgebung wohl gar nicht mehr. In der gesamten Region sind extrem rechte Netzwerke aktiv, und nicht zuletzt die verschwörungstheoretischen Mobilisierungen während der Covid-19-Pandemie haben die Grenzen des Denk- und Sagbaren deutlich und wohl dauerhaft verschoben. Nicht nur die AfD ist in der Lausitz überaus präsent, auch die neonazistische Kleinstpartei »Der III. Weg« ist dort aktiv, ebenso wie die in »Die Heimat« umbenannte NPD. Nach wie vor in Cottbus ansässig ist die Modemarke »Label 23«, die die Bild-­Zeitung als »Neonazi-Label« bezeichnet. Rechtsextreme dominieren zudem das örtliche kriminelle Milieu. Lokale Antifaschisten haben der Jungle World berichtet, dass die örtliche Justiz nur äußerst zögerlich gegen rechtsextreme Angriffe vorgehe. Neonazistische Aufkleber und Schmierereien sind fester Bestandteil des Straßenbilds.

Es ist genau diese starke Präsenz, vielleicht mancherorts sogar Hegemonie der extremen Rechten im Alltag, von der die beiden Lehrkräfte in Burg nun offenbar genug hatten. Für die Menschen in der Lausitz, die sich von Menschenrechten und Demokratie noch nicht endgültig verabschiedet haben, wird es in Zukunft nicht unbedingt einfacher werden.