Bad wie Bad Blue Boys
Athen. Es ist das Topthema der Fernsehnachrichten und der Titelseiten der Zeitungen in Griechenland. »Mörderische Sturmbataillone von kroatischen Nazis ziehen durch Athen«, mit solchen oder ähnlichen Teasern begannen über mehrere Tage alle großen Sender des Landes, auch die in ihrer Wortwahl normalerweise zurückhaltende staatliche Rundfunkanstalt ERT, ihre Nachrichten. Am Montag voriger Woche hatte die Hooligan-Gruppe Bad Blue Boys, die den kroatischen Fußballmeister GNK Dinamo Zagreb zum Champions-League-Qualifikationsspiel bei AEK Athen begleitete, in Griechenland Chaos ausgelöst.
Trotz eines Verbots für organisierte Fans aus Kroatien, zu der für den Dienstag voriger Woche angesetzten Partie anzureisen, machten sich 150 bis 200 Mitglieder der Bad Blue Boys auf den Weg. Sie reisten im Konvoi mit Autos und Kleinbussen durch Montenegro und Albanien und durchquerten Griechenland, um sich in Athen mit einer verbündeten Fangruppe des Lokalrivalen von AEK, Panathinaikos Athen, an einer U- und S-Bahnstation zu treffen. Die Pläne der Gruppe waren den griechischen Behörden weitgehend bekannt. An Hinweisen auf eine mögliche Eskalation fehlte es nicht, unter anderem gab es von der montenegrinischen Polizei eine Warnung unter Angabe der Nummernschilder der Fahrzeuge der Bad Blue Boys.
Statt einzugreifen, entschieden sich die griechischen Polizisten dazu, die »Gruppe aus diskretem Abstand zu beobachten«. Auch dass die Athener Verkehrsbetriebe der Polizei mitteilten, in den Waggons der S-Bahn seien vermummte bewaffnete Gruppen unterwegs, löste keinen Alarm bei den Gesetzeshütern aus. Gemeinsam mit den Panathinaikos-Fans ging es für die Bad Blue Boys zur Opap-Arena, dem Stadion von AEK im Athener Vorort Nea Filadelfia. Dort hatte die Mannschaft von Dinamo Zagreb kurz zuvor unter starkem Polizeischutz das Abschlusstraining beendet.
Die Bad Blue Boys fielen in der Vergangenheit oft mit Hitlergrüßen und der Verherrlichung des Nationalsozialismus sowie des faschistischen Diktators und Hitler-Verbündeten Ante Pavelić auf.
Rund um das Stadion gibt es Cafés und Restaurants. Hier treffen sich allabendlich die Fans von AEK Athen. Es war warm, Familien mit Kindern genossen das Ambiente. Der Name AEK (Athlitiki Enosi Konstantinoupoleos, Sportvereinigung Konstantinopel) weist auf die Flüchtlingsvergangenheit der Gründer hin, die nach ihrer Vertreibung aus Istanbul 1924 den Club in Athen gründeten. Die größte Fangruppe von AEK, Original 21, steht für konsequenten Antirassismus und Antifaschismus ein.
Die Bad Blue Boys repräsentieren das genaue Gegenteil. Sie fielen in der Vergangenheit oft mit Hitlergrüßen und der Verherrlichung des Nationalsozialismus sowie des faschistischen Diktators und Hitler-Verbündeten Ante Pavelić auf. Unter den organisierten Fans von Panathinaikos Athen wiederum gibt es ebenfalls Gruppierungen, die als eindeutig rechtsextrem bezeichnet werden können.
Von der Ortskenntnis ihrer griechischen Helfer profitierend, die, anders als in der griechischen Printpresse, im Fernsehen nicht mit Panathinaikos in Verbindung gebracht wurden, stürmten die kroatischen Hooligans überfallartig den Platz rund ums Stadion. Vermummt, mit Knüppeln, Molotow-Cocktails, Leuchtraketen und Stichwaffen bewaffnet, schlugen sie auf alle und auf alles ein. Auch vor Schüssen mit den Leuchtraketen auf Familien schreckten sie nicht zurück. Die in der Nähe bereitstehende Polizeieinheit griff auf Befehl der Einsatzzentrale nicht ein. Sie blieb auch passiv, als der 29jährige Michalis Katsouris von hinten mit einem Messer erstochen wurde. Katsouris verblutete noch an Ort und Stelle. Der Sicherheitsdienst des Stadions griff ein und AEK-Fans organisierten sich zur Gegenwehr.
Erst danach wurde die Polizei aktiv. Sie setzte noch am Montagabend knapp 100 Bad Blue Boys fest. Eine Rasterfahndung nach den übrigen begann. Alsbald geriet jeder Kroate in Verdacht, zur Gruppierung zu gehören. So wurde ein zentral gelegenes Hotel in Athen von Kommandoeinheiten der Polizei umstellt. Im Fernsehen gab es Sonderberichte über Bad Blue Boys, »die sich in Hotelzimmern verschanzt haben«. Es stellte sich heraus, dass es schlicht Touristen waren. Tatsächlich aber gingen der Polizei an der Grenze, in Bussen und an Häfen weitere Hooligans ins Netz.
Die unerklärliche Passivität der Polizei hat erste Konsequenzen. Der selbst mit Rücktrittsforderungen konfrontierte Minister für Bürgerschutz, Giannis Oikonomou (Nea Dimokratia), entließ zahlreiche Polizeioffiziere – vor allem der Verkehrs- und Autobahnpolizei. Seinen Rücktritt schließt Oikonomou aus. Es sei nicht seine Aufgabe, für operative Fehlleistungen der Polizei geradezustehen, behauptet er.
Insgesamt wurden bis Sonntagabend alle 105 seit dem 7. August vorläufig festgenommenen Männer in Untersuchungshaft überführt. Über drei Tage lang mussten sie in Gruppen vor der Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichtern aussagen. Es handelt sich um 102 Kroaten, zwei Griechen und einen Angeklagten albanischer Herkunft. Sie wurden in 16 Gefängnisse in ganz Griechenland gebracht. Die Anklagepunkte sind schwerwiegend, gemeinsam begangener Mord und Bildung einer kriminellen Vereinigung sind die gewichtigsten.
Während Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenković das Handeln der Hooligans scharf verurteilte, kamen vom kroatischen Präsidenten Zoran Milanović, der im Vorjahr durch prorussische Aussagen aufgefallen war, verstörende Aussagen.
Die Verteidigungsstrategien der Verhafteten ähneln sich. Sie behaupten, entweder rein zufällig vor Ort gewesen zu sein, oder aber, dass sie friedlich ihrer Mannschaft zum Abschlusstraining applaudieren wollten und eigentlich vorhatten, mit Panathinaikos-Fans am übernächsten Tag zu deren in Athen stattfindenden Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Olympique Marseille zu gehen. Einer der verhafteten Griechen ist ein notorisch gewalttätiger Panathinaikos-Fan und Cafébesitzer, der nur gegen Auflagen auf freiem Fuß war. Von allen Verhafteten wurden DNA-Proben genommen. So wollen die Fahnder ermitteln, wer Katsouris erstach.
Während Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenković in einem Telefonat mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis das Handeln der Hooligans scharf verurteilte, kamen vom kroatischen Präsidenten Zoran Milanović, der im Vorjahr durch prorussische Aussagen aufgefallen war, verstörende Aussagen. Milanović verwies darauf, dass die Hooligans Bürgerrechte hätten und es kollektive Verfolgung, gar eine Vendetta sei, wenn alle Festgenommenen in Untersuchungshaft kämen. In Griechenland werden diese Äußerungen als unzulässige Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der griechischen Justiz eingestuft.
Auch sportlich gibt es Konsequenzen. Das auf vorigen Dienstag angesetzte Spiel wurde abgesagt und auf den 19. August verlegt. Vorher, am 15. August, muss AEK im Hexenkessel in Zagreb antreten; für Hin- und Rückspiel sind laut dem europäischen Fußballverband Uefa keine Gästefans zugelassen.
Und plötzlich sind alle internationalen Spiele in Griechenland Risikospiele. Als am Donnerstag nach dem Mord in Athen Aris Thessaloniki gegen Dynamo Kiew antrat, zeigten die Heimfans antiukrainische Banner. Zwei Tage zuvor hatten mit den Bad Blue Boys (BBB) verbrüderte Fans des ukrainischen Vereins in sozialen Medien Bilder von Bombenattrappen gepostet. Darauf stand an AEK und Griechenland gerichtet »Free BBB« und »BBB sind die Könige von Europa«. Auch Panathinaikos trifft es: Fans des Vereins dürfen nun gemäß eines eiligen französischen Präsidialerlasses nicht nach Marseille zum Champions-League-Qualifikationsrückspiel ihres Clubs reisen. Denn die Anhänger von Olympique Marseille pflegen eine Fan-Freundschaft mit AEK.
To be continued – könnte man sagen: Weitere internationale Spiele stehen in Athen noch an.