Verlorene und unverlorene Schritte
Was ist die Politik des Gehens in der Stadt? Worin besteht seine Poetik?
In André Bretons berühmtem surrealistischem Roman »Nadja« (1928) beschreibt der autobiographische Erzähler an einer Stelle, wie er einen Stapel Bücher in eine Bar bringt, in der er sich mit Nadja, die schnell zum Objekt seines eigentümlichen, um nicht zu sagen obsessiven, libidinösen und geistigen Begehrens wird, verabredet hat. Unter den Büchern befindet sich eine Ausgabe von »Les Pas perdus« (»Die verlorenen Schritte«; 1924), Bretons erste Essaysammlung, die er ohne Zweifel mitbringt, um Nadja zu erziehen und ihr zu imponieren. »Les Pas perdus?«, sagt Nadja, als sie den Titel sieht. »Das gibt’s doch gar nicht.«
Verlorene Schritte gibt es nicht!
Wenn man nach einem Prinzip suchte, in dem sich verdichtet, was man in Anlehnung an einen Buchtitel des verstorbenen Marshall Berman als »Modernismus der Straßen« bezeichnen könnte, würde man bei dieser Formulierung vielleicht fündig. Die Überzeugung, dass kein Schritt verloren ist, motiviert die Schriften all jener Autoren, deren verschiedene, zuweilen gegenstrebige Auseinandersetzungen mit dem Gehen als einer gesellschaftlich und psychologisch wichtigen Tätigkeit ich in diesem Buch untersuche oder rekonstruiere. Jene Autoren also, die die Städte, mit denen sie vertraut waren, neu und fremd erscheinen ließen, indem sie sie in einem Zustand der erhöhten Empfänglichkeit für die unablässigen Reize der Straßen ziellos und manchmal verzweifelt zu Fuß durchquerten. Doch auch heute noch, fast ein Jahrhundert später, hören wir in unseren Städten ein Echo dieser Lehre.
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