Steffen Geyer, Vorsitzender des Dachverbands deutscher Cannabis Social Clubs, im Gespräch über das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis

»Es gibt keinen rationalen Grund, Cannabis härter zu regulieren als Tabak oder Wein«

In der vergangenen Woche wurde die Schlussfassung des Cannabis­gesetzes bekannt, mit dem die Regierung Cannabisbesitz unter bestimmten Bedingungen legalisieren will. Mitte Dezember soll es im Bundestag verabschiedet werden. Steffen Geyer, Vorsitzender des Dachverbands der Cannabis Social Clubs, im Gespräch über Cannabismythen und Legalisierung als Wirtschaftsfaktor.
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Das Cannabisgesetz soll weniger streng ausfallen als zunächst geplant, beispielsweise soll der Besitz von 50 statt 25 Gramm an selbstangebautem Cannabis erlaubt werden. Es ist von einem Paradigmenwechsel im Umgang mit der Droge die Rede. Wie sehen Sie das?
Was die Legalisierungsbewegung haben wollte, steht nicht im Gesetz. Was wir bekommen, ist die kleinstmögliche Änderung, die sich noch als Liberalisierung verkaufen lässt. Im Prinzip hat die Regierung damit, dass der Entwurf des Cannabisgesetzes nun etwas weniger restriktiv ausfiel als zuletzt angekündigt, nur Sachen vorweggenommen, die Gerichte sowieso korrigiert hätten. Die Bußgelder sind weiterhin hoch. Es kann also durchaus passieren, dass man beispielsweise in Bayern 10.000 Euro zahlen muss, wenn man 26 Gramm dabei hat.

Das Konsumverbot in der Nähe von Schulen oder ähnlichen Einrichtungen soll nun für einen Abstand von 100 Meter Entfernung gelten, geplant waren zuvor 200 Meter.
Das gibt es für kein anderes Genussmittel. Je nachdem, welcher Quelle man glaubt, steht da »100 Meter« oder »in Sichtweite«. Beides ändert nichts daran, dass ich letztlich nicht weiß, ob ich mich gerade rechtssicher verhalte. Im Gesundheitsausschuss wurde auch kritisiert, dass das in der Praxis für die Konsument:innen und die Verfolgungsbehörden schwer zu kontrollieren und durchzusetzen ist. Es geht ja um Platzverweise und erhebliche Ordnungsgelder.

»Wird ein Jugendlicher mit Bier erwischt, wird der bestraft, der ihm das verkauft hat. Das Cannabisgesetz sieht dagegen vor, dass die Jugendlichen selbst Ärger bekommen.«

Es sagt keiner etwas, wenn Lehrer mit ihrem Motorrad zur Schule kommen. Durch Motorradfahren gibt es jedes Jahr 30.000 Verunglückte mit 500 Toten. Aber niemand kommt auf die Idee, Kinder vom Anblick von Motorrädern fernzuhalten, um sie nicht zu gefährden oder zu verführen. An dieser Stelle zeigt das Gesetz, dass es nicht um Gesundheitsschutz geht, sondern darum, die Moralvorstellung zu erhalten, dass Cannabiskonsum riskant sei und aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden müsse.

Also entspricht das Gesetz kaum dem, was Sie als Hanfaktivist seit Jahrzehnten fordern?
Der Dachverband der Social Clubs hat ein alternatives Gesetz entwickelt. Man könnte den Gesetzestenor komplett ändern, wenn man den Mut hätte, in Paragraph 2 nicht zu schreiben: »Es ist verboten, Cannabis zu besitzen«, sondern: »Es ist genehmigungspflichtig … « Das würde die Lesart von Gerichten und Polizei stark beeinflussen, denn so, wie es nun ist, kann immer noch die Polizei ermitteln und die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten.
Wenn ich ein Gesetz schreiben könnte, wäre es deutlich kürzer. Ich würde Cannabis im Jugendschutz wie Tabak und Alkohol behandeln. Cannabis ist keine risikoreiche Pflanze und auch die daraus hergestellten Genussmittel sind nicht risikoreich. Es gibt keinen rationalen Grund, Cannabis härter zu regulieren als Tabak oder Wein.

Brächte das vorgeschlagene Gesetz trotz Ihrer Kritik Vorteile für die Konsumenten?
Wir würden zugleich die liberalste Cannabisregelung Europas und die prohibitionistischste Legalisierung der Welt bekommen. Damit haben wir gute Chancen, dass es im nächsten Jahr etwa 180.000 Strafverfahren weniger gibt, und das kann ich nicht anders als einen Fortschritt nennen. Denn durch meine Arbeit bei der Grünen Hilfe weiß ich, was für traumatische Erfahrungen eine Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit sich bringen kann.

Wie stehen Sie zur Kritik von Ärzteverbänden, dass das Mindestalter von 18 Jahren im derzeitigen Gesetzentwurf zu niedrig sei?
Das menschliche Gehirn entwickelt sich ein Leben lang weiter und ist nicht mit 25 Jahren fertig entwickelt, wie da vielfach behauptet wird. Das ist eine willkürliche Grenze, wovon wir hier viele haben. Und es gibt Studien dazu, dass Cannabis, wenn überhaupt, nur reversible Schäden verursacht – im Gegensatz zum Alkohol. Cannabis ist der normalen Biochemie des menschlichen Körpers so ähnlich, dass es fast keine messbaren Schäden hinterlässt.
Ich halte die hohen Altersgrenzen, die da ins Spiel gebracht werden, für falsch, weil es ja gerade die vulnerabelsten Gruppen allein lässt. Ich will nicht, dass 16jährige auf den Schwarzmarkt getrieben werden. Wird ein Jugendlicher mit Bier erwischt, wird der bestraft, der ihm das verkauft hat. Das Cannabisgesetz sieht dagegen vor, dass die Jugendlichen selbst Ärger bekommen. Da wird eine generalpräventive Wirkung unterstellt, die die Jugendlichen aber nicht abschreckt.

Also argumentieren auch die Ärzteverbände letztlich politisch?
Jeder, der an den Ausschüssen zum Gesetzentwurf beteiligt ist, hat eine politische Motivation. Dahinter stehen finanzielle Interessenkonflikte. Das ist ein von Unehrlichkeit und Unwissenschaftlichkeit geprägter Politikbereich. Ich unterstelle keine böse Absicht. Problematisch sind die verzerrten Stichproben, aus denen die Daten kommen. Kinderärzte, die Cannabis ablehnen, sind wie Feuerwehrleute, die Häuser ablehnen, weil sie sie oft brennen sehen. Sie gehen davon aus, dass alle Cannabiskonsumenten solche Probleme haben wie diejenigen, die wegen psychischer Probleme in ihre Praxen kommen.
Jedes Rauschmittel kann eine toxische Psychose auslösen. Ein Prozent der Bevölkerung hat eine genetische Disposition für Psychosen – und dieses eine Prozent haben wir in Ländern mit Cannabislegalisierung genauso wie in denen ohne. Ein kausaler Zusammenhang ist ein Mythos, dicht gefolgt von dem der »Einstiegsdroge«.

Dass es gesundheitliche Risiken auch beim Cannabiskonsum gibt, leugnen Sie aber nicht?
Natürlich hat jede Substanz Risiken. Die Frage ist, ob wir sie durch ein Verbot vermindern. Die Idee war ja, dass durch das Verbot die Nachfrage zusammenbricht und dadurch auch das Angebot. Das ist aber nicht der Fall – Menschen berauschen sich gern. Alles, was ein Zentralnervensystem hat, sucht den Rausch, wir sind Opfer unserer Biochemie. Es gibt ein Bedürfnis danach und das geht nicht weg, indem wir die Sub­stanz verbieten. Was wir aber durch das Verbot wegbekommen, ist die staatliche Kontrolle. Keine Droge wird für die Gesellschaft risikoärmer, wenn wir Jugendschutz, Qualitätskontrolle oder Verbraucherschutz der Mafia überlassen.

Würden Sie so auch für andere Drogen argumentieren?
Nahezu jedes Argument, dass man für die Legalisierung von Cannabis finden kann, gilt auch für andere Substanzen. Es gibt keine einzige Substanz, die ungefährlicher wird durch die Art, wie wir sie derzeit handhaben. Deshalb wäre es auch falsch, Alkohol und Tabak aufgrund der Risiken zu verbieten. Man muss den Mut haben, offen darüber nachzudenken, wie wir die Substanzen als Gesellschaft gut regulieren können. Hilft es den Konsumenten wirklich, wenn wir sie zusätzlich auch noch auf den Schwarzmarkt treiben und die Gesundheitskontrolle des Staats abschaffen? Die Substanzen stattdessen in Apotheken anzubieten, wo Beratung stattfinden kann, statt in schmuddeligen Ecken in Parks, wäre doch viel besser. Es gibt für jede Droge einen vernünftigeren Abgabeweg als das Verbot.

»Jeder, der an den Ausschüssen zum Gesetzentwurf beteiligt ist, hat eine politische Motivation. Dahinter stehen finanzielle Interessenkonflikte. Das ist ein von Unehrlichkeit und Unwissenschaftlichkeit geprägter Politikbereich.«

Zum Glück diskutieren wir in einem globalen Maßstab über die Legalisierung von Cannabis. In den USA und in Kanada ist die Akzeptanz für einen legalen Cannabismarkt schon relativ hoch. Als Nächstes wird wahrscheinlich Psilocybin, also magic mushrooms, zugelassen. Und auch MDMA ist wieder für Psychotherapie verwendbar, nachdem es jahrzehntelang verteufelt wurde.

Hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Gespräch mit der Legalisierungsbewegung gesucht?
Bisher hat er nicht mit der Szene gesprochen, weder mit dem Deutschen Hanfverband noch mit dem Dachverband oder der Patientenvereinigung. Aber die Kinderärzte, Jugendpsychiater und Verkehrspsychologen, die Bedenkenträger und Prohibitionsgewinnler geben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Und ich möchte wetten, dass die Beamten im Gesundheitsministerium dieselben sind, die seit mehr als 20 Jahren die Prohibitionskampagnen abwickeln. Die haben einfach keinen Bock, dazuzulernen.

Dabei würde sich eine Legalisierung ökonomisch auszahlen.
Es würden jährlich mindestens etwa 1,8 Milliarden Euro durch wegfallende Repressionskosten gespart werden und über 2,2 Milliarden Einnahmen durch Cannabissteuer und Umsatzsteuer entstehen. Und es würde mehr als 25.000 versicherungspflichtig Beschäftigte in der Branche geben, aber eben nicht, wenn es wie nach dem jetzigen Gesetzentwurf geregelt werden würde.
Ich glaube, dass das Gesetz nur der erste Schritt sein wird. Der zweite wird vielleicht weitere zehn Jahre brauchen, aber er wird kommen, auch weil unsere Nachbarländer mutigere Schritte gehen werden als wir. Liechtenstein, die Niederlande, Tschechien und auch Polen diskutieren eine Legalisierung.

Geht es bei der bisher angewandten restriktiven Handhabe des Staats auch um eine gewisse Angst vor progressiven oder kritischen Menschen?
Ich glaube nicht daran, dass Cannabis bessere Menschen macht. Unter Nazis gibt es genauso viele Kiffer wie bei der CDU oder den Grünen. Wir erfahren als Cannabiskonsumenten einfach so viel Substanzismus (die Auffassung, manche Drogen seien kategorisch besser oder schlechter als andere, Anm. d. Red.), dass wir den manchmal selbst auch auf andere projizieren. So gut wie niemand, der heute lebt, hat Erfahrungen mit einem legalen Drogenmarkt gesammelt. Das ist Teil unserer Sozialisierung, die wenige hinterfragen. Ich würde es auf jeden Fall entpolitisieren. Cannabisprodukte müssen wieder den Status von Gummibärchen oder Schokoriegeln bekommen, wie sie ihn vor 100 Jahren hatten. Damals hätte niemand verstanden, warum wir so ein Bohei um die Legalisierung machen.

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Steffen Geyer

Steffen Geyer

Bild:
privat

Steffen Geyer ist Vorsitzender des Dachverbands deutscher Cannabis Social Clubs – Vereine zur unkommerziellen Organisation des kollektiven Anbaus von geringen Mengen –, einer der Direktoren des Hanfmuseums in Berlin und SPD-Mitglied. Geyer engagiert sich im Selbsthilfenetzwerk Grüne Hilfe und ist langjähriger Versammlungsleiter der Hanfparade, der größten deutschen Demonstration für die Entkriminalisierung von Hanfprodukten.