Sven Riesel, Stiftung Sächsische Gedenkstätten, im Gespräch über die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein

»Die letzte Station der Todgeweihten«

Die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein in der sächsischen Stadt Pirna diente den Nationalsozialisten für den Massenmord an psychisch Kranken und Menschen mit Behinderung in der sogenannten Aktion T4. Mittlerweile dient ihr früherer Sitz als Gedenkstätte; nicht so die angrenzende Busgarage. Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten sorgt sich derzeit um ihren Erhalt. Die »Jungle World« sprach mit Sven Riesel von der Stiftung darüber.
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Warum sorgen Sie sich um die Busgarage?
2021 wechselte der Eigentümer der Garage. Die Erbin des verstorben Liegenschaftseigners hatte die Garage übernommen und wenig später an eine Eigentümergemeinschaft verkauft, die dort nun Wohnungen einbaut. Das passiert bereits seit Herbst dieses Jahres, was leider schon dazu geführt hat, dass ganz wesentliche historische Bausubstanz verlorengegangen ist.

Warum ist die Garage nicht Teil der Gedenkstätte?
Die Gedenkstätten, die wir betreiben, gehören entweder dem Freistaat oder Gemeinden oder privaten Eigentümern. Normalerweise gibt es dann Nutzungsverträge, so dass uns als Gedenkstättenstiftung eine langfristige Nutzung möglich ist. Bezüglich der Busgarage waren wir mit dem Freistaat Sachsen in Kontakt. Uns wurde auch zugesichert, dass dieser die Liegenschaft übernehmen würde. Am Ende fehlte es allerdings am Geld. Da ist wirklich eine Chance vertan worden, dieses wichtige Gebäude in öffentliche Eigentümerschaft zu überführen und damit auch zu sichern.

»Für die zum Tod geweihten Menschen war die Busgarage eine der letzten Stationen. Dort stiegen sie aus, bevor sie in die Umkleideräume geführt und in den Gaskeller von Pirna-Sonnenstein umgebracht wurden.«

Warum hätten Sie die Garage sichern wollen?
Aus erinnerungskultureller und gedenkstättenpädagogischer Perspektive ist die Garage ein Dreh- und Angelpunkt. Sie war das Zentrum der Logistik. Dort kamen die Menschen an, die umgebracht werden sollten. Für die zum Tod geweihten Menschen war die Busgarage eine der letzten Stationen. Dort stiegen sie aus, bevor sie in die Umkleideräume geführt und in den Gaskeller von Pirna-Sonnenstein umgebracht wurden.

Um wie viele Busse handelte es sich dabei?
In der Garage waren dauerhaft drei Busse untergebracht, die zum Transportkommando der Aktion T4 gehörten. Zeitweilig gab es sogar noch einen vierten Bus. Diese Busse fuhren quer durch das Reich und sammelten psychisch kranke Menschen ein, um sie in Pirna-Sonnenstein zu ermorden – insgesamt waren es ungefähr 14.000 Menschen. Das waren also in etwa 100 Busfahrten, die da bis August 1942 stattgefunden haben.

Was passierte nach 1945 mit der Busgarage?
Die Garage wurde von unterschiedlichen Inhabern genutzt. Zuerst als Werkstatt für die Heil- und Pflegeanstalt. Von 1949 bis 1953 nutzte die Kasernierte Volkspolizei die Garage, später dann der VEB Entwicklungsbau Pirna. Nach der friedlichen Revolution diente die Garage in privater Hand noch kurzzeitig als Kfz-Werkstatt. Als die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein im Jahr 2000 eröffnet wurde, stand die Garage längst leer und war sich selbst überlassen – seitdem verfällt sie von Jahr zu Jahr mehr.

Was würden Sie sich in Zukunft für die Busgarage wünschen?
Wir wünschen uns, dass nur sehr behutsam umgebaut wird und dass möglichst viele historische Spuren sichtbar gelassen werden. Falls es baulich nicht anders möglich ist, sollten diese historischen Spuren zumindest so weit bewahrt werden, dass sie auch wiederhergestellt werden können. Und bestenfalls können wir in der Garage doch noch eine Fläche anmieten und dort Bildungsarbeit machen – dafür stehen wir mit dem Sächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Kontakt.