Hauptsache provozieren
Vor dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte weht eine Israel-Fahne in der Sonne. Gegenüber, am Neptunbrunnen, sammeln sich Demonstranten unter einem Meer von palästinensischen Flaggen. Die antizionistische Gruppe »Jüdische Stimme« und trotzkistische Gruppen haben aufgerufen, um unter dem Motto »Jüd:innen gegen den Gaza-Genozid« ihren Hass auf Israel zu verbreiten.
Mit dabei ist die Gruppe »Arbeiterinnenmacht«, die ein Ende der »Kriminalisierung« der Hamas sowie die Freilassung aller palästinensischen Terroristen aus israelischen Gefängnissen fordert. Auch eine Gruppe, die sich als »Revolutionäre Linke« bezeichnet, ist an der Hasskundgebung beteiligt. Im November diskutierte diese noch darüber, ob Islamisten für die radikale Linke ein geeigneter Bündnispartner im Kampf gegen Israel sein könnten.
Linke Kunststudenten mit Palästinensertuch unter dem modischen Barett unterhalten sich mit Prenzlauer-Berg-Yuppies. Immer wieder rufen die Anwesenden »Free Palestine«, wie ein Mantra, mit dem man sich gegen Zweifel und Argumente schützt.
Ausgerechnet am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, treffen sich diese Gruppen, um gegen den jüdischen Staat zu demonstrieren. Rund 400 Personen sind es zu Beginn. Andächtig lauschen sie den Benimmregeln, die ein Mitglied der »Jüdischen Stimme« vorliest. Während der Demonstration dürfe man keine Flaggen oder Puppen verbrennen, Israel nicht diffamieren oder zum Mord an Personen aufrufen, ermahnt sie ihre Gefolgschaft.
Linke Kunststudenten mit Palästinensertuch unter dem modischen Barett unterhalten sich mit Prenzlauer-Berg-Yuppies. Immer wieder rufen die Anwesenden »Free Palestine«, wie ein Mantra, mit dem man sich gegen Zweifel und Argumente schützt. Man bestaunt gegenseitig die kreativen Auswüchse auf den selbstgebastelten Pappschildern, beglückwünscht sich für den Einfallsreichtum. Manche sehen so schäbig aus wie der Inhalt, den sie transportieren. Zum Beispiel ist auf einem eine Karikatur des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu zu sehen, wie er mit dem US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden tote Kinder unter einen Teppich kehrt. Von allen Seiten wird das Plakat bewundert und zigmal fotografiert.
Auf einem anderen Pappschild liest man: »Deutsche Schuld = Holocaust + Nakba«, daneben sind ungelenk gezeichnete kleine Wassermelonen platziert. Etwas im Hintergrund der Demonstration wehen zwei Flaggen der IG Metall. Auf Nachfrage der Jungle World erklären die Männer, sie seien lediglich ein Arbeitskreis der Gewerkschaft, den »die sozialdemokratische Geschäftsführung zu deckeln versuche«.
Die »Jüdische Stimme« präsentiert eine an den angeblichen »Genozid« im Gaza-Streifen angepasste Version des jüdischen Gebetes »El Malei Rachamim«. Das Gebet wird unter anderem am israelischen Gedenktag Yom HaShoah für die Opfer des Holocaust und den jüdischen Widerstand aufgesagt. Junge Frauen verteilen Flugblätter für eine weitere Demonstration Anfang Februar. Ihr Make-up färbt ab auf ihr schneeweißes Palästinensertuch. Der »Tagesschau« zufolge beteiligten sich insgesamt 2.500 Personen.
Dem gegenüber stehen rund 160 Menschen auf der anderen Straßenseite. Dort, am Marx-Engels-Forum, dominiert die blau-weiße Flagge des jüdischen Staats. »Einmal Auschwitz war zu viel« heißt es da. Der Protest ist spontan organisiert worden, um sich dem Israelhass und Antisemitismus entgegenzustellen. Als Redner tritt unter anderem der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, auf. Die beiden Veranstaltungen trennen eine vierspurige Straße und Polizeigitter, über die sich die Teilnehmer beider Lager anschreien. »Shame on you«, hört man auf beiden Seiten.
Auch in Leipzig treffen sich an diesem 27. Januar rund 500 Personen, um das Gedenken an die Opfer der Shoah für ihren Hass gegen Israel zu missbrauchen. Eingeladen hatte die reaktionäre Gruppe Handala, die den Zionismus als »Ersatznationalismus der Bundesrepublik« bezeichnet und Israels Vernichtung als »antikoloniale Aufgabe« versteht. Die Massaker des 7. Oktober verklärt die Gruppe als Widerstand. Etwa 200 Menschen stellten sich dem unter dem Motto »Erinnern heißt Antisemitismus bekämpfen« entgegen.