Die Verkehrspolitik nimmt überfahrene Radfahrer in Kauf

Autos töten

Der Tod eines Fahrradaktivisten veranschaulicht drastisch die Dominanz des Autos in der Verkehrspolitik.
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»Aus noch unbekannter Ursache kollidierte der Citroën-Fahrer mit dem vorausfahrenden Mountainbike-Fahrer.« In Sätzen wie diesem drückt sich die Missachtung aller aus, die im Alltag nicht nur mit dem Auto unterwegs sind. Denn wenn zwei Personen kollidieren, passiert meist nichts allzu Schlimmes; ganz anders sieht es aus, wenn ein Auto mit einer Person kollidiert. Der euphemistischen Floskeln sind viele: Da werden Fußgänger von LKW »erfasst« und Fahrradfahrer »übersehen«. Häufig erklingt aus den Polizei- und Pressemeldungen noch bei den heftigsten Verkehrsunfällen Verständnis für die Motorisierten. In ihnen drückt sich die umfassende Dominanz der Autofahrerperspektive aus – und der Unwillen der Verantwortlichen, daran etwas zu ändern.

Mandalkas Tod scheint symptomatisch für eine autozentrierte Verkehrspolitik, aufgrund derer andere Verkehrsteilnehmer buchstäblich unter die Räder kommen.

Drastisch veranschaulichte das der Verkehrstod von Andreas Mandalka vergangene Woche, den der Eingangssatz beschreibt. Auf der Landstraße 574 bei Neuhausen in Baden-Württemberg wurde der 43jährige Radfahrer von hinten überfahren. Unter dem Pseudonym »Natenom« hatte er auf Social Media immer wieder gefähr­liche Überholmanöver dokumentiert. Polizei und Staatsanwaltschaft interessierten seine Meldungen meistens nicht: »Der Anzeige wird mangels öffentlichen Interesses keine Folge gegeben«, erhielt Mandalka regelmäßig als Antwort. Nun hat ihn das Schicksal ereilt, vor dem er stets warnte.

Sein Fall weckte viel Betroffenheit im Netz auch bei Menschen, die ihn nicht kannten. Sie alle sind mit riskanten Verkehrssituationen vertraut, die Autofahrer verschulden. Mandalkas Tod scheint symptomatisch für eine autozentrierte Verkehrspolitik, aufgrund derer andere Verkehrsteilnehmer buchstäblich unter die Räder kommen. Wie den Kommentaren zu entnehmen ist, haben allzu viele erlebt, dass Exekutive und Legislative nicht handeln wollen.

Und selbst wenn Änderungswille vorhanden ist, wird er gebremst. Verkehrsrecht regelt der Bund, weshalb Kommunen über wenig Handlungsspielraum verfügen. Weil das Auto Norm ist, gilt innerorts Tempo 50. Wenn Kommunen eine geringere Höchstgeschwindigkeit vorschreiben wollen, stehen sie in der Beweispflicht, müssen das zum Beispiel mit einem hohen Unfallaufkommen rechtfertigen. Seit 2021 plädiert der Deutsche Städtetag für Modellversuche mit Tempo 30. Der Initiative von ursprünglich sieben Kommunen haben sich bisher mehr als 1 000 Städte, Gemeinden und Landkreise mit der Forderung nach mehr Entscheidungsfreiheit angeschlossen. Dieser ist das Verkehrsministerium bisher nicht nachgekommen.

In der Vorstellung vom Auto­fahrer als dem idealtypischen Verkehrsteilnehmer werden alle anderen zu randständigen, also zu ignorierenden Interessengruppen.

Vor rund 60 Jahren kam das Schlagwort von der autogerechten Stadt auf. Der blecherne Verkehr sollte möglichst ungehemmt fließen. Die Menschen, die nicht in den Autos sitzen, kommen in diesem »Gerechtigkeitsprinzip« nicht vor. In der Vorstellung vom Auto­fahrer als dem idealtypischen Verkehrsteilnehmer werden alle anderen zu randständigen, also zu ignorierenden Interessengruppen. Diese Vorstellung ist längst noch nicht verschwunden, wofür der Streit um die Verlängerung der A 100 in Berlin nur ein Beispiel ist.

Wenn heute – vor allem bei urbaner Verkehrsplanung – in Abwehrkämpfen gegen alternative Mobilitätsszenarien von der »freien Wahl der Verkehrsmittel« gesprochen wird, verschleiert das die real vorherrschende Autozentriertheit. Der Raum im Straßenverkehr ist ungleich verteilt: Breite Fahrbahnen für Autos, gesäumt von parkenden PKW, schmal ist der Gehweg für die Fußgänger, mit Glück ist zwischen Autospur und Bürgersteig ein Radweg gezwängt.

Da müsste man erst einmal ein Gleichgewicht herstellen, bevor von freier Wahl die Rede sein könnte. Das heißt auch, alle Verkehrsteilnehmer zu Wort kommen zu lassen. Denn die autozentrierte Perspektive vernachlässigt auch in anderer Hinsicht die Diversität. Frauen etwa gehen viel öfter als Männer zu Fuß oder nutzen den ÖPNV. Kinder und Senioren haben divergierende Nutzungsinteressen und Ansprüche. Warum sie nicht einbeziehen?

Das wäre nicht nur im Sinne der Verkehrssicherheit positiv. Neben ökologischen Gründen, die ebenfalls fürs Einhegen des motorisierten Verkehrs sprechen, könnte man dann auch über neue Freiräume, mehr Grün und Orte des Zusammenkommens nachdenken.