Der bekannte Ökologe Andreas Malm findet Palästina wichtiger als den Klimawandel

Mit Lenin gegen den Klimawandel

Der Humangeograph Andreas Malm, ein Stichwortgeber der Klimabewegung, optiert für einen autoritären leninistischen Staat, um den Klimawandel zu bekämpfen. Malms Hang zu Gewalt- und Machtphantasien zeigt sich auch in seinem Lob für das Massaker der Hamas vom 7. Oktober.

In einem Interview, das der schwedische Humangeograph und Autor Andreas Malm jüngst seinem Verlag Verso Books und dessen Mitherausgeber Sebastian Budgen gab, sprach er über seine »tiefgreifende Besessenheit« von Palästina und der Ersten Intifada. Bekleidet mit einem T-Shirt der Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) äußert er die Hoffnung, dass Jordanien den Friedensvertrag mit Israel aufkündigen möge. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, den Malm kein einziges Mal als solchen bezeichnet, gilt ihm als ein Zeugnis von »Kreativität«.

Nachdem er sich in seinen Texten bereits positiv auf die PFLP bezogen und seine Bewunderung für den militärischen Anführer der Hamas, Mohammed Deif, kundgetan hat, bezeichnete er in einer Diskussionsrunde im Mai 2021 die Hamas als »globales Modell« für den politischen Kampf.

Der Klimaaktivist hat sich in der Vergangenheit schon häufig zum israelisch-palästinensischen Konflikt geäußert und immer wieder Parallelen zwischen dem, was er unter palästinensischem Widerstand versteht, und dem Kampf gegen die Klimakrise gezogen. Die Palästinenser:innen stilisiert er zum Prototyp des widerständen Subjekts und ihr Leid zu einer Chiffre für eine Welt, der der Klimakollaps bevorsteht. Das würde dann auch erklären, warum er sagt: »Emotional ist das (Palästina) womöglich das wichtigste politische Thema für mich. Die Klimafrage hat für mich einfach nicht die gleiche vulkanische Kraft wie meine Loyalität zu Palästina.«

Nachdem er sich in seinen Texten bereits positiv auf die PFLP bezogen und seine Bewunderung für den militärischen Anführer der Hamas, Mohammed Deif, kundgetan hat, bezeichnete er in einer Diskussionsrunde im Mai 2021 die Hamas als »globales Modell« für den politischen Kampf. Malms Bereitschaft, sich mit antisemitischen und reaktionären Terrorgruppen gemein zu machen, wirft die Frage auf, was er – einer der derzeit populärsten Ökomarxisten, der mit seinen Schriften den Anspruch erhebt, die Strategiedebatten der Klimabewegung zu beeinflussen – allgemein für Vorstellungen von Widerstand und dem Kampf gegen die ökologische Katastrophe hat.

In seiner Flugschrift »Klima|x«, die in der englischsprachigen Originalausgabe den Titel »Corona, Climate, Chronic Emergency. War Communism in the Twenty-First Century« trägt, schlägt Malm als Modell für staatliches Handeln in der Klimakrise einen »Ökoleninismus« vor, der sich den Kriegskommunismus der frühen Sowjetunion zum Vorbild nehmen soll. Nur ein leninistisch ausgerichteter Staat sei in der Lage, das »fossile Kapital«, das Malm als Urheber der Klimakrise ausgemacht hat, abzuschaffen.

Auch andere Kommunist:innen wie Jodi Dean sehen den Staat als ein In­strument zur Bewältigung der Klimakrise; es gelte nur, diesen zu übernehmen. Diese Vorstellung ist sowohl technokratisch als auch technikoptimistisch: Ist die Staatsmacht einmal erobert, könne die auf fossiler Energiegewinnung basierende Industrie demontiert und im nächsten Schritt könnten Geoengineering-Techniken eingesetzt werden, mit denen der Klimakrise beizukommen wäre.

Um dieses Ziel zur erreichen, fordert Malm »Offenheit gegenüber einem gewissen Grad an harter Staatsmacht«, die er exemplarisch in den Lockdowns verwirklicht sieht, die viele Regierungen in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie verhängt haben. Das Kapital habe das Nachsehen gehabt und für einen kurzen Zeitraum schien es, als wäre der Schutz der Bevölkerung vor einem potentiell tödlichen Virus wichtiger als die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Normalbetriebs.

Das hat Malm gewundert und er fragt sich, warum bei Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht mit einem ähnlichen Krisenbewusstsein gehandelt wird. Malm überschätzt hier die Autonomie des Staates: Das Ende einer Pandemie ist, wenn entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, absehbar; danach (und für viele Wirtschaftssektoren gilt: auch währenddessen) kann die Kapitalakkumulation wieder uneingeschränkt fortgesetzt werden. Wenn es um die Eindämmung des Klimawandels geht, kann der Kapitalismus nicht vorübergehend eingeschränkt oder ausgesetzt, sondern muss vollständig abgewickelt werden – das wird ein Staat in seiner Rolle als »ideeller Gesamtkapitalist« kaum tun.

Auch wo Malm sich als Bewegungslinker geriert, verfolgt er die leninistische Strategie und predigt deren Disziplin

Trotz seiner positiven Bezugnahme auf Lenins Kriegskommunismus spricht Malm sich gegen die dazugehörigen standrechtlichen Erschießungen und die Militarisierung von Arbeit aus. Er möchte den Kriegskommunismus minus die Gewalt und Repression, die von den Bolschewiki ausgingen. Dabei ist sein Rekurs darauf auch als rhetorische Effekthascherei zu verstehen. Bini Adamczak schreibt in ihrem Essay »Gestern Morgen«, dass es keine Idee gebe, »die getrennt und gesäubert von der Geschichte ihre eigene Existenz führte und zu deren Reinheit sich folglich Zuflucht nehmen ließe«. Der Plan, Lenin und den Kriegskommunismus mit dem Zusatz »Öko-« für die Klimakrise zu aktualisieren, läuft darauf hinaus, den Staat in autoritärster Form zu übernehmen, ohne so autoritär zu werden wie die Bolschewiki.

Malms Vorstellungen über die konkrete Politik eines ökoleninistischen Staats geht weit über das hinaus, was sich Regierungen von liberalen Demokratien an Eingriffen auch in das persönliche Leben der Menschen derzeit erlauben könnten, allerdings wird Malm diesbezüglich auch nicht besonders konkret. Zu meinen, dass ein Staat, der mit einer entsprechenden Machtfülle ausgestattet ist, nur die ökologisch notwendigen Maßnahmen ergreift, ohne die eigene Herrschaft darüber hinaus gewaltsam zu festigen, ist im besten Falle naiv und geschichtsvergessen – oder schlicht Ausdruck von Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft.

In seinem Buch »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«, das häufig als Gegenmodell zum staatsfixierten »Klima|x« verstanden wird, schlägt Malm von »kollektiver Selbstdisziplinierung« geleitete massenhafte Sabotage vor, die sich »den Richtlinien der Einsatzleitung« unterwirft, um »eine Aktion planmäßig durchzuführen«. Auch wo Malm sich als Bewegungslinker geriert, verfolgt er die leninistische Strategie und predigt deren Disziplin. Pazifismus, heißt es dort weiter, sei kein Wert an sich, sondern diene einzig einer »Selbstgerechtigkeit«, »die sich aus der Fetischisierung einer gelegentlich nützlichen Art der Taktik ergibt«.

Malms Polemik gegen Gewaltlosigkeit und seine konsequentialistische Auffassung, nach der kein Mittel und keine Handlung an sich moralisch verwerflich sei und nur anhand ihrer Auswirkungen bewertet werden könne, lassen eine gewisse Faszination für physische Gewalt erahnen, die sich auch in seiner Begeisterung für die Hamas widerspiegelt.

Gleichwohl spricht Malm sich in seinem Plädoyer für Sabotage und Eigentumszerstörung gegen die Gefährdung von Menschenleben aus. Das fromme Bekenntnis erscheint allerdings wenig glaubwürdig. Dass seine beharrliche Unterstützung einer antisemitischen und stockreaktionären Terrororganisation wie der Hamas für ihn keinen Widerspruch zu dieser Bekundung darzustellen scheint, diskreditiert nicht die direkte Aktion und die Sabotage an In­frastruktur fossiler Energiegewinnung, wohl aber Malm als ihren Fürsprecher.

Der augenscheinliche Widerspruch von Staatsfixierung in »Klima|x« und der Aufruf zur Zerstörung fossiler In­frastruktur in »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt« ist weniger einer Dialektik von Massenbewegungen und Staatsautorität geschuldet als vielmehr Ausdruck einer fanatischen Einstellung nach dem Motto »by any means necessary«. Ob leninistische Kaderpartei (von der Malm zugeben muss, dass sie in den kapitalistischen Zentren weder existiert noch in Aussicht steht) oder radikale Klimabewegung: Stets ist es eine aufgeklärte, heroische Avantgarde, die die Forderungen der Klimawissenschaft rücksichtslos in die Tat umsetzen soll.

Um eine postrevolutionäre Subjektivität, die Etablierung neuer, solidarischer Beziehungsweisen und die Überwindung der kapitalistischen Lebensweise, die Abermillionen Lohnabhängige seit dem fordistischen Klassenkompromiss zu Kompliz:innen des Kapitalismus macht, schert Malm sich nicht. Eine andere, bessere Welt ist bei ihm nicht zu gewinnen; die Welt soll lediglich nicht untergehen.