Nachruf auf die Autorin Ingrid Strobl

Ausscheren aus den Grundüberzeugungen

Ende Januar verstarb die Feministin Ingrid Strobl, die meist dafür erinnert wird, dass sie einen Wecker für eine Bombe der Revolutionären Zellen kaufte und deshalb im Gefängnis saß. Doch die Journalistin und Autorin Strobl beschäftigte sich auch früh mit dem Widerstand vor allem jüdischer Frauen gegen den Nationalsozialismus und kritisierte ebenso früh auch den Antizionismus in der Linken.

Die Nachricht vom Tod der Journalistin Ingrid Strobl hat nochmals an längst vergessene politische Auseinandersetzungen in der alten Bundesrepublik erinnert. Betont haben die ersten Reaktionen vor allem einen berühmten Weckerkauf, der offenbar einprägsamer war als das eigentlich Hervorzuhebende an Leben und Werk einer Feministin und Linken, die sich deutlich kritischer mit der eigenen politischen Herkunft und den zugehörigen Abgründen befasste als die meisten Weggefährtinnen und Weggefährten.

1952 in Innsbruck geboren und in einem liebevollen Elternhaus auf­gewachsen, hatte Strobl in ihrer Heimatstadt und in Wien studiert, wo sie 1978 über »Rhetorik im Dritten Reich« promovierte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich längst in der Neuen Frauenbewegung engagiert und gehörte zu den frühen Prot­­agonistinnen der Zeitschrift Auf, der zu dieser Zeit wichtigsten feministischen Publikation Österreichs.

Konventioneller linker Antizionismus

Schon damals hatte sie auf bewegungspolitische Irrungen hingewiesen und sich gegen »Reformerinnen« und die »Möchtegernmutterpartei« der Harmoniesüchtigen gewandt, die den Feminismus damit verwechselten, dass es unter Frauen keine Konflikte geben dürfe. Sie wurde Redakteurin bei Emma und verfasste unter anderem Artikel, die sich den Lebens­bedingungen von Frauen in islamischen Ländern widmeten, hing zu ­Beginn der achtziger Jahre jedoch auch dem konventionellen linken Antizionismus an.

Strobls Beschäftigung mit dem Widerstand von Frauen führte dazu, dass sie sich gerade nicht mit diesen identifizierte, sondern im Gegenteil die Unterschiede zu ihrer eigenen Lage in der Gefängniszelle kenntlich machte.

»Ich wollte mehr«, sollte sie 2020 rückblickend auf diese Phase erklären: »Ich wollte etwas, das das zerstörte, was ich verabscheute. Ich empfand eine maßlose Wut.« Diese Wut galt Sextourismus und Abschiebungen, und aus dem Bedürfnis nach Unmittelbarkeit erwuchs die Verlockung, etwas zu tun – für die Revolutionären Zellen, die ihre Anschläge in den achtziger Jahren unter anderem mit diesen Themen gerechtfertigt hatten. Für den Bombenbau setzte die Gruppierung regelmäßig einen bestimmten Wecker zur Zündverzögerung ein. Das BKA kam irgendwann dahinter, und in einer äußerst aufwendigen und trickreichen Aktion wurden alle Verkaufsstellen des Produkts überwacht, um den Weg vom Erwerb bis zum Einsatz nachzuvollziehen und der Öffentlichkeit Täterinnen und Täter zu präsentieren.

»Die Kameras wurden ausgelöst, wenn auf Kunden eine Polizeibe­schrei­bung paßte«, notierte der Spiegel damals: »Frau, Alter zwischen 18 und 45, dringender Wunsch nach genau diesem Uhrentyp, intellektuell auf der Höhe.« Am 11. September 1986 wurde Strobl beim Kauf eines solchen Weckers gefilmt, einige Wochen später wurde dieser bei einem Anschlag auf ein Lufthansa-Gebäude in Köln verwendet. Es entstand Sachschaden, verletzt wurde niemand. Ende 1987 wurde Strobl in ihrer Wohnung verhaftet und kam in Isolationshaft.

»Frausein allein ist kein Programm«

Vor Gericht erklärte sie, den Wecker für einen Bekannten gekauft zu haben. Draußen entstand nicht zuletzt aufgrund der bisherigen Tätigkeit der Journalistin eine enorme Solidaritätsbewegung, und im feministischen Kore-Verlag erschien ein Band mit dem sprechenden Titel »Frausein allein ist kein Programm«, der Strobls bis dato wichtigste Artikel versammelte.

Sie selbst arbeitete derweil am Manuskript eines Buches zum weiblichen Widerstand gegen die deutsche Besatzung und ­Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg – zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, als sich die inhaftierten RAF-Angehörigen und eine Reihe einsitzender Antiimperialisten noch immer in der »Vernichtungshaft« wähnten oder ähnlichen politischen Halluzinationen anhingen. Lutz Taufer etwa, einer der Attentäter der Botschaftsbesetzung von Stockholm 1975, formulierte noch Anfang der Neunziger die Ungeheuerlichkeit, der »bewaffnete Kampf« sei so etwas wie der »Versuch einer nachholenden Résistance« gewesen.

Ingrid Strobl, geboren 1952 in Innsbruck, österreichische Journalistin und Buchautorin. 1979 zog sie von Wien nach Köln und arbeitete von 1979 bis 1986 als Redakteurin der Zeitschrift »Emma«. 1990 wurde sie wegen Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag letztinstanzlich zu drei Jahren Haft verurteilt, der noch abzusitzende Rest der Strafe (sie war zum Urteilszeitpunkt bereits zweieinhalb Jahre inhaftiert gewesen) zur Bewährung ausgesetzt.

Bild:
Malin Kundi

Strobls Beschäftigung mit dem tatsächlichen Widerstand von Frauen führte hingegen dazu, dass sie sich gerade nicht mit diesen identifizierte, sondern im Gegenteil die Unterschiede zu ihrer eigenen Lage in der Gefängniszelle kenntlich machte: »Wenn ich an die Jahre denke, die die spanischen Frontkämpferinnen in den Foltergefängnissen der Franco-Diktatur zubrachten, an das Leid der jüdischen Kämpferinnen in Polen, die mitansehen mußten, wie ihre Liebsten bestialisch ermordet wurden, an die Entbehrungen des Partisaninnenlebens in den verschneiten Kärntner Bergen (…), dann gelingt es mir sehr gut, die eigene Situation zu relativieren.«

»Das Feld des Vergessens«

Das Resultat war »Sag nie, du gehst den letzten Weg«, die 1989 erschienene, erste deutschsprachige Abhandlung zum Thema, die nicht nur auf Grund ihrer Entstehungssituation herausragt, sondern auch, weil sich an ihr ein Ausscheren aus linken Grundüberzeugungen nachvollziehen lässt. Im Kleinen zeigte sich dies am Aufsatz »Die Angst vor den Frösten der Freiheit«, der kurz nach der Haftentlassung 1990 veröffentlicht worden war. Dort hieß es: »Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm, diesem zähen und erbitterten Feind des Mensch-Seins den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden.«

Mir zeynen do | 1992 | Dokumentarfilm über jüdische Partisaninnen

Bild:
YouTube

1991 erschien »Strange Fruit«, Strobls Auseinandersetzung mit Bevölkerungspolitik, die noch in diesem Sinne als linke Herrschaftskritik formuliert war. 1994 folgte – passenderweise ebenfalls in der Edition ID-Archiv, in der einige der »Stadtguerilla« und Anverwandtem zugeneigte Schriften publiziert worden waren – ihre Essaysammlung »Das Feld des Vergessens«. Darin findet sich auch ein sehr lesenswertes Porträt über Nelly Sachs, deren Gedicht »Chor der Tröster« der Titel des Bandes entlehnt worden war. Strobl hatte begriffen, dass sich an der Lyrik der exilierten Dichterin weitaus mehr über den Nationalsozialismus und dessen nachfolgender gesellschaftlicher Verdrängung lernen lässt als an den Verklärungen der heroischen Arbeiterklasse, die in der Linken lange populär gewesen waren.

Sie schrieb zudem ein Vorwort zur deutschen Übersetzung von Marek Edelmans Bericht über den Aufstand im Warschauer Ghetto, von dem die deutschen Genossinnen und Genossen bekanntlich ebenfalls lange nichts wissen wollten, und verfasste ein weiteres für den autobiogra­phischen Bericht »Die Untergrundarmee« der einstigen jüdischen Widerstandskämpferin und zeitweiligen Knesset-Vizepräsidentin Chaika Grossman, die kurz zuvor bereits in Strobls Dokumentarfilm »Mir zeynen do!« aufgetreten war.

»Recherche« zum schlecht kaschierten Hass auf Juden

1995 erschien »Anna und das Anderle«, eine mit »Recherche« untertitelte, sehr persönliche Inspektion des Zusammenhangs zwischen der eigenen Herkunft aus Tirol und dem Hass auf den »Zionismus«, bei dem es sich um nichts anderes als um politisch schlecht kaschierten Hass auf Juden handelte.

Dass Strobl damit nicht nur ihre eigenen, sondern die undeklarierten und unbewussten Motive vieler deutscher und österreichischer Linker ihrer Generation freilegte, führte nicht dazu, dass andere es ihr nachtaten. Daran zeigt sich, dass eine solche Beschäftigung mit sich selbst deutlich unbequemer ist, als sich die meisten, die dazu in der Lage wären, jemals eingestehen könnten. 1998 folgte die Studie »Die Angst kam erst danach«, für die sich Strobl systematisch mit dem Widerstand jüdischer Frauen in Europa zwischen 1939 und 1945 beschäftigte und die als würdevoller Abschluss mit diesem Sujet betrachtet werden kann.

Später widmete sich die Journalistin Themen, von denen man sich in der Linken noch nicht einmal verabschiedet hatte, weil man diese schlichtweg nie zur Kenntnis genommen hatte. Wo manchen angesichts der Verhältnisse nur noch »Empowerment« einfällt, um über die tatsächliche Hilflosigkeit hinwegzutäuschen, wandte sich Strobl dem wahren Rand der Gesellschaft zu, an dessen »Ermächtigung« niemand je ernsthaft denkt: Weibliche Junkies und weibliche Strafgefangene. Ersteren widmete sie das 2006 beim ­Verlag Orlanda erschienene Buch »Es macht die Seele kaputt«, mit letz­teren – Frauen, die noch nie gelernt hatten, einen eigenen Gedanken zu formulieren – übte sie im Gefängnis das Schreiben.

Dazwischen und danach veröffentlichte sie einige Titel, die bei manchen Linken sicherlich zu Ratlosigkeit geführt haben dürften – Kölner Re­gionalkrimis oder ein autobiographischer Roman zum Aufbruch nach 1968, ein allgemeinverständliches Buch zum Thema »Respekt« oder ein Blog mit Alltagsbeobachtungen. All dies war jedoch immer noch sympathischer und vor allem aufrichtiger als die Selbstmitleidsprosa, die mittlerweile stapelweise von etablierten Verlagen zum Verkauf angeboten wird und die als kämpferisch und radikal gilt, obwohl alle Beteiligten wissen, dass das Gegenteil der Fall ist.

»Ziel, Frauen vom Rand der Gesellschaft als die Menschen erkennbar zu machen, die sie sind.«

Strobls persönliche Aufarbeitung der politischen Irrungen der sieb­ziger und achtziger Jahre machte es für sie selbst wohl unumgänglich, noch mit etwas anderem aufzuräumen. 2020 veröffentlichte sie »Vermessene Zeit«, ihre autobiographische Auskunft über den Weckerkauf und die Folgen. Es war ihr offen­kundig unangenehm, dass viele, die sich damals für sie eingesetzt hatten, dies im Glauben getan hatten, dass Strobl nicht klar gewesen sei, weshalb sie diesen Erwerb tätigte, so dass die Verhaftung und der Prozess von einigen für eine staatliche Kampagne gegen eine missliebige Feministin gehalten worden war.

Das vermeintliche Opfer sei sich im Gefängnis deshalb bisweilen »wie eine Heuchlerin« vorgekommen, gestand Strobl 30 Jahre nach ihrer Entlassung: »Ich hatte gewusst, wofür ich den Wecker kaufte.«

Das vermeintliche Opfer sei sich im Gefängnis deshalb bisweilen »wie eine Heuchlerin« vorgekommen, gestand Strobl 30 Jahre nach ihrer Entlassung: »Ich hatte gewusst, wofür ich den Wecker kaufte.« Auf die Publi­kation folgten Respektbekundungen, durch das späte Eingeständnis hatten sich manche allerdings nachträglich in ihrer einstigen Solidarität hintergangen gefühlt.

Hervorzuheben bleibt jedoch, dass Strobl aus der Koketterie mit der Radikalität, die sie auf die falsche Fährte geführt hatte, selbst alle Lektionen gelernt hatte: »Ich bin als Möchtegern-Revolutionärin in den Knast gegangen und als verhin­derte Streetworkerin wieder heraus­gekommen. (…) Was ich in der Praxis nicht konnte, habe ich versucht in Form von Büchern, Hörfunksendungen, Artikeln darzustellen mit dem Ziel, Frauen vom Rand der Gesellschaft als die Menschen erkennbar zu machen, die sie sind.«

In einer Zeit, in der kaum mehr ­jemand all die bekannten Abscheulichkeiten ernst nimmt, denen der weibliche Teil der Menschheit nicht nur im globalen Maßstab, sondern auch vor der eigenen Haustür ausgesetzt ist, bleibt das ein ehrliches und wertzuschätzendes Anliegen. Denn damit legte Strobl den Finger treffsicher in eine Wunde, an deren Leugnung mittlerweile gesamtgesellschaftlich gearbeitet wird. Am 25. Januar 2024 ist Ingrid Strobl im Alter von 71 Jahren in Köln ver­storben.