Es gibt keine Einzeltäter
In der vergangenen Woche wurden in Thüringen gleich mehrere mutmaßlich rechtsextrem motivierte Anschläge auf Politiker:innen verübt. In Suhl warfen Unbekannte die Scheiben der Wahlkreisbüros der Landtagsabgeordneten Diana Lehmann und des Bundestagsabgeordneten Frank Ullrich (beide SPD) ein. Das Büro der Thüringer Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linkspartei) in Bleicherode im Landkreis Nordhausen wurde mit Hakenkreuzen beschmiert.
In Schnepfenthal im Landkreis Gotha gab es sogar einen Brandanschlag auf das Haus des Kommunalpolitikers Michael Müller (SPD). Auch das Auto der Familie wurde in Brand gesetzt und erlitt einen Totalschaden. Verletzt wurde niemand. Anfang Februar hatte der ehemalige Bundestagskandidat in dem Ort eine Demonstration gegen Rechtsextremismus organisiert.
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) berichtete derweil von verbalen Angriffen auf ihn und seine Frau am Rande einer Karnevalsfeier, bei denen auch das Wort »vergewaltigen« gefallen sei. Er sprach in diesem Zusammenhang von »Formen der Verrohung«. Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) sprach von einer »Dimension, die wir in der Art und Weise noch nicht hatten«.
Wer in Deutschland in den Verdacht gerät, etwas gegen die extreme Rechte unternehmen zu wollen, lebt vielerorts gefährlich.
Es ist sicher nicht verkehrt, jetzt Alarm zu schlagen, und zweifellos ist jeder Brandanschlag auf ein Wohngebäude einer zu viel. Doch ist das Phänomen weder neu noch betrifft es ausschließlich Thüringen oder Ostdeutschland. Bereits 2022 meldete das Bundeskriminalamt, dass sich in den Jahren 2017 bis 2021 die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger von 1 527 auf 4 458 pro Jahr annähernd verdreifacht habe. Einmal ganz abgesehen davon, dass 2019 mit Walter Lübcke (CDU) ein hessischer Politiker von Neonazis sogar ermordet wurde.
Gerade Politiker:innen der Linkspartei waren immer wieder Ziel von Anschlägen. 2016 wurde in Berlin ein Brandanschlag auf das Wohnhaus von Ferat Koçak verübt, der heute für die Partei im Abgeordnetenhaus sitzt. Im September 2017 wurde das Bürgerbüro des sächsischen Landtagsabgeordneten André Schollbach in Dresden Ziel eines Brandanschlags. Im Juli 2022 wurde in Oberhausen ein Sprengstoffanschlag auf die dortige Geschäftsstelle verübt. Erst Anfang Februar dieses Jahres wurden zwei Tatverdächtige festgenommen, die der WAZ zufolge zur Oberhausener rechtsextremen Szene gehören. Zuletzt wurde im Januar das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Susanne Hennig-Wellsow in Weimar mit Fäkalien beschmiert.
Die Liste ließe sich nahezu beliebig lang fortsetzen. Wer in Deutschland auch nur in den Verdacht gerät, etwas gegen die extreme Rechte unternehmen zu wollen oder der extremen Rechten missliebige Politik zu betreiben, lebt vielerorts gefährlich. Das liegt nicht nur, aber sicher auch an dem, was Bodo Ramelow mit »Verrohung« bezeichnet. Waren für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bestimmte Galgen im Rahmen eines Pegida-Aufmarsches 2015 ein Schock, der für bundesweite Schlagzeilen sorgte, sind Morddrohungen und vor allem bei Frauen auch Androhungen einer Vergewaltigung in den sozialen Medien oder bei Demonstrationen längst trauriger Alltag geworden.
Eine wichtige Rolle haben hierbei sicher die Proteste sogenannter Querdenker gegen die Covid-19-Maßnahmen gespielt. In diesem Milieu lassen durch verschwörungsgläubigen Endzeitwahn befeuerte Vorstellungen eines Kampfes des Guten gegen das Böse Gewalt bis hin zu Mord als legitim erscheinen. Dass Anhänger solcher Vorstellungen auch dazu bereit sind, haben die Morde von Idar-Oberstein und Königs Wusterhausen auf grausige Weise bewiesen.
Ezra, die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, bezeichnet die Proteste der sogenannten Querdenker als »Türöffner« für solche Verbrechen. Sie kritisiert, dass die Markierung tatsächlicher und vermeintlicher Linker als Feinde, wie sie von AfD und extrem rechten Netzwerken bereits seit langem betrieben wird, vermehrt auch von Politiker:innen von CDU und FDP betrieben werde.
Es ist buchstäblich ein Spiel mit dem Feuer. Extrem rechts motivierte Brandanschläge gibt es meist gehäuft in bestimmten Zeiträumen, wie ein Blick in die Zahlen eindrücklich belegt. Auf den beiden bisherigen Höhepunkten rechtsextremer Mobilisierung 1991 bis 1993 und 2015/16 gab es quasi in jedem Monat mindestens einen Anschlag; in den meisten Monaten sogar weit mehr.
Es handelt sich zwar um viele verschiedene Täter:innen, die an vielen verschiedenen Orten zuschlagen. Dennoch ist es richtig und angemessen, von einer Anschlagsserie zu sprechen, da fast alle diese Täter:innen in dem Glauben handeln, den Willen eines ideellen Gesamttäters namens »das Volk« in die Tat umzusetzen. Dass die derzeitigen Anschlagsserie weitergeht, erscheint somit wahrscheinlich, und egal wie viele Menschen auf die Straße gehen, durch Demonstrationen allein werden sich die Täter nicht aufhalten lassen.