Algorithmischer Antisemitismus
Kennt man den Kontext nicht, sieht es nach einer Internet-Spielerei aus: Innerhalb einer Woche laden im November 2023 über 6,5 Millionen Tiktok-User:innen Videos mit einem Filter hoch, der Nutzer:innen ein Wassermelonen-Symbol entlang einer Linie navigieren lässt. Dahinter steckt jedoch mehr. Denn nachdem der Filter ausreichend oft in veröffentlichten Videos verwendet wurde, werden mit jedem weiteren Filter-Video Einnahmen generiert, die nach Gaza gespendet werden sollen. Daher auch die Wassermelone: Sie wird seit dem Sechstagekrieg 1967 als Substitut für die palästinensische Flagge verwendet und impliziert ein Verbot des Zeigens eben jener.
Die Erstellerin des Filters, Jourdan Johnson, hatte sich auf der Plattform zuvor nicht politisch betätigt. Ihren Angaben zufolge generierte der Filter für sie 14.000 US-Dollar. Mit viralen Kampagnen wie dieser wird seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober zudem um Deutungshoheit im digitalen Raum gerungen. Denn neben einfachen Positionierungen, wie sie hier anhand des Wassermelonen-Filters geschehen, wimmelt es auf Tiktok von Terrorpropaganda, Falschinformationen, Verschwörungserzählungen und israelbezogenem Antisemitismus, die erheblichen Einfluss auf die jungen Menschen ausüben.
Mit den Auswirkungen des Tiktok-Konsums auf die politische Meinungsbildung Jugendlicher seit dem Terrorangriff der Hamas beschäftigt sich eine jüngst veröffentlichte Handreichung der Bildungsstätte Anne Frank. In dem Report »Die Tiktok-Intifada« fassen die Co-Direktorin der Einrichtung, Deborah Schnabel, und Kommunikationschefin Eva Berendsen Beobachtungen aus den vergangenen Monaten zusammen und legen Handlungsempfehlungen vor.
»Fehlende Sachkenntnis wird nicht als Mangel, sondern als Authentizität verstanden.« Eva Berendsen, Bildungsstätte Anne Frank
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