Der lesbische Gangsterfilm »Love Lies Bleeding«

Abgeklärte Heldinnen

Zwei einander liebende Frauen, die sich handfest mit den Männern anlegen: »Love Lies Bleeding« ist ein Gangsterfilm wie aus dem Lehrbuch. Der Regisseurin Rose Glass gelingt es aber, dem Genre geschickt ein paar neue Aspekte hinzuzufügen.

Mit einem dunklen, rötlichen Abgrund eröffnet Rose Glass ihren zweiten Spielfilm »Love Lies Bleeding«. Die Kamera fährt in ihn hinein und findet durch ihn hindurch zu den Sternen. Unter diesen befindet sich irgendwo in einer US-amerikanischen Kleinstadt der späten achtziger Jahre ein etwas abgewracktes Sportstudio, das in seiner dunklen, von grünem Neonlicht geprägten Atmosphäre an David Finchers »Fight Club« denken lässt.

Nachdem Lou Jackie mit Anabolika versorgt hat, kommt es zu einem ersten Kuss. Lou lässt sich von Jackie versichern, dass sie nicht nur eine jener experimentierfreudigen Heterosexuellen sei, und gewährt ihr schließlich Unterschlupf.

Hier arbeitet die lesbische, etwas punkige Lou, gespielt von Kristen Stewart, der dieser Look ausgezeichnet steht. Ihr Leben ist geprägt von Resignation und Einsamkeit, nach Feierabend wärmt sie sich Fertigessen auf, masturbiert, kümmert sich um ihre Katze und frönt der kleinen Freude Nikotinsucht, von der sie eigentlich loskommen möchte. Nebenbei hilft sie ihrer Schwester (Jena Malone), die mit ihrem rüpelhaften Ehemann (Dave Franco) und der Kindererziehung überfordert ist. Gelegentlich wehrt Lou die Avancen der reichlich naiven und anhänglichen Daisy (Anna Baryshnikov) ab, die noch zum Problem werden könnte.

Frisch verliebt. Jackie (Katy O’Brian) und Lou (Kristen Stewart)

Frisch verliebt. Jackie (Katy O’Brian) und Lou (Kristen Stewart)

Bild:
© Crack in the Earth LLC

Ihr Leben beginnt sich zu verändern, als Jackie (Katy O’Brian) in die Stadt kommt, eine bisexuelle Bodybuilderin, die sich mit dem vagen Ziel der Teilnahme an einem Bodybuilding-Wettbewerb in Las Vegas in den Weiten Amerikas herumtreibt und sich etwas für die Reisekasse verdienen möchte. Dabei gerät sie zunächst an Lous rüpelhaften Schwager, der sie seinem Schwiegervater, also Lous Vater, dem verschrobenen Betreiber eines Schießstands, vorstellt.

Belästigung im Fitnessstudio

Der, verkörpert vom einzigartigen Ed Harris, erklärt sich bereit, sie einzustellen. In besagtem Sportstudio schließlich treffen Lou und Jackie zum ersten Mal aufeinander. Die beiden rauchen zusammen eine Zigarette und werden von zwei Männern, die ebenfalls im Fitnessstudio trainiert haben, belästigt, woraufhin die muskelbepackte Jackie handgreiflich wird.

Nach der Auseinandersetzung ziehen sich die beiden in das geschlossene Studio zurück. Nachdem Lou Jackie mit Anabolika versorgt hat, kommt es zu einem ersten Kuss. Lou lässt sich von Jackie versichern, dass sie nicht nur eine jener experimentierfreudigen Heterosexuellen sei, und gewährt ihr schließlich Unterschlupf. Die beiden verbringen eine intime Zeit miteinander.

Währenddessen wird deutlich, dass Lous Vater, der aufgrund seiner Vorliebe für Ungeziefer »Bug Guy« genannt wird, in Waffenschmuggel verwickelt ist; das Verhältnis zwischen ihm und Lou ist dementsprechend angespannt. Der rote Abgrund aus dem Prolog erscheint wieder und es zeichnet sich ab, dass er etwas mit den Machenschaften des »Bug Guy« zu tun hat.

Jackie zertrümmert den Frauenschläger

Die Zeit des Verliebtseins zwischen Lou und Jackie wird jäh unterbrochen, als Lous Schwager ihre Schwester übel zurichtet und diese mit schwersten Kopfverletzungen im Krankenhaus behandelt werden muss. Während der »Bug Guy« die Angelegenheit familienintern regeln will, beschließt Jackie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und zertrümmert den Frauenschläger förmlich. Dabei wirkt sie übergroß, superheldinnenhaft.

Zur Entsorgung der Leiche begibt sie sich mit Lou zu eben jenem roten Schlund, in dem schon die Überreste der Opfer des »Bug Guy« liegen. Lou will die Gelegenheit nutzen, um die Polizei auf diese Hinterlassenschaften aufmerksam zu machen, und setzt den Wagen in Brand, in dem sie ihren Schwager hinabbefördert. Nach Streitigkeiten über das weitere Vorgehen macht Jackie sich alleine auf den Weg nach Las Vegas, während sich der Konflikt zwischen Lou und ihrem Vater weiter zuspitzt und überdies ihre Verehrerin Daisy und das FBI mit ihrer Neugier gefährlich werden.

Brutaler Vater. Lou Langston Sr. (Ed Harris) macht seiner Tochter das Leben schwer

Brutaler Vater. Lou Langston Sr. (Ed Harris) macht seiner Tochter das Leben schwer

Bild:
© Crack in the Earth LLC

Glass inszeniert das alles mit dem wuchtigen Charme rauer US-amerikanischer Gangsterfilme. Die Wüste, die staubigen Häuser, das Neonlicht – man ist mit dieser Atmosphäre vertraut, und doch fügt »Love Lies Bleeding« ihr ganz neue Elemente hinzu, die sich erstaunlich gut einfügen. Das gilt für die Szenen, die lesbischen Sex zeigen, die in ihrer zugleich expliziten und vorsichtig humorvollen Darstellung an Andrew Haighs »All of Us Strangers« erinnern, ebenso wie für die ästhetische Inszenierung des weiblichen Bodybuilding. In Katy O’Brian scheint der Gegensatz aus Zartheit und Stärke aufgehoben, sie verkörpert die zugleich liebevolle, ambitionierte und verzweifelt brutale Jackie auf beeindruckende Weise und dürfte sich damit den Status ­einer Ikone weiblicher Souveränität erkämpft haben. 

Kristen Stewart scheint in der Rolle der Lou zu sich selbst gekommen zu sein, ihr gewohnt desinteressierter Blick verbindet sich hier mit dem abgeklärten Auftreten einer lesbischen Einzelgängerin.

Auch Kristen Stewart scheint in der Rolle der Lou zu sich selbst gekommen zu sein, ihr gewohnt desinteressierter Blick verbindet sich hier mit dem abgeklärten Auftreten einer lesbischen Einzelgängerin, der die provinzielle Welt um sie herum zu klein ist. Die unkonventionellen Protagonistinnen wirken dabei nie wie Schablonen, die die männlich geprägte Gangsterfilmgeschichte abreißen sollen, sondern fügen dieser auf äußerst originelle Weise etwas Neues hinzu – Glass kümmert sich nicht um Identitätspolitik, sondern interessiert sich schlicht für das ­Eigenleben ihrer Charaktere und inszeniert so auf eindrucksvolle Weise vielschichtige, eigensinnige und ­abgeklärte Heldinnen. 

Die Liebe zum Kino und zur Geschichte des Gangsterfilms merkt man »Love Lies Bleeding« in jeder Minute an. Dazu tragen ein Käfer fressender Ed Harris sowie zahlreiche Referenzen an das Werk Quentin Tarantinos bei, etwa bei der Inszenierung überraschender, äußerst brutaler Morde und der einen oder anderen Aufnahme der unteren Extremitäten. Wie bei Tarantino auch bleibt Glass’ Erzählung bei aller Brutalität der zivilen Humanität verpflichtet, die Gewalt ihrer Heldinnen ist der verzweifelte Versuch, aus einer abgründigen Situation zu entkommen, in der es sich – als Frau, als Lesbe oder schlicht als denkender, fühlender Mensch – nicht leben lässt.

Hommage an das Amerika der Achtziger

Der schroffe, elektronische Score verbindet sich mit der Kameraarbeit von Ben Fordesman zu einer ästhetischen Hommage an das Amerika der Achtziger, die bisweilen um phantasievolle Überschreitungen der Grenzen der Realität erweitert wird. So versinnbildlicht sich Jackies schlechtes Gewissen wegen des Zurücklassens von Lou in einer Body-Horror-Szene, in der sie ihre Geliebte unter krampfartigen Metamorphosen ihres ohnehin geradezu übermenschlich wirkenden Leibes auf die Bühne des Bodybuilding-Wettbewerbs erbricht. Und so findet sich im mutigen, traumartigen Finale plötzlich eine tatsächlich übergroße Jackie wieder, die als riesige Superheldin die Hindernisse auf dem Weg zum Glück der beiden Frauen aus dem Weg räumt, dem sie sodann unter einem purpurnen Sternenhimmel gemeinsam entgegenrennen.

Setzen sich gegen alle Widerstände durch: Jackie (Katy O’Brian, l.) und Lou (Kristen Stewart)

Setzen sich gegen alle Widerstände durch: Jackie (Katy O’Brian, l.) und Lou (Kristen Stewart)

Bild:
© Crack in the Earth LLC

Das ist selbstverständlich großer Kitsch, aber dabei so selbstbewusst, charmant und originell, dass man sich glücklich ungläubig die Augen reibt, anstatt sie zu verdrehen – zumal der Film im Epilog wieder zu seiner lässigen Abgebrühtheit findet und mit dem Entsorgen einer Leiche in der Wüste, einer Zigarette und einer ungewissen Zukunft endet. Mit diesem Zusammenspiel aus dreckiger Realität und phantasievollem Glück, Altbewährtem und Originellem ist Rose Glass ein wahrlich großer Wurf gelungen. »Love Lies Bleeding« hat das Potential, ein Kultfilm zu werden.

Love Lies Bleeding (UK/USA 2024). Buch: Rose Glass, Weronika Tofilska. Regie: Rose Glass. Darsteller: Kristen Stewart, Katy O’Brian, Jena Malone, Anna Baryshnikov, Dave Franco, Ed Harris. Filmstart: 18. Juli