Zivilgesellschaftliche Akteure fordern ein Verbot von Sportwettenwerbung

Sponsoring mit Kollateralschäden

Während der Fußball-Europameisterschaft der Männer hoffen die Anbieter kommerzieller Sportwetten auf Milliardenumsätze. Nur wenige zivilgesellschaftliche Akteure stellen sich gegen den Trend und fordern ein Verbot der Werbung für Sportwetten.

In den Statistiken zum Thema Sportwetten wird davon ausgegangen, dass die in Deutschland lebende Bevölkerung bei Wettspielen jährlich von sieben bis neun Milliarden Euro einsetzt. Die Annahme, dass die Umsätze gestiegen seien, seit Bund und Länder Online-Glücksspiel im Juli 2021 unter Auflagen legalisiert haben, bestreitet der Deutsche Sportwettenverband (DSWV). Ihm zufolge war die Umsatzentwicklung im Jahr 2022 erstmals rückläufig. Dieser Trend habe sich auch 2023 fortgesetzt. Der DSWV führt das auf »die einschneidende Regulierung des Glücksspielstaatsvertrags und die Präsenz des Schwarzmarkts« zurück.

Die einheimischen und die vielen aus den Teilnehmerländern anreisenden Fußballfans müssten nach Ansicht des Bündnisses gegen Sportwetten-Werbung nicht vor Doping, sondern vor Glücksspiel gewarnt werden. 

Die Sportwettenanbieter sind bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft der Männer nicht nur auf die Bandenwerbung und Werbeeinblendungen während der Live-Übertragungen präsent. Erstmals wurde mit Betano ein Sportwettenanbieter auch offizieller Sponsor der Uefa-Europameisterschaft. Ein solcher Sponsor mache »Sportwetten salonfähig«, so Sylvia Schenk von der Nichtregierungsorganisation Transparency International. Schenk leitet die Arbeitsgruppe Sport der NGO, die sich der Eindämmung und Bekämpfung von Korruption verschrieben hat. Weiter sagt Schenk, die Veranstalter der EM ließen zu, »dass insbesondere die Zielgruppe junger, fußballbegeisterter Männer zum Glücksspiel gelockt wird«. Mögliche Kollateralschäden – wie die erheblichen Suchtgefahren – würden dagegen ausgeblendet.

Während die Nationale Anti-Doping-Agentur zur diesjährigen Fußball-EM eine öffentlich geförderte Präventionskampagne begonnen habe, gebe es kein Angebot zur Prävention von Glücksspielsucht, heißt es in einer Pressemitteilung des »Bündnisses gegen Sportwetten-Werbung«, in dem sich Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, Transparency International Deutschland und der Bundesverband Selbsthilfe Glücksspielsucht zusammengeschlossen haben. Die einheimischen und die vielen aus den Teilnehmerländern anreisenden Fußballfans müssten nach Ansicht des Bündnisses »nicht vor Doping, sondern vor Glücksspiel gewarnt werden«. Hintergrund für diese eindringliche Mahnung ist, dass allein in Deutschland etwa 1,3 Millionen Personen glücksspielsüchtig sind. Ein beträchtlicher Anteil entfällt hier auf Sportwetten.

Illusion von Kontrolle wirkt verführerisch

»Die Neuzugänge in den Selbsthilfegruppen von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen sind in den letzten zwei, drei Jahren deutlich jünger geworden und fast ausschließlich süchtig nach Sportwetten«, sagte Nicole Dreifeld vom Bundesverband Selbsthilfe Glückspielsucht bereits 2022. Häufig verschuldeten sich die Leute in deutlich kürzerer Zeit und in einem größeren Ausmaß als zuvor. Deshalb bestehe ein dringender Präventionsbedarf speziell in diesem Bereich.

Vor allem die Illusion von Kontrolle wirke verführerisch, betont das Bündnis gegen Sportwetten-Werbung. Nicht wenige Fußballfans glaubten, sie könnten mit ihrem Fachwissen die Unberechenbarkeit des Glücksspiels kompensieren und somit ganz einfach Geld verdienen. Dies sei »aber eine Illusion«. Nach Ansicht des Bündnisses gibt es kein Wissen, das vor Verlusten bei Sportwetten schützt, und damit eben auch keinen sicheren Gewinn.

Die derzeitig durch Werbeverträge gesicherte Öffentlichkeit ermöglicht es der Branche, neue Kundenkreise zu erschließen, was aus Sicht des Bündnissprechers Markus Sotirianos den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags zuwiderläuft. Zudem stehe die Werbung auf den Banden in Konflikt mit rechtlichen Regelungen in anderen Ländern, in denen Sportwettenwerbung restriktiver gehandelt werde, so Sotirianos zur Jungle World. Schließlich wird die Werbung durch die Übertragung der Spiele international ausgestrahlt. In Italien zum Beispiel ist jegliche Werbung für Glücksspiel verboten – mit Ausnahme jener der staatlichen Lotterien. In Frankreich muss jegliche Bewerbung von Glücksspiel mit einer Warnung vor den Risiken des Glücksspiels sowie Informationen zu Hilfsdiensten versehen sein.

»Wie konsequent wäre es, Präventionsarbeit gegen Tabakkonsum zu machen und in der Pause der Schulung erst einmal eine rauchen zu gehen?« Bündnissprecher Markus Sotirianos

»Das einzig wirklich wirkungsvolle Entgegentreten gegen die Spielsuchtproblematik wäre, sich von Sportwettenanbietern und dem Glücksspiel allgemein zu distanzieren«, sagt Sotirianos. Alles andere sei unvereinbar mit der gesellschaftlichen Vorbildfunktion von Verbänden und Vereinen. Es sei einfach »inkonsequent, einerseits für ein Suchtmittel zu werben, mit dem Argument, man sei auf die Gelder der Wettbranche angewiesen, und andererseits Präventionsarbeit zu betreiben, die diesen Namen nicht verdient«, so Sotirianos weiter.

Im Gespräch stellt der Sprecher des Bündnisses einen Vergleich auf: »Wie konsequent wäre es, Präventionsarbeit gegen Tabakkonsum zu machen und in der Pause der Schulung erst einmal eine rauchen zu gehen?« Auf solche Widersprüche angesprochen, würden die Präsidien der Vereine und Verbände mit Bagatellisierungen reagieren. »Wo sind die von Vereins- und Verbandsseite großflächig organisierten Themenabende zu Glücksspielsucht?« fragt sich Sotirianos.

Präsenz von Sportwettenwerbung stark einschränken

Obwohl die Gefahren der Sucht hinlänglich bekannt sind, bereichern sich Verbände und Vereine auf Kosten der Fans. »Ein Interesse, geschweige denn eine Strategie, um die Schattenseiten in ebenso deutlicher Weise zu thematisieren«, fehle komplett, bemängelt Sotirianos. Als ersten Schritt fordert er, »dass sich die Sportwettenanbieter an die grundlegenden Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages halten« und »diese vollumfänglich akzeptieren«. Gleichzeitig müssten die Ordnungsbehörden so ausgestattet sein, dass sie die Anbieter adäquat und konsequent kontrollieren können.

Ein komplettes Verbot von Sportwetten lehnt Sotirianos hingegen ab. »Ähnlich wie in der Diskussion über Cannabis treibt ein Verbot von Sportwetten die Wettenden in die Illegalität«, argumentiert er. Ab einem gewissen Alter müsse man durchaus über Handlungen entscheiden können. Dies könne aber nicht bedeuten, »dass man permanent der Werbung für ein Suchtmittel ausgesetzt sein darf«. Daher fordert Sotirianos, dass die Präsenz von Sportwettenwerbung stark eingeschränkt werden soll, so wie es vor Jahren bei der Werbung für Tabak gelungen sei.

Verantwortungslose Sportwettenwerbung verharmlost aus Sicht der Kritiker nicht nur das Suchtrisiko von Sportwetten, sondern auch weitere damit verbundene Gefahren. »Spielmanipulationen und Korruption in diesem Zusammenhang kommen oftmals durch Kontakte in die Sportwettenszene zustande oder sind Ergebnis der Erpressbarkeit wegen Wettschulden«, ergänzt Nicolas Klein von Transparency International die Kritik. Seiner Ansicht nach gehören die Prävention von Glücksspielsucht und die der Manipulation von Wettbewerben zusammen. Sportwettenwerbung einzuschränken, helfe letztlich, ehrliche Ergebnisse im Fußball zu sichern.