Ein Besuch bei israelischen Siedlern im Gazastreifen

Guns’n’Moses

Die israelischen Siedler im Gazastreifen wollen sich mit Sharons Rückzugsplan nicht abfinden.

Kann ich euch helfen?« fragt das etwa 16jährige Mädchen freundlich. Wir warten an einer schmalen Einfahrt nach Katif. Vor dem Häuschen des Kontrollpostens, das mit aufgemalten Palmen verziert ist, sitzt ein Soldat und säubert sich die Fingernägel.

Katif ist, wie jede israelische Siedlung im Gazastreifen, von einem gut drei Meter hohen Zaun mit mindestens zwanzig elektrifizierten Drähten umgeben. Ohne Genehmigung können wir nicht passieren.
Der große bärtige Mann mit Kippa, der aus dem zerbeulten Geländewagen steigt, hat zwei Handys, zwei Funkgeräte und ein M-16-Sturmgewehr mit zwei Magazinen bei sich. Die etwa 7.000 Bewohner der zwölf Siedlungen im Süden des Gazastreifens (Gush Katif) kennen einander, sofort spricht das Mädchen ihn an.
Er telefoniert. »Eran«, sagt er und zeigt auf das Display seines Handys. Der Soldat am Checkpoint säubert sich erneut die Fingernägel. Es ist ihm peinlich, uns warten zu lassen, aber sein Anruf wird nicht erwidert. Er bietet Wasser an, mehr kann er nicht tun. »Ich bin nur ein Soldat«, rechtfertigt er seine Hilflosigkeit. Erst der Anruf bei Eran verschafft uns Einlass. Michael, ein deutsch sprechender Siedler mit leichtem Schweizer Dialekt, wartet nun an der Einfahrt zu Newe Dekalim in seinem Land Rover.

Als ein Soldat uns kontrollieren will, hupt er zweimal und gibt ein Handzeichen. Der Soldat tritt zur Seite, wir können passieren. Michael, ein großer, braungebrannter Mann, trägt statt einer Kippa eine Kappe mit der Aufschrift »Security and Counter-Terrorism«. Er bevorzugt eine Uzi-Maschinenpistole. »Aus Berlin kommt ihr? Ich hatte mal eine Freundin in Berlin.« An den Namen kann er sich allerdings nicht mehr erinnern. »Wenn es Probleme gibt, ruft mich an«, rät er zum Abschied.

Dörfliche Idylle umgeben von palästinensischen Städten, Dörfern und Elendsvierteln

Newe Dekalim ist die größte israelische Siedlung im Gazastreifen, etwa 550 Familien leben hier. Einfamilienhäuser säumen die ruhigen Straßen, Blumen blühen in gepflegten Vorgärten, vor den meisten Haustüren stehen mehrere Kinderfahrräder. Der moderne Dorfkern, ein mit Blumenrabatten geschmückter Platz, ist von ein paar Geschäften und Cafés umgeben. Fast könnte man glauben, man sei in einer deutschen Provinzkleinstadt.

Doch fast alle Männer tragen eine Waffe. Auch die Präsenz zahlreicher Soldatinnen und Soldaten erinnert daran, dass die dörfliche Idylle von palästinensischen Städten, Dörfern und Elendsvierteln umgeben ist. Im statistischen Durchschnitt explodierten seit Beginn der Al-Aqsa-Intifada täglich drei Mörsergranaten oder Raketen im Siedlergebiet des Gazastreifens.

Derzeit sei, anders als noch vor ein paar Wochen, alles ruhig, erläutert einer der beiden Soldaten, die in einem Restaurant überdimensionierte Sandwiches verspeisen. Aber Ruhe ist im Gazastreifen ein relativer Begriff. An diesem Tag vereitelt die israelische Armee einen Autobombenanschlag an der Straße zur Siedlung Netzarim und tötet den Attentäter, in Rafah werden zwei Soldaten durch die Explosion einer Panzerabwehrrakete verletzt.

»Fahrt nach Morag. Das ist das schönste Dorf hier. Der Strand ist auch zu empfehlen«, rät der Soldat uns noch, bevor er sein mit einem Zielfernrohr versehenes Scharfschützengewehr schultert und in Richtung Meer verschwindet. Ist das eigenwilliger Militärhumor oder ein Versuch des Soldaten, der mit Journalisten nicht über Politik sprechen darf, seinen Unwillen bezüglich der ihm gestellten Aufgabe zu bekunden?

Morag ist fast vollständig von den Ausläufern der palästinensischen Städte Khan Yunis und Rafah umschlossen. Die Straße führt an einem palästinensischen Elendsviertel und einigen Dörfern vorbei. Dann tauchen rechts von der Straße Betonsperren auf, die gegen Gewehrfeuer schützen sollen. Die Ausläufer Rafahs sind nur einige hundert Meter entfernt. Auf einem Wachtturm postierte israelische Soldaten beobachten aufmerksam, was sich auf der anderen Seite tut.

An den Stränden bei Rafah, die in der Nähe palästinensischer Dörfer liegen, sind die Freizeitanlagen seit Jahren verlassen. Stacheldrahtrollen rosten vor verfallenden Cafés. Die Siedler baden nur in unmittelbarer Nähe der Militärbasis bei Newe Dekalim. Dort warnt ein Schild vor der Gefahr durch hohe Wellen. Man muss schon sehr von seinem geheiligten Anspruch auf dieses Land überzeugt sein, um unter solchen Bedingungen zu leben.

Siedlerin aus Newe Dekalim: »Wir gehen hier nicht weg, niemand«

Für die meisten Israelis hat Gaza, anders als Nablus oder Hebron in der Westbank, keine emotionale oder historische Bedeutung. Rabbi Yossi Alnekaveh aus Newe Dekalim sieht das anders: »Die Stadt Gaza war eine der vier heiligen Städte, in denen jüdische Siedlungen während der Jahre des Exils erhalten wurden.«
»Wir gehen hier nicht weg, niemand«, sagt eine Kellnerin im Eiscafé, dessen Wände mit einer israelischen Fahne, einem Davidstern aus blauem Emaille und einem hebräischen Gedicht geschmückt sind. »Keiner aus dem Dorf, und auch aus den anderen Siedlungen niemand.« Die 24jährige wurde in Newe Dekalim geboren, vier Jahre nach der Gründung der Siedlung.
Auch ihr Bruder meint: »Die Leute wollen hier nicht weg.« Aber er fügt hinzu: »Wir sind die kleinen Leute. Der Chef ist Ariel Sharon.«

Hier leben auch weltliche Nationalisten, doch die meisten Einwohner sind Nationalreligiöse. Die Männer tragen eine Kippa und häufig einen Vollbart, die Frauen kleiden sich mit langen Röcken und bedecken den Kopf mit einer Mütze, einem Kopftuch oder auch einer Perücke. Sie haben beschlossen, die Abgeordneten der Nationalreligiösen Partei und des Likud unter Druck zu setzen, ihre Sympathisanten wollen in ganz Israel von Haus zu Haus gehen, um die Bevölkerung von der Rechtmäßigkeit ihres Anliegens zu überzeugen.

In Newe Dekalim aber mag niemand über Politik reden. Auch Rabbi Didi nicht, den uns eine Gruppe junger Nationalreligiöser vorgestellt hat: »Kennt ihr Eran?« Ohne Rücksprache mit ihm will der Rabbi nicht über die politische Lage sprechen. Eran Shternberg ist der Sprecher der Siedler in Gush Katif, dem größten Siedlungsblock im Gazastreifen. »Die Menschen haben schlechte Erfahrungen gemacht. Sie haben kein Vertrauen zu den Medien«, begründet er die Zurückhaltung.

Umfragen: 60 bis 70 Prozent der Israelis befürworten Ariel Sharons Rückzugsplan

Das Image der Siedler im Gaza ist in der israelischen Gesellschaft nicht allzu gut. Viele sehen in ihnen verantwortungslose Extremisten, und frühere radikal antipalästinensische Äußerungen mancher Siedler in der israelischen Presse haben diesen Eindruck bestätigt. Umfragen zufolge befürworten 60 bis 70 Prozent der Israelis Sharons Rückzugsplan. »Es kommt ganz darauf an, wie man die Fragen stellt«, sagt Shternberg.
»Die Mehrheit ist mit uns.«
Er glaubt auch nicht, dass die von der Regierung angebotene Entschädigung, die immerhin etwa 300.000 Dollar pro Familie betragen soll, die Einwohner zum Rückzug bewegen kann: »Ich kann Ihnen versprechen, dass 90 bis 95 Prozent die Kompensationszahlungen nicht annehmen werden.« Die Nationalreligiösen betrachten die Auflösung auch der kleinsten Siedlung als einen Verrat am zionistischen Ideal.
Eine Zweistaatenlösung kommt für sie nicht infrage. Dies sei »die falsche Medizin«, meint Shternberg, denn hier handele es sich um einen »einzigartigen Konflikt«. Israelis und Palästinenser, das sei »wie wenn zwei Atomraketen aufeinanderprallen«. Den Protest der Siedler vergleicht er mit der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA und kündigt an: »Unser Widerstand wird sehr stark sein.«