Verfassungsschutz und rechter Terror

»Fortführung der AfD-Propaganda«

Der Verfassungsschutz spielt die Gefahr des rechten Terrors bewusst herunter, sagt die Juristin Antonia von der Behrens. Dabei habe der Geheimdienst die rechtsextremen Gruppen selbst mitaufgebaut.
Interview Von

Die Rechtsanwältin Antonia von der Behrens hat im NSU-Prozess die Interessen der Familie Kubaşık vertreten. Mehmet Kubaşık war 2006 in Dortmund erschossen worden, bis zur Selbstenttarnung des NSU unterstellten ihm die Behörden selbst kriminelle Machenschaften und verdächtigten seine Witwe und Kinder des Mordes.


Von den Strafverfolgungssbehörden hört man im Fall Lübcke immer wieder, man habe aus dem NSU-Debakel gelernt. Wie sieht dieser Erkenntnisgewinn aus?
Einige derjenigen, die in der Öffentlichkeit behaupten dazugelernt zu haben, gehören zur Bundesanwaltschaft, die ja die Ermittlungen wegen des Mordes an Walter Lübcke an sich gezogen hat. Sie sagt, dass momentan breit, in konzentrischen Kreisen ermittelt werde, um mögliche Mittäter zu finden, und dass auch insgesamt in militante rechte Strukturen hinein ermittelt würde. Inwieweit die Bundesanwaltschaft wirklich aus dem NSU gelernt hat oder derzeit einfach nur auf politischen Druck reagiert, kann ich noch nicht beurteilen.
Ihr Verhalten im NSU-Komplex spricht allerdings nicht dafür, dass sie besonders lernwillig ist. Sie hat von Anfang an gesagt, der NSU sei eine abgeschottete Dreierzelle, die Unterstützer und Helfer seien unwissend gewesen, sie hätten nichts von den Morden und Anschlägen gewusst. Das gesamte Verfahren hindurch hat sie sich geweigert anzuerkennen, dass es ein Netzwerk um den NSU gibt, das die Entstehung, den Aufbau und die Morde des NSU ermöglicht hat.
Wenn sie nun das Gegenteil behauptet, muss sehr kritisch geschaut werden, ob wirklich zum Beispiel in die Combat-18-Strukturen in Kassel und Dortmund ermittelt wird. Hiervon wären auch noch wichtige Erkenntnisse über den NSU-Komplex zu erwarten.

Das NSU-Netzwerk hat Verbindungen ins Umfeld des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke. Könn­te es sich dabei um ein und dasselbe Netzwerk handeln?
Möglicherweise ist es dasselbe Netzwerk oder ein ähnliches. Wir, also viele Vertreter der Nebenklage, haben immer gefordert, dass ermittelt werden soll beziehungsweise im Verfahren aufgeklärt werden muss, ob die militanten Strukturen, die sich in und um Combat 18 in Kassel und Dortmund organisiert haben, Kontakte zum NSU oder dessen engsten Unterstützern hatten.
Vieles spricht dafür, dass es diese Verbindungen gegeben hat. Es gab Asservate in der Frühlingstraße 26, also der letzten Wohnung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, und bekannte Kontakte zwischen den Strukturen in Dortmund und Kassel und dem Unterstützernetzwerk in Chemnitz und Thüringen.

Die militante neonazistische Organisation Combat 18 spielt in beiden Fällen eine Rolle. Die Gruppe wurde auch überwacht, verboten jedoch nie. Wie lässt sich das erklären?
Wir beobachten bei Verfassungsschutzbehörden die Strategie, rechte Gruppen kontrollieren zu wollen, indem man sich maßgeblich an deren Aufbau und Führung beteiligt. Das lässt sich am Beispiel Thüringen gut zeigen. Dort sind viele Strukturen nach der Wende auch mit der Hilfe von V-Leuten aufgebaut und von diesen dominiert worden, wie zum Beispiel der Thüringer Heimatschutz, die politische Heimat der späteren NSU-Mitglieder, oder Blood and Honour Thüringen. Weitere Beispiele gibt es aus anderen Bundesländern. Entsprechend schonend gingen die Sicherheitsbehörden mit diesen Strukturen um beziehungsweise sie stießen an ihre Grenzen, weil der Verfassungsschutz seine V-Männer zum Beispiel vor Durchsuchungen gewarnt hatte.
Ein nachsichtiger Umgang und ins Leere laufende Strafverfolgungsmaßnahmen sind also typische Anzeichen, dass eine Struktur möglichweise mit V-Leuten durchsetzt ist. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich der Verfassungsschutz nach der Selbstenttarnung des NSU von dieser Strategie verabschiedet hat. Insofern stellt sich in Bezug zu Combat 18, wenn man sieht, wie ungestört diese Struktur in den letzten Jahren agieren konnte und wie sie in den Verfassungsschutzberichten heruntergespielt wird, die drängende Frage, in welchem Ausmaß dort ­V-Leute aktiv sind. Ob wird dies jemals erfahren werden, hängt unter anderem auch davon ab, wie viel politischen und öffentlichen Druck es noch geben wird, hier weiter aufzuklären.

Walter Lübcke stand auch auf der sogenannten Zehntausenderliste des NSU. Weshalb sind Namen von Personen und Objekten auf dieser Liste bislang nicht öffentlich geworden?
Diese Liste ist ja eine Datenzusammenstellung des BKA aus vielen verschiedenen Quellen. Dazu gehören digitale Daten, ausgedruckte oder handschriftliche Aufzeichnungen des NSU über Institutionen und Personen, die vom NSU als Feinde definiert wurden, es finden sich aber auch mögliche Tatorte für Logistikstraftaten dort. Dass nicht Personen, soweit sie offenbar individuelle ausgesucht wurden, informiert wurden, dass der NSU ihren Namen verzeichnet hatte, kann ich mir nur damit erklären, dass die Gefährlichkeit des NSU und seines Netzwerkes nicht ernst genommen wurde. Das BKA hat bezüglich dieses Punktes anscheinend selbst an die These vom NSU als einem Trio geglaubt und wohl keine Gefahr mehr gesehen, als sich nach ihrer Auffassung der NSU durch den  Tod von Böhnhardt und Mundlos aufgelöst hatte. Unsere Einwände dagegen und der Hinweis auf die bestehende Gefährlichkeit des Netzwerkes um den NSU wurden als Propaganda der Nebenklage abgetan.

Die Nebenklage im NSU-Verfahren ist sehr politisch aufgetreten. Ist das Ihre juristische Aufgabe?
Außerhalb des Verfahrens haben wir auch politisch argumentiert, während wir im Verfahren immer klar juristisch argumentiert haben. Zum Strafverfahren, das unter anderem im Fall von Zschäpe den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung umfasste, gehörte es aus unserer Sicht zwingend dazu, dass das Gericht aufklärt, um was für eine Vereinigung es sich beim NSU eigentlich handelt. Wie groß ist also der NSU, welche Mitglieder und Unterstützer hat er, auf was für Netzwerke kann er für ideologische oder logische Belange zurückgreifen?
Dieser Forderung hat sich das Gericht offen entzogen und behauptet, diese Fragen seien für die Tat- und Schuldfrage nicht relevant, es komme also nur darauf an festzustellen, ob es den NSU gab oder nicht. Selbst in Bezug auf die Morde musste nach Ansicht des Gerichts die Frage der Opferauswahl, ob es also zum Beispiel Helfer an den Tatorten gab, nicht aufgeklärt werden. Eine Entscheidung, die wir für juristisch falsch gehalten haben und die natürlich den Angehörigen zu vermitteln war.
Aus unserer Sicht ist an juristischer Aufklärung im Verfahren zumindest nicht das geleistet worden, was rechtlich möglich gewesen wäre. Selbst die Bundesanwaltschaft ist in ihren Ermittlungen vielen offensichtlichen Ermittlungsansätzen in Bezug auf mögliche Helfer an den Tatorten und dem Netzwerk allgemein nicht nachgegangen und soweit doch, waren die Ermittlungen oft oberflächlich und uns wurde Akteneinsicht in diese Ermittlungsergebnisse verweigert. Und die Bundesanwaltschaft hat öffentlich unsere Forderung nach Aufklärung, also nach Ermittlungen in rechte Strukturen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für mögliche Kontakte zum NSU oder relevantes Wissen gab, in der Öffentlichkeit diskreditiert.

Sowohl der neue Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, als dessen umstrittener Vorgänger Hans-Georg Maaßen erklären den Anstieg des Rechtsextremismus in Deutschland mit der Migrationspolitik seit 2015. Ist der Verfassungsschutz also wirklich blind auf dem rechten Auge?
Das interne Wissen des Verfassungsschutzes über militante rechte Strukturen seit den neunziger Jahren und auch heute ist sehr breit. Man wusste in den neunziger Jahren um die Gefahr, die von ihnen ausging. Um sie zu kontrollieren, setzte der Verfassungsschutz- und andere Sicherheitsbehörden möglichst viele V-Leute ein. Nach außen wurde die Gefahr hingegen heruntergespielt.
Der Verfassungsschutz war also überhaupt nicht blind, sondern wollte das Ausmaß der Gefahr, die vom ­Neonazismus ausging, bewusst nicht darstellen. Heute zeigt sich, dass diese Behörden immer noch nicht bereit sind, nach außen das zu kommunizieren, was sie wissen: nämlich das Ausmaß von ideologisch gefestigten und bewaffneten neonazistischen Struk­turen, die gezielt auf eine Systemveränderung hinarbeiten, von denen viele eine an den NS angelehnte Staats -und Gesellschaftsordnung zu errichten wollen.
Zu diesem Zweck kommt man dann mit der Geschichte vom Migrationssommer als angeblichem Grund für rechtsterroristische Taten in Deutschland. Das ist vor dem Hintergrund der Morde und Anschläge des NSU, aber auch der vielen weiteren rechtsterroristischen Strukturen und deren Morden und Anschlägen, die es insbesondere seit den siebziger Jahren gegeben hat, eine Fortführung der AfD-Propaganda.