Am Ort des alten Kunsthauses ­Tacheles in Berlin-Mitte gibt es nun Luxuswohnungen

Das neue Berlin

Das besetzte Kunsthaus Tacheles war bis zur Räumung 2012 einer der letzten subkulturellen Nischen in Berlin-Mitte. Nun wird auf dem Areal eine riesige Luxussiedlung eröffnet.

Schöner wird’s nicht mehr. Wo noch vor kaum mehr als zehn Jahren Künstlerinnen und Künstler dem kapitalistischen Ausverkauf von Berlin-Mitte trotzten, öffnet nun ein neues Stadtquartier peu à peu seine von Sicherheitsleuten bewachten Pforten. »Am Tacheles« heißt der fast einen ganzen Häuserblock füllende Gebäudekomplex. Die Reklame verspricht »Wohnen, Arbeiten und Einkaufen auf höchstem Niveau«. Architektonisch fügen sich die Neubauten nahtlos in die kühle Ästhetik dieses Teils von Mitte um die Friedrich- und die Oranienburger Straße. Die Eigentumswohnungen kosten teils mehrere Mil­lionen Euro, manche haben einen »Concierge-Service zur individuellen Betreuung«. Als kulturelles Feigenblatt fungiert ein kommerzielles Fotografiemuseum, das sich als Veranstaltungsort für die kreative Klasse versteht, inklusive »elevated dining«.

Das allein wäre keine Meldung wert, hätten die Entwickler das Stadtquartier nicht auf dem Gelände des 2012 geräumten Kunsthauses Tacheles gebaut und sich mit dessen Namen geschmückt. Das Tacheles war eine der letzten jener subkulturellen Nischen, mit denen Berlin in den neunziger und nuller Jahren seinen internationalen Ruf als kulturelle und subkulturelle Metropole aufbaute: ein riesiges, mit unzähligen Graffiti verziertes Gebäude, in das man ­jederzeit hineinspazieren konnte, um sich Kunst anzuschauen, Performances mitzukriegen, Konzerte zu hören oder einfach billig zu trinken.

Bei dem Kunsthaus handelte es sich um die letzten verbliebenen Teile eines im frühen 20. Jahrhundert fertiggestellten Einkaufszentrums, der Friedrichstraßenpassage, die einst die Friedrich- und die Oranienburger Straße verband. Im Zweiten Weltkrieg nutzten die NSDAP und die SS die Gebäude, in DDR-Zeiten verfielen sie immer mehr und wurden dann weitgehend abgerissenen. Der Teil, der 1990 noch stand, sollte ebenfalls gesprengt werden. Verhindert hat das eine Künstlerinitiative, die das ganze Areal im Februar 1990 besetzte.

In dem Gebäude und auf dem angrenzenden Gelände richteten die Besetzerinnen Ateliers, Veranstaltungs- und Verkaufsräume, eine Werkstatt, ein Kino und eine Kneipe ein. Ständig fanden dort Konzerte und Partys statt. Mehr als zwei Jahrzehnte zog das Tacheles nonkonformistische Künstlerinnen und Künstler und zahlreiche Touristinnen und Touristen aus aller Welt an. »Es gab ein kleines Fenster, das sich aus der besonderen historischen Lage aufgrund der Wende ergab. Das haben wir genutzt, alle miteinander«, sagt der Künstler und Musiker Martin L. Reiter der Jungle World.

Wer sich in seinem künftigen Zuhause wie im Nobelhotel fühlen möchte, kann sich über den Concierge-Service und einen »Spa and Health Club« freuen.

Reiter stieß 1993 zum Tacheles, von 1999 bis 2012 war er Vorstandsmitglied des Vereins Kunsthaus Tacheles. Das Tacheles habe damals Glücksritter angezogen, die vor allem Geschäfte machen wollten, sagt er, aber auch jede Menge Leute, die sich intensiv für Fragen der Kunst interessierten. In jener Zeit wurde das Tacheles fast zu etwas wie einem Mythos und hat die Biographien zahlreicher Menschen geprägt. Nicht wenige scheiterten jedoch auch an den Zumutungen und Widersprüchen, die die Selbstorganisation eines sogenannten Freiraums mit sich brachte. Es gab immer wieder schwere Konflikte unter den Nutzern, unter anderem darum, welchen finanziellen Beitrag die kommerziellen Gastronomiebetriebe zum Betrieb des ganzen Hauses leisten sollten.

Als der günstige zehnjährige Mietvertrag Ende 2008 auslief, war der Eigentümer, eine Tochterfirma des Immobilienkonzerns Fundus-Gruppe, insolvent. Als Zwangsverwalter setzte die HSH Nordbank durch, dass der Gebäudekomplex zwangsversteigert wurde, und reichte eine Räumungsklage ein. Die Besetzerinnen wehrten sich, der Konflikt zog sich jahrelang hin. 2011 schließlich zogen die kommerziellen Nutzer aus – im Gegenzug erhielten sie eine Million Euro. Viele Künstlerinnen blieben weiter in ihren Ateliers, doch 2012 wurde das Tacheles endgültig geräumt. 2014 wurde die Immobilie schließlich für 150 Millionen Euro an das US-amerikanische Finanzdienstleistungsunternehmen Perella Weinberg Partners verkauft. Die FAZ schrieb damals, das »heruntergekommene, mit Graffiti übersäte Gebäude« sei »eines der letzten Filetstücke in der Berliner Innenstadt«.

2016 begannen die Bauarbeiten. Weil die Kaufhausruine seit 1992 vollständig unter Denkmalschutz steht, mussten die Neubauten darum herum gebaut werden. Auf dem knapp 25.000 Qua­dratmeter großen Areal entstanden sechs Wohnhäuser und vier Bürogebäude, die nach teurer Architektur aus­sehen. Die Leitung hatte das Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron inne, das unter anderem für die Hamburger Elbphilharmonie und die Münchner Allianz-Arena verantwortlich ist.

Die neue Bebauung am ehemaligen Tacheles

Die neue Bebauung am ehemaligen Tacheles

Bild:
Luftbild tapas & twain / Bearbeitung spring(Pressebild)

Die Namen der Wohn- und Bürohäuser klingen so prätentiös, als handelte es sich um Parfummarken: »Scape«, »Joux« oder »Frame«. Im Wohnhaus »Joux« kosten die zwei bis drei Zimmer großen Eigentumswohnungen 800.000 bis 1,8 Millionen Euro. Die Website betont immer wieder, wie sehr sich – wegen der angeblich zu erwartenden Preisentwicklung in Berlin – eine Investition in eine Wohnung lohne. Wer sich in seinem künftigen Zuhause wie im Nobelhotel fühlen möchte, kann sich außer über den Concierge-Service auch über eine hauseigene Tiefgarage, eine Fahrradwaschanlage, einen Hundewaschplatz, einen »Spa and Health Club« sowie einen privaten Hofgarten freuen. Außerdem sorgen »Kameras, absenkbare Poller und regelmäßige Security-Rundgänge« für »Sicherheit am Tacheles«. Ansonsten gibt es allerlei Einzelhandel, Ende Juni eröffneten die ersten Supermärkte, bald sollen Cafés und ein Autohändler folgen.

Steht man heutzutage vor dem noch mit Bauzäunen abgeschirmten ehemaligen Tacheles in der Oranienburger Straße, fällt zunächst die alte, mit Einschusslöchern übersäte Fassade auf, die noch von der Schlacht um Berlin zeugt. Geht man durch das große Tor hindurch, hat man das Gefühl, von einem schwarzen Trichter verschlungen zu werden. Dieser Eindruck entsteht, weil die Architekten den Lauf der historischen Passage nachgebaut haben, die in der Mitte eine Biegung macht. Die Wände der Passage ragen viele Etagen hoch; die Kombination aus hellen Backsteinen und getönten Fensterscheiben in kleinen Schießscharten strahlt eine futuristische Strenge aus. Der Blick wird immer wieder nach oben gelenkt. Dort hängen in regelmäßigen Abständen dünne metallene Lampenstäbe herab, hier und da wurde ein wenig Grün gepflanzt. Nicht zu Unrecht bezeichnet Reiter das neue Stadtquartier als »Star Wars des Städtebaus«. »Das ist ein belangloses Architektur-Gulasch, komplett versiegelt, und die Bodenplatten sind eine Frechheit«, meint er. »Das können sie in 25 Jahren wieder sanieren. Diese Architektur ist ein Betrug am Kunden.«

Für einige Kritik hatte Anfang Juli eine Fassade gesorgt, auf der mit historischen Jahreszahlen und Textaufdrucken die Geschichte des Areals dargestellt wird. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde dabei ausgespart.

Für einige Kritik hatte Anfang Juli eine Fassade gesorgt, auf der mit historischen Jahreszahlen und Textaufdrucken die Geschichte des Areals dargestellt wird. Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge wurde dabei die Zeit des Nationalsozialismus ausgespart. Der Geschäftsführer der verantwortlichen Projektentwicklungsfirma PWR Development entschuldigte das Fehlen als »Fauxpas«. Mittlerweile haben die Verantwortlichen doch noch Platz auf den mehrere Hundert Meter langen Fensterfronten gefunden. Die hinzugefügten Zeilen erinnern daran, dass zahlreiche NS-Organisationen wie die Deutsche Arbeitsfront und das Zentralbodenamt der SS das Gebäudeareal einst für ihre Zwecke nutzten. Die SS verwaltete dort über eine Million Akten von Grundstücksenteignungen in ­Osteuropa und organisierte außerdem den Erwerb des Geländes für das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.

Nicht nur musste die alte Kaufhausruine stehen bleiben, der städtische Bebauungsplan legte dafür außerdem eine kulturelle Nutzung fest. Erfüllt wird die Auflage durch das schwedische Fotomuseum Fotografiska, das dort im September eröffnet werden soll. Es hat bereits Dependancen in Stockholm, New York und Tallinn. Auf seiner Homepage beschreibt sich das profit­orientierte Unternehmen als einen Ort für »erstklassige Fotografie, vielsei­tiges Programm, gehobene Küche und überraschende neue Perspektiven«. Fotografiska hat im Kontrast zu den staatlichen Museen bis spät in die Nacht geöffnet. »Wir sind das Museum, wo die Leute nach der Arbeit hinkommen und einen Drink oder ein Date haben, an einer Vorlesung teilnehmen – auch Dinner gibt es«, sagte der geschäftsführende Vorsitzende von Fotografiska, Yoram Roth, in einem Podcast im ­Februar vergangenen Jahres. Es seien bis zu fünf Ausstellungen gleichzeitig geöffnet, und diese liefen jeweils nicht länger als 16 Wochen lang, bevor sie ­ersetzt würden, sagte Roth. »Deswegen haben die Leute immer wieder Grund, ins Museum zu kommen«, sagte er.

Doch auch für jene, die sich dem ehemaligen Tacheles verbunden fühlen, gibt es zumindest einen Grund, das Museum zu besuchen. Der B.Z. zufolge haben die umfangreichen Auf­lagen der Denkmalschutzbehörde eine äußerst vorsichtige Sanierung erfordert. Deshalb sei das mit zahlreichen Graffiti, Plakaten und Sprüchen verzierte Treppenhaus weitestgehend intakt geblieben ist. Als Stück unverdaulicher Geschichte scheint es die Berliner Gegenwart zu überdauern.