Traditionelle linke Begriffe reichen nicht aus, um die Hamas zu analysieren

Die Hamas und die blinden Flecken der Linken

Die Reaktionen von Linken auf das Pogrom der Hamas am 7. Oktober reichen von grotesker Apologetik bis zu hilflosen Verdammungen. Der Linken im internationalen Maßstab fehlen die Begriffe, um das Phänomen des politischen Islam und seines Antisemitismus angemessen zu fassen.
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Der Angriff der Hamas am 7. Oktober war eine beispiellose Eskalation im Krieg gegen Israel. Er zwingt dazu, erneut über Antisemitismus, Islamismus und die Linke nachzudenken. Ernst Lohoff hat die Kriegsführung der Hamas als ein Element eines beginnenden Weltbürgerkriegs gedeutet (Jungle World 47/2023).

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Was die Hamas betrifft, scheint es grob fünf unterschiedliche, miteinander konkurrierende Interpretationen zu geben:

I.
Diejenigen, die denken, die Hamas sei eine echte nationale Befreiungsbewegung mit einer sekundären religiösen Komponente, die ein Verhandlungspartner für Israel sein muss. Der ehemalige Trotzkist Edwy Plenel (heute leitet er Mediapart, eine linke »unabhängige Zeitung«, die online erscheint und rund 200.000 Abonnenten hat) erklärt in ein und demselben Text, dass die Hamas großzügig aus Katar finanziert und »von Israel instrumentalisiert« werde, aber auch eine »politische Bewegung mit einer sozialen Basis« (?) und mit »autoritären Praktiken« (?) darstelle, die »einen der Teile, heute der dominierende, des palästinensischen Nationalismus« sei. Was für ein Heuchler!

Die Vertreter dieser zaghaften »These«, die es sorglichst vermeiden, nach der Bedeutung des Namens »Islamische Widerstandsbewegung« zu fragen (Harakat al-Muqawama al-Islamiya oder Hamas, in deren Namen die »palästinensische Nation« gar nicht vorkommt), reichen von der äußeren Linken bis zu moderaten linken Intellektuellen oder »progressiven« Akademikern, welche gerne die »Komplexität« und den »Kontext« beschwören, zwei magische Wörter, die ihnen dabei helfen, den »großen Denker« zu mimen.

Letztlich teilen sie alle eine klassische antiimperialistische Position (gemeint ist eine Ablehnung allein – oder hauptsächlich – des US-amerikanischen oder europäischen Imperialismus) oder eine Parteinahme für den »Globalen Süden«, um den neusten Trendbegriff zu benutzen. Daher reicht die Spanne von der Idealisierung der Hamas als »Avantgarde« eines Kampfs gegen den westlichen Imperialismus oder Vorkämpfer einer breiteren, nebulösen »Revolution« bis hin zu jenen, die den Palästinensern einfach demokratische Rechte in der Form eines Staats geben wollen, was auch immer der für ein Territorium umfasst. Deshalb haben wir es mit Vertretern von sowohl einer »Einstaaten-« als auch einer »Zweistaatenlösung« zu tun.

Diese »Linke« hat noch eine Sache gemeinsam: Sie weigert sich, die Kritik der Religion, die ihren Ursprung in der Aufklärung hat und von den Gründungsfiguren des Marxismus und Anarchismus fortgeführt wurde, eines Updates zu unterziehen. Von dieser Weigerung ausgenommen ist das Judentum, das den »Antiimperialisten« als besonders schädlich erscheint. Das Christentum wird dabei ausgespart (die »christliche Linke« soll nicht entmutigt werden), vor allem aber der Islam – im Namen des Kampfs gegen die sogenannte Islamophobie.

Die Spanne reicht bis zur Idealisierung der Hamas als »Avantgarde« eines Kampfs gegen den westlichen Imperialismus oder Vorkämpfer einer breiteren, nebulösen »Revolution«.

Diese konfuse und prinzipienlose »antiimperialistische« Bewegung verwendet eine ganze Reihe von fragwürdigen Argumenten:

a) in Palästina und den besetzten Gebieten ist keine andere Politik möglich als der bewaffnete Kampf

b) »die Israelis« (oder »die Zionisten«) zahlen den Preis dafür, dass sie es nicht geschafft haben, massenhafte Unterstützung für eine Verbesserung der Situation der Palästinenser zu mobilisieren, oder für ihre angebliche Gleichgültigkeit, oder sogar für ihren »systemischen Rassismus« und ihren »white supremacism« – mit anderen Worten: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten«

c) die israelische Armee, ein Vorposten des amerikanischen Imperialismus«, »die beste Armee der Welt«, führt einen »asymmetrischen« Krieg gegen die schlecht bewaffneten Hamas-Kämpfer (man beachte, wie nach den Pogromen des 7. und 8. Oktober jene, die dieses Argument vorbrachten, schnell dabei waren, die raffinierten technischen Fähigkeiten und die militärischen und strategischen Fähigkeiten der Hamas zu loben)

d) die Pogrome der Hamas sind die normale, unvermeidliche Folge der täglich und ständig vom israelischen Staat und den religiösen und rechtsextremen Siedlern ausgeübten Gewalt

e) die Hamas ist eine an den Widerstand gegen die Nazis erinnernde Widerstandsbewegung

f) der Westen, Europa, oder beide, sind die Hauptschuldigen an den Pogromen der Hamas. Der unnachahmliche Yanis Varoufakis erklärte: »Denjenigen, die sich bemühen, Leute wie mich, oder die Diem25-Bewegung (Democracy in Europe Movement 2025, Anm. d. Übers.) dazu zu drängen, die Angriffe der Hamas-Guerillas zu verurteilen, wird das nie gelingen. Und ihnen wird das aus einem einfachen Grund nicht gelingen. (...) Die Verbrecher hier sind nicht die Hamas, nicht einmal die israelischen Siedler, die Palästinenser töten. Die Verbrecher sind wir Europäer. Wir.«

g) Israel sei im Begriff, einen »Genozid« im Gaza-Streifen zu verüben, eines der beliebtesten Motive der bekannten »Holocaust-Umkehr«-Technik. Diese Technik besteht darin, Israel, die Israelis und die Juden als Nazis oder zukünftige Nazis zu beschreiben; und zu erklären, dass »die Juden« (oder »die Zionisten«) sich alle von Unterdrückten in Unterdrücker gewandelt hätten, dass »aus den Opfern die Henker geworden sind«. Diese »Argu­mentation« wird von linken Antizionisten ebenso wie von rechtsextremen und den Holocaust leugnenden Antizionisten verwendet. Sie wird allgemein von Personen verwendet, die, sei es aus Unwissen oder Zynismus, den Unterschied zwischen Konzentrationslagern, Arbeitslagern und Todeslagern während des Zweiten Weltkriegs verwischen. So nehmen sie sich die Freiheit, Gaza als »Freiluftkonzentrationslager« zu bezeichnen (mit der starken Konnotation eines Vernichtungslagers); im März/April 2002 verglichen sie den Angriff der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager in Jenin mit dem Angriff der Nazis auf die Aufständischen im Warschauer Ghetto; und im Oktober 2023 verglichen sie den genozidalen Angriff der Hamas auf die Kibbuzim und die Rave-Party mit dem »Aufstand im Warschauer Ghetto«. Infamie wiederholt sich.

Erhöhte Terrorgefahr. Französische Soldaten patroullieren in Paris, 6. November

Erhöhte Terrorgefahr. Französische Soldaten patroullieren in Paris, 6. November

Bild:
picture alliance / NurPhoto / Matteo Placucci

Diese sieben Pseudo-«Argumente« sind Teil einer »antiimperialistischen« Interpretation, die in der westlichen Linken auf ferne Quellen zurückgeht, auf die Thesen Lenins, der Bolschewiki und der Kommunistischen Internationale, die auf dem Kongress von Baku (beziehungsweise dem Ersten Kongress der Völker des Orients) im September 1920 verteidigt wurden. Diese Tradition wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von französischen Intellektuellen wie Franz Fanon, Jean-Paul Sartre und Michel Foucault und vor allem von politischen Führungsfiguren wie Ho Chi Minh, ­Fidel Castro, Amílcar Cabral, Thomas Sankara, Che Guevara und Nelson Mandela, sowie außerdem der afroamerikanischen Bewegung um Malcolm X und die Black Panther Party (Eldridge Cleaver, Huey Newton, Angela Davis) fortgeführt und ausgebaut. Und, in noch jüngerer Vergangenheit, von den Unterstützern von Hugo Chávez, Luiz Inácio »Lula« da Silva, Evo Morales und anderen, oder von feministischen Intellektuellen wie Judith Butler.

II.
Diejenigen, die die Hamas mit einer faschistischen oder klerikalfaschistischen Bewegung gleichsetzen und sich dabei auf Leo Trotzkis Analyse der Muslimbruderschaft aus den zwanziger Jahren stützen, beispielsweise die Alliance for Workers Liberty (AWL), eine kleine heterodoxe Gruppe; diejenigen, die eine eigene Analyse des Islamismus entwickelt haben und sich dabei vor allem auf das Erbe der italienischen Autonomia und des Operaismus berufen, wie beispielsweise der Mouvement Communiste; und schließlich eine trotzkistische Gruppe wie Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf), die ebenfalls nie irgendwelche Illusionen über islamistische Strömungen hegte, und sie als »bürgerliche Reaktionäre« beschrieb – eine ziemlich kurzgreifende Analyse, die aber das Wesentliche trifft. Es sollte angemerkt werden, dass die LO Antisemitismus auf der Linken bisher unterschätzt, anders als die zwei anderen ­genannten Gruppen, die bei diesem Thema viel differenzierter und wacher (awoken) sind.

III.
Diejenigen, die, sei es aus einer rechten oder sogar extrem rechten oder aber auch sozialdemokratischen Position heraus, die Hamas als eine faschistische oder Nazi-Organisation und den politischen Islam als »neuen Faschismus« oder einen »neuen Nazismus« analysieren. Die Vertreter dieser Position reichen von der Republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten bis zum Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF), dem Dachverband der jüdischen Gemeinden Frankreichs. Ebenfalls dazu gehört eine Reihe politisch gemäßigter Intellektueller, die Mitte-rechts oder Mitte-links einzuordnen sind. Diese Personen teilen allgemein die These eines »Konflikts« oder (öfter noch) eines »Kriegs der Zivilisationen« – auf eine Mal mehr, mal weniger offene und mal mehr, mal weniger extreme Weise.

IV.
Diejenigen, die die Hamas als »totalitäre« Bewegung ansehen, ohne sich dabei tiefer mit diesem Begriff zu beschäftigen; oder Personen, die den Begriff Totalitarismus verwenden, aber noch weitergehen und alle Religionen als ­totalitär bezeichnen (klassische Anarchisten und wohl noch viele andere Personen, die sich nicht entscheiden können, welchen Begriff sie benutzen sollen).

V.
Eine kleine Minderheit sehr radikaler Aktivisten, die denken, dass die nationale Frage seit einem Jahrhundert überholt ist. Alles, was nicht hundertprozentig kommunistisch ist, gilt ihnen als reaktionär und verdient sonst alle möglichen negativen Bezeichnungen, doch ohne sich wirklich mit den Fragen zu beschäftigen, die der politische Islam aufwirft.

Diese Diskussion wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass der Begriff politischer Islam zahlreiche verschiedene Organisationen umfasst, solche, die Gewalt anwenden mögen oder nicht, solche, die an der Macht sind oder es waren. Bei dieser allgemeinen Frage finden sich wieder die gleichen unterschiedlichen Positionen: von jenen, die meinen, der politische Islam sei die Ideologie der vom »Globalen Norden« oder dem Westen unterdrückten Völker, bis hin zu jenen, die glauben, der politische Islam sei eine neue faschistische und/oder totalitäre Ideologie, ohne genauer zu unterschieden zwischen der Türkei, der Islamischen Republik Iran, der Muslimbruderschaft sowie dem »Islamischen Staat« und jihadistischen terroristischen Bewegungen. Zwischen diesen beiden Extrempositionen finden sich solche, die die tunesische Partei al-Nahda, die Islamische Heilsfront (Front islamique du Salut, FIS) in Algerien, die Muslimbruderschaft in Ägypten und die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) in der Türkei für zeitgenössische ­islamische Entsprechungen der Christdemokratischen Partei in Italien oder der ehemaligen Volksrepublikanischen Bewegung (Mouvement républicain populaire, MRP) in Frankreich halten. Oder, wenn sie heute noch nicht diesen Vorbildern entsprechen, so könnten sie es zumindest morgen, falls die westlichen Staaten aufhören, »islamophob« zu sein …

Begriffsverwirrung. Schild eines Demonstranten in Paris, 13. Oktober

Begriffsverwirrung. Schild eines Demonstranten in Paris, 13. Oktober

Bild:
picture alliance / abaca / Roses Nicolas

Keine dieser grob skizzierten Positionen scheint zufriedenstellend. Keiner von ihnen gelingt es, alle Dimensionen des Problems zusammen zu erfassen, und keine leistet eine echte Analyse der sozialen und politischen Rolle der islamischen Religion in all ihren Formen (vermischt diese unwiderruflich religiöse und politische Aspekte? – in diesem Fall gäbe es keine Hoffnung ohne eine große religiöse Reform, die Jahrhunderte auf sich warten lassen könnte) und der unterschiedlichen Bewegungen, die für sich in Anspruch nehmen, Teil des politischen Islam zu sein. Insbesondere seit der Revolution von 1979 im Iran trat ideologische, politische und sogar militärische Kon­kurrenz zwischen den unterschiedlichen sunnitischen und schiitischen Gruppen hervor und wurde das politische Bild, aufgrund gegenseitiger Beeinflussungen, viel komplexer. Außerdem ist es nötig, die Rolle der Salafisten zu beurteilen, die von einigen Experten als harmlose religiöse Sektierer und von anderen als Förderer bei der Entwicklung des jihadistischen Terrorismus dargestellt werden. Wem soll man glauben?

Wenn jede Analyse des politischen Islam auf abstrakte Kritik (wie berechtigt auch immer) von Nationalismus, Totalitarismus, Faschismus oder des hemmungslosen Hasses auf den Westen und seine »säkularen und demokratischen Werte« reduziert wird (alles Elemente, die, in unterschiedlichem Ausmaß, bei der Hamas und dem politischen Islam vorzufinden sind), bedeutet das, dass wir keine neuen Werkzeuge für eine Analyse eines Phänomens entwickelt haben, das vergleichsweise neu ist (was sein Ausmaß und seine unmittelbaren Folgen betrifft) und bisher noch nicht dagewesene Formen annimmt. Wenn wir uns schließlich nur auf die oben genannten Erklärungsschemata stützen, müssen wir die Hamas oder den politischen Islam gar nicht mehr im Detail analysieren, um sie zu verstehen und zu beschreiben, weil alle möglichen Hypothesen zu ihrer Erklärung bereits seit einem Jahrhundert von Marxisten, Anarchisten und Verteidigern der bürgerlichen Demokratie vorgebracht worden sind.

Es ist natürlich essentiell, die Hamas und den politischen Islam als Feind der Arbeiterklasse zu brandmarken, und es ist nicht nötig, endlos über angemessene oder unangemessene Verwendungen des Begriffs »Terrorismus« zu debattieren; über die juristischen Konzepte von »Kriegsverbrechen« oder »Verbrechen gegen die Menschheit«; oder sogar über Massaker an Zivilisten im Namen eines bestimmten »Widerstands«, wie es ein guter Teil der Linken und der extremen Linken in Frankreich und im Rest der Welt getan hat. Ähnlich ist es essentiell, den muslimischen Antijudaismus (der mit einigen sehr alten theologischen Interpretationen des Koran zusammenhängt) und den Antisemitismus des politischen Islam zu verurteilen, der Formen bis hin zur neonazistischen Holocaustleugnung und Vernichtungsphantasien annimmt. Doch das ist nicht genug: Wir müssen neue Argumente vorbringen, die auf konkretem Wissen, aber insbesondere auf neuen Begriffen basieren.

Es ist noch notwendig, sehr viel nachzudenken. Bisher waren wir mit marxistischen und anarchistischen Konzepten nicht in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.

Nur ein kleines Beispiel: Am 10. Oktober 2023 argumentierte das Tandem Dominique Vidal und Xavier Guignard (Vidal ist Journalist, Guignard lehrt an der Sorbonne-Universität in Paris, Anm. d. Übers.) während einer Sendung des linken unabhängigen Onlinemediums Le Média, dass die Hamas ihre Charta geändert und modifiziert habe. Aber wenige Tage danach, am 16. Oktober, veröffentlichte Mediapart einen Artikel, in dem der politische Anführer der ­Hamas, Khaled Mashal, mit einer Äußerung zitiert wird, die der mit ihrer Autorität vorgetragenen Argumentation des Duos Vidal-Guignard völlig widerspricht: »›Die Charta von 1988 ist jedoch nicht obsolet‹, sagte Khaled Mashal, einer der Gründungsmitglieder der Hamas, der Forscherin Leila Seurat: ›Die Hamas weigert sich, sich den Wünschen anderer Staaten zu fügen. Ihr politisches Denken ist niemals das Ergebnis äußeren Drucks. Unser Prinzip ist es nicht, das Dokument zu ändern (er spielt damit auf das 2017 von der Hamas veröffentlichte ›Dokument allgemeiner Prinzipien und Richtlinien‹ an, Y. C.). Die Hamas hat ihre Vergangenheit nicht vergessen. Dennoch beschreibt unsere Charta die Periode der achtziger Jahre und das Dokument beschreibt unsere Positionen im Jahr 2017. Jeder Zeitraum hat seine eigenen Texte. Diese Evolution sollte nicht als Abrücken von den ursprünglichen Prinzipien betrachtet werden, sondern eher als Herleitung (Ishtiqaq) des Denkens und der Werkzeuge, die unserer Sache in ihrem derzeitigen Stadium am besten dienen.‹«

Wenn wir schon auf eine so einfache Frage (wurde die antisemitische, verschwörungstheoretische und genozidale Charta der Hamas von 1988 außer Kraft gesetzt oder nicht? Und wie?) keine verlässliche Antworten haben, oder wenn linke Intellektuelle oder universitäre Radikale, mit Absicht oder nicht, Fakten ignorieren, dann ist es nicht überraschend, dass wir verloren sind, wenn es darum geht, den Charakter der Hamas zu analysieren.

Nebenbei schrieb die Soziologin Leila Seurat, die den Artikel verfasst hat, in dem die Äußerung des Anführers der Hamas zitiert wird, am 1. Mai 2017: »Die Hamas ist nach ihren drei aufeinander folgenden militärischen Opera­tionen seit 2009 nicht bereit für eine neue bewaffnete Auseinandersetzung mit Israel.«

Es liegt mir fern, Leila Seurat für ihre fehlerhafte Prognose zu kritisieren, da ich weder ihr Wissen über dieses Thema besitze noch in der Lage bin, eine theoretische Analyse als Alternative zu den verbreiteten Interpretationen des politischen Islam im Allgemeinen und der Hamas im Besonderen zu formulieren. Aber ist diese monumentale Fehleinschätzung nicht verbunden mit einem fehlenden Verständnis (oder zumindest eine unangemessenen Verständnis) des tief reaktionären, antiproletarischen, antikommunistischen, prokapitalistischen und genozidalen Charakters dieser Organisation?

Es ist noch notwendig, sehr viel nachzudenken. Bisher waren wir mit marxistischen und anarchistischen Konzepten nicht in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen, abgesehen von ein paar zeitlosen Slogans, die manchmal richtig (Gegen den Krieg!) oder völlig daneben (Lang lebe der Klassenkampf!) sind, aber hoffnungslos unzureichend, um denjenigen wirksam zu helfen, die im Nahen Osten jeden Tag den Bomben und Kugeln ausgesetzt sind.

Während wir auf solidere Analysen warten, müssen wir zumindest auf die Worte der Überlebenden des von der Hamas organisierten Pogroms hören, eher als auf die der »Experten« oder Politiker; und wir müssen diejenigen israelischen und palästinensischen Aktivisten unterstützen, die nicht der Hamas das Wort reden und versuchen, zusammenzuarbeiten, wie deren Kommuniqués es fordern.

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Yves Coleman ist Redakteur der französischen linksradikalen Website »Ni patrie ni frontières«, wo dieser Text zuerst erschien. In englischer Übersetzung veröffentlichte ihn die britische Alliance for Workers Liberty (AWL).