In Sarajevo pflegen Aktivist:innen die Erinnerung an jugoslawische Partisan:innen

Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk

Jugoslawien befreite sich im Zweiten Weltkrieg eigenständig vom Faschismus. Die Erinnerung daran war für den kommunistischen Staat von großer Bedeutung, in den Nachfolgestaaten wird sie hingegen oft verdrängt. In Bosnien und Herzegowina versuchen Aktivistinnen, die Erinnerung an die Partisanengeschichte lebendig zu halten, um nationalistischer Spaltung entgegenzuwirken.
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Imposant ragen die riesigen Konstruktionen in die Landschaft. Zwei weiße, flügelartige Betongiganten stehen einander auf einer Hügelkuppe gegenüber. Hinter ihnen erstrecken sich die Gipfel des Gebirges Durmitor, vor ihnen liegt ein weitläufiges Gedenkareal. Die abstrakte Skulptur dominiert das Sutjeskatal in dem gleichnamigen Nationalpark der südöstlich gelegenen Republik Srpska in Bosnien und Herzegowina. Steht man vor dem Denkmal, wird der Blick durch die zwei Flügel auf eine steile Schlucht gelenkt – es ist der Weg, den die Erste Proletarische Division der kommunistischen Partisa­n:in­nen 1943 während des Zweiten Weltkriegs in der Schlacht an der Sutjeska nahm, um den Kessel der Achsenmächte – in diesem Fall Deutschland, Italien, Kroatien und Bulgarien – zu durchbrechen.

Diese hatten in der »Operation Schwarz« wochenlang die Partisanenarmee eingekesselt; es war der zweite Versuch, sie endgültig zu zerschlagen und ihres Marschalls Josip Broz Tito habhaft zu werden. Mit dem Durchbruch der Ersten Proletarischen Division scheiterte dieses Unterfangen, auch wenn etwa ein Drittel der Beteiligten auf Seiten der Partisan:innen ums Leben kam. Der Kesseldurchbruch an der Sutjeska gilt in Jugoslawien als Wendepunkt im Kampf gegen die Achsenmächte und als einer der Grundsteine des Partisanenmythos.

An die Schlacht an der Sutjeska erinnert das große Denkmal im futuristischen Stil, dessen Darstellung an eine sozialistisch gewendete Nike von Samothrake denken lässt. Gebaut bis 1971 nach den Entwürfen des Belgrader Bildhauers Miodrag Živković, war es zu dieser Zeit das größte und anspruchsvollste Denkmalprojekt im damaligen Jugoslawien. Aber bei weitem nicht das einzige: Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg spielte eine zentrale Rolle beim Aufbau des kommunistischen Staats Jugoslawien. Die Erinnerung an den Partisanenkampf war das verbindende Element in der sonst so unterschiedlichen Geschichte der einzelnen Landesteile und Bevölkerungsgruppen.

11.000 Namen. Mauer im Gedenkpark Vraca in Sarajevo für die von der Ustaša Ermordeten

11.000 Namen. Mauer im Gedenkpark Vraca in Sarajevo für die von der Ustaša Ermordeten

Bild:
Larissa Schober

Dieser vereinigende Gedanke erklärt in Teilen auch die Ästhetik dieser Denkmäler: Sie orientieren sich nicht am sozialistischen Realismus, sondern sind abstrakt-futuristisch. Die Offenheit dieser Bildsprache ermöglichte ein gemeinsames Gedenken trotz einer komplizierten Vergangenheit – denn im verheerenden Kriegsgeschehen in Jugoslawien war längst nicht immer klar, wer Opfer und wer Täterin war, wer Kollaborateur und wer Partisanin; viele waren beides gleichzeitig. Und obwohl sie an Vergangenes erinnerten, stellten die Denkmäler auch Bauwerke für die Zukunft dar. Sie symbolisieren die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, stehen für eine geeinte, solidarische Gesellschaft auf dem Weg in Richtung Utopie – und begreifen die Revolution als niemals abgeschlossenen Prozess.

Über die Jahre wurden Tausende dieser Denkmäler, die im Westen unter dem Namen Spomenik (serbokroatisch für Denkmal) eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, überall in Jugoslawien gebaut – viele entstanden aus lokalen Initiativen, manche, wie das in Sutjeska, wurden zentral aus Serbiens Hauptstadt Belgrad geplant und finanziert, die schon die Hauptstadt des Königreichs Jugoslawien gewesen war und nun die der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien darstellte. Nicht alle sind noch so gut erhalten wie die Flügel im Tal der Sutjeska, die in den vergangenen Jahren restauriert wurden.

Im verheerenden Kriegsgeschehen in Jugoslawien war längst nicht immer klar, wer Opfer und wer Täterin war, wer Kollaborateur und wer Partisanin; viele waren beides gleichzeitig.

Der Gedenkpark Vraca in Bosniens Hauptstadt Sarajevo hingegen zerfällt. Auf dem Gelände einer ehemaligen österreichisch-ungarischen Festung wurden während der Ustaša-Herrschaft etwa 11.000 Menschen ermordet, dar­unter viele Partisan:innen. Die 1929 von Ante Pavelić gegründete rechtsex­treme Terrororganisation Ustaša wurde in den dreißiger Jahren vom italienischen Diktator Benito Mussolini unterstützt und errichtete während des Zweiten Weltkriegs als Verbündete Nazi-Deutschlands ein klerikalfaschistisches Regime im heutigen Kroatien, in Bosnien-Herzegowina und Teilen Serbiens.

Obwohl der Gedenkpark mittlerweile unter Denkmalschutz steht, ist eine Mehrheit seiner Denkmäler beschädigt – in Teilen als Folge des Bosnien-Kriegs, aber auch aufgrund von Vandalismus und schlicht Verwahrlosung. Doch Anwohner:innen versuchen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um das Gelände zu kümmern, das Denkmal für die Partisaninnen wird immer wieder in feministische Aktionen einbezogen, beispielsweise zum 8. März.

Auch das Historische Museum von Bosnien und Herzegowina, das unweit des Gedenkparks im Stadtteil Grbavica beheimatet ist, organisiert immer wieder Putzaktionen in Vraca. Das einstige Museum der Revolution begreift seine Arbeit heutzutage auch als Aktivismus. Neben der Überzeugung, mit der Arbeit im Museum in die Gesellschaft hineinwirken zu können, hat das auch strukturelle Gründe. »Wir kommen über die Runden, irgendwie klappt es immer. Und keine Förderung bedeutet zumindest wirkliche Unabhängigkeit«, sagt Elma Hašimbegović, zuckt mit den Schultern und lacht. Sie leitet das Historische Museum – ein überraschend prekäres Amt. Denn anders als der Name vermuten lässt, wird das Museum nicht staatlich gefördert, obwohl es eines der bedeutendsten Museen des Landes ist. Es hat das Pech, eine gesamtstaatliche Kulturinstitution zu sein – und das ist in Bosnien ein Problem.

Seit Ende des Bosnien-Kriegs 1995 besteht das Land aus zwei Teilen, den sogenannten Entitäten: der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina. Direkt nach dem Krieg lagen viele staatliche Befugnisse bei den Entitäten und weniger beim Gesamtstaat. Nach und nach änderte sich das, doch Kulturpolitik ist nach wie vor ein besonders umstrittener Bereich und findet auf gesamtstaatlicher Ebene kaum statt. Gefördert werden in erster Linie Projekte, die sich mit der Kultur und Geschichte jeweils einer Ethnie des Landes befassen. Gesamtstaatliche, überregionale Kultureinrichtungen erhalten hingegen kein bis wenig Geld und werden regelrecht zugrunde gerichtet.

Mehrere große Museen in Sarajevo waren jahrelang geschlossen – dar­unter auch das Bosnische Nationalmuseum und das Historische Museum. Institutionen, die eine gemeinsame Geschichte darstellen, passen nicht ins nationalistische Weltbild, das die bosnische Politik bis heute prägt. Erinnerung heißt darin immer, an die eigenen Opfer und an die Gräueltaten der anderen zu erinnern. Der politische Mythos, dass die Spaltung der bosnischen Gesellschaft natürlich und unüberwindbar sei, soll aufrechterhalten werden. Die gemeinsame Geschichte, an die Gedenkstätten wie das Historische Museum erinnern, stört da nur.

Die Erinnerung an die gemeinsame Geschichte sowohl des Partisanenkampfs als auch des Kommunismus ist auf nationalistischer Seite verpönt.

»Aber unsere Arbeit hier ist wichtig und wird auch von vielen Menschen wertgeschätzt«, sagt Hašimbegović. »Das Historische Museum ist ein Ort, der sich gegen den vorherrschenden Nationalismus wendet. Das gefällt nicht allen, aber wir bekommen auch viel Unterstützung und Spenden.« Ein Rundgang durch das Museum zeigt ein Potpourri an Themen und Ausstellungsstücken. Die wichtige Dauerausstellung zur Belagerung Sarajevos während des Bosnien-Kriegs wird gerade überarbeitet. Dennoch gibt es einiges zu sehen. Eine kleine Ausstellung beschäftigt sich mit Architektinnen und ihren Werken; in einer Fotogalerie sind Aufnahmen von Sarajevo direkt nach Ende des Kriegs und von denselben Orten 20 Jahre später zu sehen. Ein Raum ist ein gelungener Nachbau eines deutschen Wohnzimmers – auf dem Fernsehbildschirm laufen Interviews von Bosnier:innen, die nach Deutschland migriert sind.

Im Depot des Museums lagern Schätze aus der Zeit Jugoslawiens und davor. Uniformen der Partisan:innen, Waffen, gelbe Aufnäher mit einem großen schwarzen »Ž« – die kroatische Ustaša-Variante des Judensterns (der Buchstabe steht für »Židov«, Jude). Bosnien gehörte während des Zweiten Weltkriegs zum Unabhängigen Staat Kroatien, dem faschistischen Vasallenstaat der Ustaša. Juden, Roma und Serbinnen wurden verfolgt, viele von ihnen in Konzentrationslagern wie Jasenovac auf dem Gebiet des heutigen Kroatien ermordet. Die Partisanenbewegung leistete organisierten Widerstand dagegen. In einem Nebenraum des Depots hängen weiß-schwarz-rote Plakate. Eines fragt: »Ko su Heroji?« (Wer sind die Helden?) Ein anderes trägt die deutsche Aufschrift: »Das ist Walter.«

Während in Bosnien für eine lange Zeit jedes Kind den Partisanenheld Walter kannte, ist er im Rest von Europa weitestgehend unbekannt. Unter dem Namen »Wer ist Walter?« läuft derzeit auch ein Forschungsprojekt zu Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland, Frankreich, Bosnien und Kroatien. Das Historische Museum ist Kooperationspartnerin auf der bosnischen Seite.

Walter war während der Besatzung Sarajevos durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg eine geradezu mythische Figur, ein Partisan, dessen die Deutschen nie habhaft werden konnten. Einer der bekanntesten Partisanenfilme Jugoslawiens, »Walter verteidigt Sarajevo«, erzählt diesen Mythos. In ihm versucht der Deutsche Oberst von Dietrich, Walters habhaft zu werden. Am Ende steht er auf den Hügeln um Sarajevo und erkennt, warum er den Partisanen niemals zu fassen bekam. Er deutete den Hügel hinab und sagt zu seinem Begleiter: »Sehen Sie diese Stadt? Das ist Walter!«

Der historische Walter hieß mit bürgerlichem Namen Vladimir Perić und liegt im Gedenkpark Vraca begraben. Sein Mythos war in Sarajevo auch jenseits staatlicher jugoslawischer Gedenkpolitik relevant. Auf der letzten großen Antikriegsdemonstration vor Beginn des Bosnien-Kriegs 1992 trugen Demonstrierende Sticker mit der Aufschrift »Ich bin Walter«, um sich gegen den grassierenden Nationalismus zu wenden. An diesen Geist möchten Hašimbegović und ihr Team mit der Arbeit im Museum anknüpfen – wenn auch mit einer gewissen Vorsicht, da ein ungebrochener Bezug auf den Kommunismus in Bosnien nicht möglich sei.

Im bei Studentinnen und Touristen gleichermaßen beliebten Café Tito dreht sich alles um den einstigen Partisanenführer, der ab 1953 jugoslawischer Präsident war.

Wenige Schritte vom Historischen Museum entfernt teilt man diese Bedenken nicht. Im bei Studentinnen und Touristen gleichermaßen beliebten Café Tito dreht sich alles um den einstigen Partisanenführer, der ab 1953 jugoslawischer Präsident war. Das in Rot gehaltene Innere des Cafés ist mit Bildern von Tito übersät, über der Bar prangt groß die Losung der Partisan:innen: »Smrt Fašizmu, Sloboda Narodu« – Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk. Neben Kriegsgerät und über Jeeps hängt im Garten des Cafés der Schriftzug »Tito je naš« – Tito sind wir.

Wenn es einen Ort in Bosnien gibt, an dem Jugo-Nostalgie greifbar wird, dann hier. Der Begriff meint ein verklärtes, sehnsüchtiges Erinnern an Jugoslawien. Wie im Café hält Tito dabei häufig als Symbol für den kommunistischen Staat als Ganzes her. Neben Jugoslawien-Kitsch beinhaltet diese Sehnsucht oft auch sozioökonomische Aspekte. In dem Dokumentarfilm »Kein Land unserer Zeit?« (2010), der dem Phänomen nachspürt, treffen die Interviewten immer wieder ähnliche Aussagen: »Den Menschen ging es damals besser. Es gab mehr soziale Gerechtigkeit. Die Krankenversicherung, Schule und Uni waren kostenlos. Und der Pass.« Man brauchte nur für wenige Länder ein Visum.

Politisch ist die Sehnsucht nach Jugoslawien eng verknüpft mit dem jugoslawischen Leitspruch »Brüderlichkeit und Einheit«. Denn mit Jugoslawien ging für seine Bewohner:innen auch etwas verloren, was über diesen Staat hinausging: ein progressives utopisches Moment, der Versuch, ethnische, nationale und religiöse Grenzen zu überwinden.

Dieser Aspekt ist gerade in Bosnien zentral, das einen blutigen Zerfallskrieg erleben musste und bis heute ein gespaltenes Land ist. Die Erinnerung an die gemeinsame Geschichte sowohl des Partisanenkampfs als auch des Kommunismus ist daher auf nationalistischer Seite verpönt. Nicht umsonst wurden während des Bosnien-Kriegs (und auch danach) viele der dem Zweiten Weltkrieg gewidmete Denkmäler zerstört. Doch gerade für jüngere Menschen in Bosnien, die sich eine Politik jenseits des vorherrschenden festgefahrenen Nationalismus wünschen, wird diese Erinnerung als Alternative wieder attraktiv. Sie sind zu jung, um einer angeblich besseren Vergangenheit hinterhertrauern zu können. Ihre Nostalgie ist vielmehr eine Erinnerung daran, dass etwas anderes als das Bestehende möglich war.

Entwendeter Arm. Denkmal für die Antifaschistische Frauenfront Jugoslawiens

Entwendeter Arm. Denkmal für die Antifaschistische Frauenfront Jugoslawiens

Bild:
Larissa Schober

Für die Älteren kommen ganz konkrete Erinnerungen hinzu. So auch für die Aktivistin und Künstlerin Andreja Dugandžić: »Immer wenn ich an meine Kindheit denke, frage ich mich, ob sie ein Traum war. Wenn ich über diese Zeit spreche, werde ich traurig und könnte weinen. Ich werde Jugoslawien immer vermissen.« Sie sagt von sich selbst, dass sie Bosnien sofort verlassen würde, wenn sie jünger wäre. »Für Linke gibt es hier keinen Platz.« Dugandžić arbeitet bei Crvena (serbokroatisch für »rot«), einer feministischen Organisation in Sarajevo. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist die Aufarbeitung der Geschichte der Antifaschistischen Frauenfront Jugoslawiens (Antifašistička fronta žena, AFŽ), einem wenig beachteten Teil der Partisanengeschichte.

Die AFŽ umfasste im Zweiten Weltkrieg etwa 100.000 bewaffnete Partisaninnen sowie zwei Millionen Unterstützerinnen im Hinterland, die sich um Mobilisierung, Krankenpflege oder In­frastruktur kümmerten. Gegründet wurde sie 1942 und trug während des Kriegs und danach stark zur Emanzipation von Frauen bei, vor allem in ländlichen Gegenden. Besonders ihre Alphabetisierungskampagne veränderte die Gesellschaft dauerhaft. 1953 wurde die AFŽ aufgelöst – eine starke separate Frauenorganisation erschien dem Staat nicht mehr angebracht, die »Frauenfrage« wurde dem Klassenkampf untergeordnet und die AFŽ geriet in Vergessenheit.

Mit Kunstprojekten, einem Online-Archiv, einem Stadtrundgang zu Geschichte der AFŽ in Sarajevo und dem Sammelband »The Lost Revolution – Women’s Antifascist Front Between Myth and Forgetting« kämpft Crvena gegen dieses Vergessen an. Dugandžić sieht darin einen wichtigen Beitrag zu einer widerständigen Erinnerung jenseits des nationalistischen Normalzustands. Auch ohne jegliche Jugo-Nostalgie bildet die antifaschistische Geschichte Bosniens für sie einen konkreten Bezugspunkt für ihre politische Arbeit. Oder wie sie und ihre Kollegin Tijana Okić es in »The Lost Revolution« formulieren: »Die Wiederaneignung dieses Erbes ist ein wichtiger Schritt zur Bewaffnung einer neuen Befreiungsbewegung im Kampf gegen die patriarchale, faschistische und kapitalistische Tyrannei.«

Zurück im Sutjeksa-Nationalpark ziehen langsam dunkle Wolken über dem Denkmal auf. Ein alter Mann salutiert vor einem dem Denkmal vorgelagerten Sarkophag. Anders als die Losung »Einheit und Brüderlichkeit« haben die Betonflügel von Sutjeska die jugoslawischen Zerfallskriege überdauert – und erinnern beständig daran, dass es eine Alternative gibt.