Die Serie »3-Body-Problem« bei Netflix kann nicht gegen ihr chinesisches Pendant anstinken

Wenn die Trisolarier kommen

Die »Trisolaris-Trilogie« des Science-Fiction-Autors Liu Cixin ist in China bereits als Serie verfilmt worden, jetzt hat sich auch Netflix an einer Adaption versucht. »3 Body Problem« handelt davon, wie sich eine Gruppe Menschen auf die Ankunft von Außerirdischen vorbereitet – und bleibt hinter der Qualität der chinesischen Produktion zurück.

Der zeitgenössischen chinesischen Science-Fiction ist es als Nischenliteratur bis zu einem gewissen Grad tatsächlich erlaubt, Zukunftsvisionen mit Gegenwartskritik zu verknüpfen. Ihr bekanntester Vertreter ist Liu Cixin, der es mit seiner zwischen 2006 und 2010 publizierten Trisolaris-Trilogie zu einer enthusiastischen Fangemeinde im Westen (inklusive ­Barack Obama) gebracht hat. Seit Liu 2015 den renommierten Hugo Award gewann, hat die chinesische Sci-Fi-Szene im Westen einen kleinen Boom erlebt, der auch in Deutschland zu einer größeren Anzahl von Veröffentlichungen geführt hat.

Durch das wachsende Interesse ist es für Sci-Fi-Autor:innen allerdings nicht einfacher geworden, am chinesischen Zensurapparat der Ära Xi ­Jinping vorbei zu arbeiten. Trotzdem wurden in China einige von Lius Romanen und Kurzgeschichten fürs Kino und Fernsehen aufbereitet. Lius Hauptwerk, die Trisolaris-Trilogie, bestehend aus »Die drei Sonnen«, »Der dunkle Wald« und »Jenseits der Zeit«, hat bereits 2023 eine 30 Folgen lange Serienadaption von der chinesischen Videoplattform Tencent Video erhalten. Gleichzeitig hat der US-amerikanische Streamingdienst Netflix die Game-of-Thrones-Showrunner David Benioff und D. B. Weiss sowie den Fernsehautor Alexander Woo (»True Blood«) mit einer eigenen Verfilmung beauftragt: Die erste Staffel von »3 Body Problem« ist seit März auf der Plattform zu sehen.

Es ist kein leichtes Unterfangen, die ausufernde Erzählung der Trisolaris-Trilogie mit ihren zahlreichen Verästelungen für ein Fernsehserien­format herunterzubrechen.

Benioff und Weiss beginnen die erste Folge mit einem grausigen Selbstzitat: An der Tsinghua-Universität in Peking lassen sie die Familie Ye in den Wirren der Kulturrevolution 1966 ein ähnliches Martyrium erleben wie die Familie Stark im Finale der ersten Staffel von »Game of Thrones«. Der Vater Ye Zhetai ist angeklagt, die westlich-imperialistische Relativitätstheorie gelehrt zu haben, und macht bei seiner Verhandlung alles nur noch schlimmer, als er sich weigert, die Existenz einer göttlichen Macht auszuschließen. Die Tochter Ye Wenjie (Rosalind Chao) steht hilflos im Publikum und muss mitansehen, wie Rotgardisten in jugendlichem Wahn den Vater zu Tode prügeln.

Es folgt ein Sprung ins London der Gegenwart, wo eine Reihe mysteriöser Selbstmorde von renommierten Physiker:innen die Wissenschaftswelt in Aufruhr versetzt hat. Die Todesfälle scheinen mit unerklärlichen Phänomenen zusammenhängen. ­Experimente mit Teilchenbeschleunigern auf der ganzen Welt führen zu widersprüchlichen Ergebnissen, die nur einen Schluss zulassen: Die solide Welt der Physik ist aus den Fugen geraten. Der muffelige Ermittler Clarence Shi (Benedict Wong) macht sich an die Detektivarbeit und muss sich bald noch mehr wundern: Warum erhalten brillante Wissen­schaft­ler:innen futuristische Headsets unbekannter Herkunft, die sie einladen, an einem täuschend echt wirkenden Virtual-Reality-Spiel teilzunehmen? Und wieso sieht die Wis­sen­schaftlerin Augustina Salazar (Eiza González), die mit Nanomaterial experimentiert, plötzlich einen Countdown-Timer direkt vor ihren Augen, der erst verschwindet, als sie ihre Forschung abbricht?

»Ihr seid Ungeziefer«

Es ist kein leichtes Unterfangen, die ausufernde Erzählung der Trisolaris-Trilogie mit ihren zahlreichen Verästelungen für ein Fernsehserienformat herunterzubrechen. Die Serie springt immer wieder in die Vergangenheit zurück, um Ye Wenjies Werdegang nachzuzeichnen. Im Jahr 1969 arbeitet sie am geheimen Projekt »Rotes Ufer« und schickt mittels eines gigantischen Radioteleskops Signale ins All. Acht Jahre später erhält sie tatsächlich eine Antwort – und wird gewarnt: »Don’t answer.« Sie tut es natürlich trotzdem – und damit gerät die Erde ins Visier der außerirdischen Zivilisation der Trisolarier, deren eigenes Planetensystem kurz vor dem Kollaps steht. Mit dem Milliardär und Umweltschützer Mike Evans (Jonathan Pryce) gründet Wenjie eine Organisation, um die Ankunft der Aliens vorzubereiten, die für ein paar Jahrzehnte später erwartet wird. Evans steht mit den Außerirdischen zunächst in direktem Austausch, bis diese mit einer letzten Mitteilung den Kontakt abbrechen: »Ihr seid Ungeziefer.«

Beim Versuch der Emanzipation von der Romanvorlage scheinen Benioff, Weiss und Woo bestrebt gewesen zu sein, die Vielschichtigkeit des Stoffs nicht ganz aufzugeben, wollten aber ihrem Publikum erkennbar auch nicht zu viel Kopfzerbrechen bereiten, was immer wieder zu trivialen Einschüben und Auslassungen führt. Die Produzenten verhackstücken damit einen atemberaubenden Welt(en)entwurf, um ihn danach durchaus mit Geschick als emotionalisierte Held:innengeschichte zu rearrangieren. Durch den Kommunikationsabbruch werden die Aliens zur leeren Projektionsfläche menschlicher Ängste und Vorstellungen. Interessant ist dann aber nicht das bedrohliche Fremde, sondern wie sich die Menschen auf eine drohende Katastrophe vorbereiten.

Wunderhaftigkeit des Universums und terrestrische Wirklichkeit

Die Romane von Liu Cixin funktionierten als präzise angeordnetes Versuchsmodell in Zeiten globaler Probleme. Benioff, Weiss und Woo verlegen einen Großteil der Gegenwartshandlung von China in das globale Dorf Oxford, wo seltsamerweise kaum eine gesellschaftliche Debatte erkennbar ist: Es gibt keine (kritischen) Medien, es existiert keine internationale Politik. Stattdessen wird die Führung der Weltgeschicke in die Hände eines undurchsichtigen MI5-Direktors (Liam Cunningham) gelegt. Warum, weiß niemand. Die Weltrettung muss dagegen eine ­typisch divers zusammengestellte Gruppe biederer Weltbürger:innen namens »Oxford Five« besorgen.

Diese Herangehensweise mag der medialen Struktur einer Fernsehserie geschuldet sein, die sich den Erwartungen eines möglichst breiten Publikums stets anzupassen versucht. Wo immer bei Liu Cixins Trisolaris-Trilogie die Verständigung zwischen Menschen oder Staaten an ihre Grenzen kam, wurde die Isolation für die Akteure zum eigentlichen Motor der Geschichte. Das wird in der Serie umgedeutet. Die Dysfunktionalität zwischenmenschlicher Kommunikation wird durch das Beziehungsgeflecht der »Oxford Five« schlicht aufgelöst.

Die allgemeinen Bemühungen bei Netflix, dem gewohnten ökonomischen Imperativ von Standar­disierung und Vereinfachung zu entsprechen, könnten in diesem Fall dazu führen, dass ein Teil des Publikums ein chinesisches soft power-Produkt einem US-amerikanischen vorzieht. 

Durch diesen Clou bleibt allerdings der Großteil des intellektuellen Kopfkinos der Buchvorlage auf der Strecke. Den Wesenskern der Trisolaris-Trilogie bildete die Vermittlung zwischen der Wunderhaftigkeit des Universums und der (terrestrischen) Wirklichkeit sowie die Erkenntnis, dass die schönsten Geschichten der Menschheit von der Wissenschaft erzählt werden, wie Liu Cixin im Nachwort zu »Die drei Sonnen« erklärt. Beide Aspekte werden von »3-Body-Problem« nicht genügend wahrgenommen.

Doch die allgemeinen Bemühungen bei Netflix, dem gewohnten ökonomischen Imperativ von Standar­disierung und Vereinfachung zu entsprechen, könnten in diesem Fall dazu führen, dass ein Teil des Publikums ein chinesisches soft power-Produkt einem US-amerikanischen vorzieht. Tencent Video plant denn auch, ihr ungleich komplexeres »Three Body«-Universum mit Sequels und Spin-offs auszuweiten. Die Zukunft der Netflix-Serie dagegen ist bislang ungewiss.

»3 Body Problem« kann bei Netflix gestreamt werden.