Blau-braunes Wunder mit Ansage
Ihr seid schuld!
Ein Ergebnis stand für weite Teile von Politfeuilleton und sozialmedialer Öffentlichkeit schon Tage vor Schließung der Wahllokale fest: Am Erfolg der AfD sind auf gar keinen Fall deren Wähler schuld, sondern wahlweise die Nichtwähler, »linksliberale Kosmopoliten« (so der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel in der Taz) oder jene einskommanull Prozent, die ihr Kreuz bei der Partei »Die Partei« gemacht haben.
Danke, Merkel, für die Erkenntnis, dass der Einzug der blaulackierten Volkspfosten in den Bundestag hätte verhindert werden können, wenn bloß alle so vernagelt, hasserfüllt und provinziell wären, wie es die doitschen Leitkulturträger vorleben. Und wären nicht so viele Leute zu Hause geblieben oder, noch schlimmer, hätten nicht Hunderttausende (fast ein halbes Saarland!) für eine mal sehr, mal weniger lustige Satirepartei gestimmt, stünde mit der Demokratie sicherlich alles zum Besten. Für die sind schließlich einzig und allein jene seriösen rotgrünschwarzgelben Parteien zuständig, die in den vergangenen Monaten nichts Besseres zu tun hatten, als sich ihre Agenda von der AfD diktieren zu lassen. Dass sie sich künftig durch das abschreckende Beispiel der 94 AfD-Abgeordneten im Bundestag davon abbringen lassen werden, ist leider nicht zu erwarten.
Disclaimer: Entgegen anderslautender Vermutungen habe ich nicht »Die Partei«, sondern »taktisch« gewählt (unappetitliche Details erspare ich den Lesern). Ich halte die Sonneborn-Truppe allerdings nicht für eine »Gefahr für die Demokratie«, zu der sie die Qualitätsdenker des Landes zuletzt hochgejazzt haben, und es auch nicht für einen Zufall, dass das Gekrähe just in dem Moment einsetzte, als »Die Partei« sich durch Aktionen wie den Hack von AfD-Facebook-Gruppen als einzige politische Kraft präsentierte, die sich klar gegen rechts positionierte.
Svenna Triebler
Für die Linke wird’s bitter
Der Rechtsruck ist da. Nicht wegen der knapp 13 Prozent, die die AfD errungen hat. Es ist eine andere Kennziffer, die nichts Gutes verheißt. Denn nur etwa ein Drittel aller AfD-Wähler hat die Partei aus Überzeugung gewählt, die anderen gaben ihr ihre Stimme aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Eigentlich doch eine gute Nachricht: Die AfD verkörpert kein gefestigtes Lager aus Fanatikern, sondern ein Sammelbecken der Frustrierten. Von denen wird man sicher eine Menge zurückgewinnen können, werden sich die Strategen der anderen Parteien schon am Wahlabend gedacht haben. Genau darin wird der Rechtsruck bestehen.
Immer noch verhält es sich so, dass mit Ausnahme der Mitglieder der Linkspartei keine anderen Politiker über die dramatischen Verwerfungen in Deutschland sprechen: über das ruinierte Bildungswesen, die wachsende infrastrukturelle Benachteiligung vieler Regionen und sogar Großstädte, die rasant steigenden Mieten, die Zerstörung sozialer Mobilität durch Leiharbeit, die Schaffung eines entkoppelten Prekariats. Diese Verwerfungen werden sich in den nächsten Jahren noch weniger als heute ignorieren lassen, zumal die nächste Wirtschaftskrise bereits in Sichtweite ist. Hier liefert die AfD die entscheidende Vorlage: die Kopplung der sozialen Fragen an jene der Zuwanderung, der »Integration«, der Kriminalität. Dieses Programm wird Schule machen und bis in die Linkspartei hinein (hallo, Sahra Wagenknecht!) die politische Auseinandersetzung bestimmen. Vordergründig geht es um das Kleinhalten der AfD, die Zurückgewinnung der Enttäuschten. Tatsächlich ist dieses Programm aber das probate Grundgerüst einer neoliberal-autoritären Krisenpolitik. Es wird sich durchaus als antifaschistisch gerieren. Schließlich geht es ja gegen die AfD. Für die Linke, vor allem für die parteiunabhängige, dürfte es ziemlich bitter werden. Wird sie doch daran gemessen, und zwar unter Androhung staatlicher Sanktionen und polizeilicher Repression, ob sie sich diesem Antifaschismus beugt und ihn nicht durch sozialen Utopismus und Straßenmilitanz gefährdet.
Felix Klopotek
Winter der Ernüchterung
Für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten gab es nur ein kurzes Frühjahr der Euphorie. Nicht erst seit dem Wahlabend ist die Schulzomania vorbei – und damit auch die Illusion von der Zukunft einer starken Sozialdemokratie. Für welche Politik aber warb Martin Schulz? Seine bemüht wirkende Inszenierung changierte zwischen europäischem Staatsmann und volksnahem Dorfvorsteher. Der Spott, der Schulz als ehemaligem Bürgermeister von Würselen zuteil wurde, zeugt von der Verachtung für jene kleinen Leute, in deren Namen heutzutage vor allem die Rechten das Wort ergreifen. Während des nordrhein-westfälischen Landtagwahlkampfs war Schulz offenbar verreist. Sein Gerhard-Schröder-Stil, der in der zusehends surreal wirkenden Zurschaustellung des Machtwillens (»Merkel kann Vize werden«) zum Ausdruck kam, wurde von der gefühligen Rhetorik eines Willy-Brandt-Wiedergängers flankiert. Wahlslogans wie »Berlin braucht mehr Rheinland« aber wirkten, als hätten sich die sozialdemokratischen Strategen vom Leitmotto einer gemäß Eigenwerbung sehr guten Konkurrenzpartei inspirieren lassen. Deren Kernlosung lautet schlicht: »Inhalte überwinden«. Mit der Bürgerversicherung hatte Schulz ein originär sozialdemokratisches Zukunftsthema. Doch sowohl der Kandidat als auch die Partei verkennen ihren eigenen Anteil an der beklagten Misere. Für mehr »Gerechtigkeit« warb, allerdings in den schwarz-rot-goldenen Nationalfarben, stattdessen erfolgreich die AfD. Im Bundestag trifft Schulz zukünftig auf einen ihm aus Brüssel und Straßburg sattsam bekannten Parteientypus. Sein harsches Urteil über das Personal der rechten Populisten ist keine Floskel. Es verrät aber viel über die deutschen Zustände, dass seine im Wahlkampf geäußerte Kampfansage an die »Totengräber der Demokratie« nicht zur Mobilisierung linker Reformisten beigetragen hat. Diese bleiben eine vor allem papierene, keine politische Kraft. Ein Grund zur Häme über rot-rot-grüne Illusionen ist das nicht. Denn nicht nur dem gescheiterten Kanzlerkandidaten steht ein langer Winter der Ernüchterung bevor.
Richard Gebhardt
Sprungbereit wie Katzen
Vorspiel: Kneipe, Kreuzberg. Draußen weht die Regenbogenfahne, drinnen schwarzrotgoldene Tischfähnchen im Zigarettendunst. Die erste Hochrechnung. Unbestimmtes Murren. Schnaps. Aus einem Handy am Stammtisch plärrt die Hymne der DDR: »Auferstanden aus Ruinen...« Am Tisch nur Westberliner. Gleichzeitig meldet Dimap: Die AfD ist unter ostdeutschen Männern zweitstärkste Kraft. 27 Prozent. Murren. Auf dem Bildschirm Gauland. Greis. Er bezeichnet seine Fraktion als »gärigen Haufen«. Nächste Runde. Die Kanzlerin lächelt. Ein Mann betritt das Lokal. SPD-Mitarbeiter. Geht zum Stammtisch. Fragt: »Haben Sie SPD gewählt?« Lautstarkes Prusten. »AfD?« Eine Dame in Rot meint: »Wenigstens ist die SPD wieder Opposition.« Ihre Tischnachbarin ergänzt: »Wir sind Arbeiter hier. Das Duell war zum Kotzen. Wo bleiben die echten Probleme? Wohnungsnot. Altersarmut.« Der Mann schnellt hoch, bedankt sich für die Offenheit und eilt hinaus in den Nieselregen. Im Fernsehen interwiewt einer, der aussieht wie Doktor Bunsenbrenner, den Lindner von der FDP. Vom Tresen her ruft eine Dame verzückt: »Brillanter Redner. Brillant!« Sie überbrüllt damit, was der Lindner sagt. Stammtisch? Murren.
Orakel: Die frisch gewählten AfD-Abgeordneten und ihre Mitarbeiter verpaaren sich im Rahmen einer dreitägigen Schulung in Schnellroda (»Crashkurs Bundestag«), zeugen dabei 88 Kinder und sind mit den folgenden familiären Verwerfungen derart überfordert, dass die politische Arbeit zweitrangig wird. Stammeserhaltung geht vor. Frauke Petry übernimmt. Horst Seehofer rutscht auf einer Biobanane aus. Zugleich formieren sich auf Straßen und Plätzen, in Vororten, abseitigen Provinzen und Endstationen Partisaninnen und Partisanen, gelassen und sprungbereit wie Katzen. Ihren Sinnen entgeht nichts. Sie sind wehrhaft, gut organisiert und überzeugend. Ihre Netzwerke (Freifunk und Marschrutkas) erfahren vielfältige Unterstützung. Die Zahl ihrer Verbündeten wächst. Die schauen hin und machen den Mund auf. Sie werden singen.
Manja Präkels
Irgendwie durchwurschteln
Nach der Stimmabgabe: unbändiger Drang zu laufen – na ja, nicht gleich den Berlin-Marathon, eher schnelles Spazieren durch Kreuzberg und Mitte. Vor der verrammelten SPD-Zentrale quatscht mich ein Punk aus dem Tommyhaus an. Er habe für Tegel gestimmt, lallt er, der BER sei schließlich noch nicht fertig. »Aber die Frage war doch, was mit Tegel passiert, sobald der BER fertig ist.« »Sag ich doch, erstmal muss der BER fertig sein.« Überlege kurz, ihn zu fragen, wie oft er überhaupt einen Flughafen braucht. Mache ich aber nicht. Sonst erzählt er mir noch, wen er gewählt hat – lieber weiter.
Am Gendarmenmarkt Smalltalk mit einem Unternehmerpaar. Er hat »Die Partei« gewählt, sie FDP. Beide gruseln sich vor der AfD und davor, dass die CDU nach rechts rutschen könnte. Nächster Halt: die besetzte Volksbühne. Techno dröhnt aus dem Roten Salon. Davor, in den letzten Sonnenstrahlen, sitzt junges, gutaussehendes Eventpublikum mit »Beck’s Gold«-Fläschchen. Frage mich, ob die Besetzung vielleicht nur ein genialer PR-Gag von Chris Dercon ist. Egal. Es ist kurz vor 18 Uhr. Auf die Frage, ob es drinnen Wahlwatching gibt, fragt eines der iPhone-Bübchen zurück: »Ist das heute?« Einer aus derselben Klonreihe meint, das sei doch eh immer dasselbe: »Glaube nicht, dass die das hier übertragen.«
Ab ins Taxi, zurück in meinen Kiez. Inzwischen ist die Prognose da. Vor dem Taz-Haus herrscht ausgelassene Stimmung. Der Grund: Noch sieht es aus, als lägen die Grünen vor der Linkspartei. Das scheint hier von Belang zu sein. Ihre Partei hätte sich stärker gegen Merkels Flüchtlingspolitik positionieren müssen, sagt Sahra Wagenknecht. In meiner Filterbubble sieht es eher so aus, als hätten derlei Aussagen zuletzt eine Wählerwanderung zu den Grünen ausgelöst. Diese rufen jetzt unablässig »Klima! Klima! Klima!« in die Kameras. Heißt: Ansonsten machen wir alles mit, wenn wir nur regieren dürfen. Also auch den Rechtsruck, auf den die CSU pocht.
Christian Lindner sieht gar nicht glücklich aus ob dieser Gemengelage. Prognose: Die FDP wird sich sehr teuer verkaufen. Die SPD kriegt auch mit Andrea Nahles keine Kehrtwende hin. Sigmar Gabriel wird im Aufsichtsrat eines russischen Konzerns wieder zunehmen. In der Linkspartei vertieft sich der Graben zwischen Sozialdemokraten und nationalen Sozialisten. Die AfD etabliert sich als rechtsextreme Volkspartei. Sachsen wird für Deutschland das, was Ungarn für die EU ist. »Die Partei« wird eine lustige Kampagne gegen das Wahlrecht ostdeutscher Männer beginnen.
Was Positives zum Abschluss? Na, die Kanzlerin wird sich schon irgendwie durchwurschteln, und vielleicht stoppt ja sogar irgendein Richter diesen Tegel-Bullshit. Mehr ist erstmal nicht zu hoffen.
Markus Liske
Rechts liegen lassen
Das Ergebnis der Bundestagswahl ist ein Fiasko. In den kommenden vier Jahren wird es keine der dringend benötigten Reformen geben: nicht mehr soziale Sicherung, keine vernünftige Wohnungspolitik, keinen Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge. Wer in finanziell prekären Verhältnissen lebt, wird das weiter tun. Viele werden weiterhin die Verarmung fürchten, etliche sie erleben. Das sind nicht die einzigen, aber entscheidende Faktoren, die die AfD stark gemacht haben. Die Politik, die die AfD groß gemacht hat, geht also verschärft weiter – mit der Ergänzung, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung repressiver werden wird. Das wird die AfD nicht schwächen, sondern stärken. Alexander Gaulands Drohung vom Wahlabend, die AfD werde Merkel und andere politische Gegner »jagen«, kann man gar nicht ernst genug nehmen. Die Partei hat ihren Weg in die extremen Gefilde der Rechten noch längst nicht abgeschlossen. Doch sich an ihr wie gehabt abzuarbeiten, wird sie populärer machen, nicht schwächer. Vielleicht sollte man die AfD einfach mal politisch rechts liegen lassen und sich der Frage widmen, aus welchen dubiosen Quellen das Geld für den Wahlkampf dieser Bande gekommen ist.
Die Aussichten für die kommenden vier Jahre sind niederschmetternd. Für SPD und »Die Linke« wird es im Zusammenspiel mit außerparlamentarischen Kräften darum gehen, politische Zumutungen abzuwehren, seien es weitere Privatisierungen, Sozialabbau oder eine vergebliche Integrationspolitik, die letztlich auf Ausgrenzung beruht. Und ja, es gibt eine ganze Menge gruseliger Pläne, die auf die Tagesordnung kommen werden. Wer in Deutschland regiert, ist keineswegs so egal, wie die Anhänger von Spaßparteien gerne glauben machen möchten. Nur eines macht ein bisschen zuversichtlich: das Abschneiden der SPD. Die Sozialdemokraten haben in den kommenden Jahren die Gelegenheit, sich umfassend zu erneuern und für die Linkspartei koalitionsfähig zu werden. Die SPD braucht eine Zäsur: Öffnete sie sich mit dem Godesberger Parteitag 1959 zur Mitte, muss sie sich zukünftig nach links bewegen. Wenn sie das nicht schafft, wird sie wie ihre Schwesterparteien in anderen europäischen Ländern bedeutungslos werden.
Anja Krüger
Die letzte Garantie
Das Ergebnis ist bitter, kam aber nicht überraschend. Vor allem der AfD-Triumph in Sachsen spricht Bände. Hier ist die AfD nun die stärkste Partei. An Aufklärung über ihren Charakter hat es nicht gemangelt. Ihre Protagonisten haben laut verkündet, wohin die Reise gehen soll. Die AfD wurde nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Performance als NPD 2.0 gewählt. Ihre Stärke resultierte aus der Schwäche der anderen. Das zeigte sich im Wahlkampf. Inmitten einer europäischen Krise verzichtete die SPD darauf, die EU-Erfahrung ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz zu nutzen. Offensichtlich war ihre Furcht vor antieuropäischen Ressentiments zu groß. Schulz wurde nicht als der einflussreiche Macher aus Brüssel beworben, der er mehr als zwei Jahrzehnte war, sondern als ehemaliger Bürgermeister von Würselen. Mit dem Charisma eines Buchhändlers aus der Region Aachen wird man nicht Bundeskanzler.
AfD-Themen beherrschten die Debatten. Vor allem Grüne und Linkspartei haben es versäumt, der AfD das Heft aus der Hand zu nehmen. Statt offen für eine säkulare Gesellschaft zu werben, ignorierte man die Rückkehr der Religion in die Politik lieber. Dabei betrifft das Thema nicht nur islamische Frömmler, sondern auch die christlich-fundamentalistischen Kreise der AfD. So wie man vor einigen Jahren Digitalisierung und Datenschutz der Piratenpartei überlassen hatte, versäumte man es nun, in einem Bereich zu punkten, der eigentlich zu den Kernanliegen zählen sollte. Mit einer tatsächlichen Auseinandersetzung um Grundsätze, die sich nicht an ethnischen Identitäten, sondern an Gesellschaftsvorstellungen orientiert hätte, wäre man in die Offensive gekommen. Die AfD dürfte es verstehen, den Bundestag als Bühne zu nutzen. Alles Weitere hängt nun davon ab, wer wie schnell bereit ist, sich auf eine Zusammenarbeit mit ihr einzulassen. Anderslautenden Bekundungen ist nicht zu trauen. Ein Blick nach Österreich zeigt, dass die Konservativen einer Partei wie der FPÖ den Weg in die Regierung geebnet haben. Derzeit ist Angela Merkel noch die letzte Garantie dagegen.
Volker Weiß