Israelfeindlichkeit wird in Teilen der deutschen Linken wieder salonfähig

Comeback der Intifada-Fans

Bei deutschen Linken ist Antizionismus so salonfähig wie lange nicht mehr. Ein Bericht des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) analysiert die Gründe dafür.

Im Organisationsbündnis zur »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration« in Berlin kam es 2016 zum Streit. Die Ökologische Linke um die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth versuchte, die Teilnahme der israelfeindlichen Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) und der Gruppe F.O.R. Palestine (For One State and Return in Palestine) zu verhindern. Die entsprechenden Anträge scheiterten allerdings.

Dieses Jahr gab es erst gar keine Aus­einandersetzung. Im Organisationsbündnis der »Revolutionären 1.-Mai-Demo« in Berlin waren von vornherein Gruppen, die für ihre antizionistische Politik bekannt sind, wie etwa »Palästina spricht«. Die Gruppe gründete sich 2019 in direkter Reaktion auf die Resolution des Bundestags, die BDS-Bestrebungen als antisemitisch eingeordnete. Man wolle nicht hinnehmen, dass mit der Resolution die Möglichkeit, »öffentlich Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu üben«, genommen werde, heißt es auf ihrer Website. Die Gruppe wolle daher Palästinensern in Deutschland eine Stimme geben und das »palästinensische Volk auf dem Weg zu seinem Recht auf Selbstbestimmung unterstützen«, ergo »die illegale Besatzung Palästinas durch den Staat Israel sowie dessen Apartheid-System beenden«.

Der Antizionismus ist in Teilen der deutschen Linken wieder salonfähig. Dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) zufolge gewinnen diese Strömungen in der Linken an Einfluss. In ihrem aktuellen Bericht »Feindbild Israel« beschäftigt sich die Monitoringgruppe nun mit den Gründen für die erneute Normalisierung, gar Attraktivität des Antizionismus.

Auffällig am Antizionismus ist, dass er zutiefst reaktionäre Aspekte der palästinensischen Nationalbewegung entweder leugnet oder implizit gutheißt.

Sei es bei den Protesten gegen den Kohleabbau in Lützerath (»Von Lützerath bis nach Gaza, Yallah Intifada«) oder beim Gedenken an den rassistischen Mordanschlag in Hanau (»Von Hanau bis nach Gaza, Yallah Intifada«) – Gaza scheint in aller Munde. Hervorstechendes Merkmal des Antizionismus ist es, völlig unterschiedlich gelagerte Fälle in einen Topf zu werfen – Polizeigewalt und rechten Terror in Deutschland oder sogar den Braunkohleabbau: Antizionistische Protagonisten und Gruppen bringen nach Belieben alles und jedes mit dem palästinensischen Kampf gegen Israel in Verbindung. In bestimmten Teilen der Linken finden solche Parolen Anklang, laut dem JFDA-Bericht werden auf diese Weise israelfeindliche Ansichten und antisemitische Ressentiments verbreitet; der Bericht spricht hier von »Umwegskommunikation«.

Auffällig am Antizionismus ist, dass er zutiefst reaktionäre Aspekte der ­palästinensischen Nationalbewegung entweder leugnet oder implizit gutheißt. Beispielhaft demonstriert das der beliebte Demoslogan »Yallah Intifada«. Die sogenannte Zweite Intifada war eine religiös aufgeladen Kampagne von Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten – sie wird nicht von ungefähr auch als al-Aqsa-Intifada bezeichnet –, bei der mehr als 1.000 Israelis umgebracht wurden.

Zur Verteidigung wird immer wieder versucht, diese Bedeutung des Begriffs zu leugnen, ihn auf die wörtliche Übersetzung des arabischen Worts (»Aufstand«) zu reduzieren und dadurch zu verharmlosen, wie jüngst etwa vom Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«. Auf Twitter ging der Verein Ende Mai sogar so weit, explizit die Zweite Intifada als bloße Reaktion auf brutales Vorgehen der israelischen Armee zu deuten. Für die dadurch ausgelöste Gewalt, der letztlich israelische Zivilisten zum Opfer fielen, sei also die Israel Defence Force (IDF) verantwortlich. Der Verein wird im Bericht der JFDA als eine der zentralen Gruppierungen israelfeindlicher Agitation ­angeführt. Dem Bericht zufolge ist dem Verein im Zusammenhang mit israelfeindlicher Agitation eine Sonderrolle zuteil: die des jüdischen Kronzeugen.

In der Wahrnehmung vieler Antiimperialisten besteht der Israel-Palästina-Konfliktnur aus dem Kampf einer unterdrückten und darauf bloß reagierenden palästinensischen Bevölkerung gegen eine übermächtige israelische Armee, von der primär die Gewalt ausgehe. Die einflussreichen reaktionären Ideologien auf der palästinensischen Seite – etwa der Islamismus der Hamas und des Islamischen Jihad – oder die Rolle externer imperialistischer Mächte wie beispielsweise des Iran, der den palästinensischen »Widerstand« finanziert – fällt dabei stets unter den Tisch.

Diese Vorstellung vom moralisch eindeutigen Kampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker mache israelfeindliche Positionen etwa für antiimperialistische Linke »anschlussfähig«, schreibt die JFDA in ihrem Bericht. Dabei stellt sich freilich die Frage, ob das etwas Neues ist. Das ungeschriebene moralische Gesetz der Linken, schrieb der Shoah-Überlebende Jean Améry in seinem Text »Der ehrbare Antisemitismus« bereits Ende der sechziger Jahre, sei es, sich stets auf die Seite der Schwächeren zu schlagen. Übertragen auf den Nahen Osten mache sie es sich damit jedoch zu einfach.

Bereits mit der israelischen Staatsgründung am 15. Mai 1948 erklärten Ägypten, Syrien, der Libanon, der Irak und Jordanien dem auf einem Teil des ­ ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina ausgerufenem Staat Israel den Krieg. Hätten die arabischen Führer damals den Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen akzeptiert, anstatt das von den USA und der Sowjetunion anerkannte Israel anzugreifen, wäre es vermutlich nicht zu Vertreibungen der palästinensischen Bevölkerung gekommen, denen heute von israelfeindlichen Gruppen als »Nakba« gedacht wird, und womöglich gäbe es schon seit Jahrzehnten einen souveränen arabisch-palästinensischen Staat.

Ebenso wird ignoriert, dass es in der Region mächtige Feinde Israels gibt, die bis an die Zähne bewaffnet sind und die Vernichtung des jüdischen Staats anstreben, wie etwa die Hizbollah oder der Iran. Statt diese Zusammenhänge nüchtern zu analysieren, verschließen antizionistische Linke davor die Augen und propagieren ein klares Feindbild ­Israel.