Ein Dreischritt ins neue Jahr
Das enttäuschte Menschenbild
Ist der Mensch oder wird er gemacht? Muss er geformt werden oder will er sich selbst formen? Als ein Wesen in seiner Natur oder als Produkt seiner Umwelt? Politisch macht es wohl auch den Unterschied zwischen rechts und links aus, wie die Antwort darauf ausfällt. Für einen Rechten ist die Definition territorial und ideologisch: Wir sind die Richtigen und die Gesunden, die Guten und Legitimierten, die anderen sind falsch, krank, böse und illegitim. Wo wir sind, ist hier, alles andere ist draußen. Mit zunehmender Faschisierung kommt das Prinzip der »Reinheit« dazu, alles Vermischte und Widersprüchliche muss vernichtet werden. Für den Linken zählt mehr die Zeit als der Raum: Schlechte Vergangenheit, kämpferische Gegenwart und bessere Zukunft.
Jeder Linke muss davon ausgehen, dass der Mensch seinem Wesen nach gut ist; es sind die Verhältnisse, die ihn weniger gut machen. Dem rechten »So ist der Mensch« hält er die Idee der Veränderbarkeit entgegen. Das Verändern freilich hat eine eigene negative Dialektik. Denn wer da wen zu welchem Zweck verändert, das ist nicht ausgemacht. So mag die Sehnsucht nach dem verbesserten Menschen im einen Extrem auf stalinistischen Terror hinauslaufen, im anderen sich in einem liberalen Nirwana auflösen.
Die Revolten der sechziger und siebziger Jahre entstanden nicht nur in einer neuen linken Kultur, sondern auch gemäß einem progressiven Menschenbild. Studenten, die »die Massen« verherrlichten, waren indes so komisch wie die Versuche, sich in der Praxis der Arbeitskämpfe auf die richtige Seite zu schlagen, melodramatisch. Doch vielleicht ohne es zu wissen war auch diese radikale Opposition mit dem Mainstream in einer großen Erzählung von Fortschritt verbunden. Zum (vorläufig) letzten Mal zeigte sich da das Bürgertum gerade in einer antibürgerlichen Haltung einer seiner Fraktionen.
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