Abschiebungen in den Iran sind ­wieder möglich

Keine Sicherheit für iranische Oppositionelle

Der bundesweite Abschiebestopp in den Iran ist aufgehoben – obwohl sich die Menschenrechtssituation im Land dem Auswärtigen Amt zufolge verschlechtert hat.

Es darf wieder in den Iran abgeschoben werden. Die Innenministerkonferenz (IMK) hat den bislang geltenden generellen Abschiebestopp nicht verlängert, er lief am 31. Dezember aus. Im Dezember 2022 hatte die IMK erstmals bundesweit Abschiebungen in den Iran ausgesetzt. Zwei Monate zuvor hatten die landesweiten Proteste gegen die politische Führung des Landes begonnen, nachdem die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Sie war wegen eines Verstoßes gegen die Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Im Sommer 2023 wurde der Abschiebestopp mit Verweis auf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch das Regime im Iran verlängert. Einzig in Berlin sind Iraner noch bis Ende Februar vor Abschiebung sicher.

Es hätte der Einstimmigkeit unter den Ländern und der Zustimmung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine weitere Verlängerung bedurft. Weil sie bereits auf der Vorkonferenz im November keine Mehrheit gefunden hatte, kam es bei der eigentlichen Innenministerkonferenz im Dezember gar nicht erst zur Debatte.

Fortan gilt eine »zielstaatsbezogene« Sonderreglung. Demnach können Asylanträge von politisch besonders gefährdeten Menschen in ein beschleunigtes Verfahren gehen. Allerdings müsse dafür erst nachgewiesen werden, dass man »in besonders herausragender und langjähriger Weise in der Menschenrechts- oder Oppositionsarbeit aktiv« gewesen ist, heißt es dazu auf der Seite des Bundesinnenministeriums (BMI).

»Die Strafen sollen abschrecken, für seine persönliche Freiheit einzustehen, und können auch willkürlich sein.« Aras-Nathan Keul, Nahost-Analyst und Politikberater

»Diese Anforderung ist realitätsfern und naiv«, kritisiert Aras-Nathan Keul im Gespräch mit der Jungle World die Regelung. Keul ist Nahost-Analyst, Politikberater und sitzt im Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Sein Schwerpunkt ist die Entwicklung einer neuen und dem Regime gegenüber weniger konzilianten Iran-Politik Deutschlands. »Wir sehen, dass die Islamische Republik die schwindende Aufmerksamkeit für Iran nutzt, um die Repressionen etwa gegen Oppositionelle, Frauen, Minderheiten wie Kurden und Balutschen, Bahai, sowie Schwule und Lesben zu verstärken.« Sich politisch zu organisieren, werde weitestgehend verunmöglicht, und selbst kleinere kritische Gesten im Alltag würden drakonisch bestraft.

»Die Menschenrechtssituation in Iran war schon vor den Protesten im Herbst 2022 desolat und hat sich seitdem weiter verschlechtert«, teilt das Auswärtige Amt auf Anfrage der Jungle World mit. Es gebe Bestrebungen, »die ohnehin restriktiven Bekleidungsvorschriften weiter zu verschärfen, unter anderem durch stärkere Überwachung und härtere Strafen«. Das Auswärtige Amt habe auch die Innenminister der Länder über die Menschenrechtslage informiert. »Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Menschenrechtslage seit Sommer 2023.«

Am 8. Januar berichtete die Human Rights Activists News Agency (HRANA), dass das Revolutionsgericht vier Oppositionelle zum Tode verurteilt habe. Der Wortlaut der Anklagepunkte sei unbekannt. Die regimetreue Nachrichtenagentur Tasnim hatte die vier bereits bei deren Festnahmen als »Netzwerk israelischer Spione« bezeichnet. Die Oppositionellen seien aus der Region Kurdistan ins Landesinnere gereist, um Terroranschläge zu verüben. 80 Tage nach deren Festnahme beschuldigte sie das iranische Staatsfernsehen laut HRANA der Spionage für ausländische Geheimdienste. Oppositionelle gelten dem iranischen Regime überall als Gefahr für den eigenen Machterhalt. Auch hierzulande werden sie ausgespäht und eingeschüchtert.

Das hat im Iran seit jeher Methode: Innere Konflikte werden externalisiert, um den Schein zu bewahren, die iranische Bevölkerung würde hinter dem Regime stehen. Die Nation erscheint hierbei als organische Einheit, die sich äußerer Feinde erwehren müsse – eine klassische antisemitische Verschwörungstheorie.

Dem Regime liegt somit viel daran, kritische Äußerungen gewaltsam zu unterdrücken. Dem jährlichen Menschenrechtsbericht der Human Rights Activists zufolge wurden im vergangenen Jahr 4 472 Menschen aufgrund ihres zivilen oder politischen Engagements festgenommen. Anfang Januar erst sorgte die Auspeitschung einer 33jährigen Menschenrechtsaktivistin für einen Aufschrei im Land. Laut der iranischen Zeitung Shargh wurde die Kurdin Roya Heshmati im April festgenommen, nachdem sie auf Facebook ein Foto veröffentlicht hatte, auf dem sie kein Kopftuch trägt. 74 Peitschenhiebe musste sie dafür erleiden. »Diese Strafen sollen abschrecken, für seine persönliche Freiheit einzustehen, und können auch willkürlich sein«, so Keul.

Im März berichtete Amnesty International, dass sogar Kindern, die an den Protesten teilgenommen hatten, Gewalt angetan worden sei. Der Iran-Experte von Amnesty Deutschland, Dieter Karg, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung wie Keul: »Diese Gewalt gegen Kinder offenbart eine gezielte Strategie, um die Jugend des Landes zu unterdrücken und sie davon abzuhalten, Freiheit und Menschenrechte einzufordern.« Die Kinder seien bei oder nach den Protesten entführt, viele von ihnen geschlagen worden. Andere Foltermethoden seien Auspeitschungen, Elektroschocks und sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung.

Ein anderer Bericht der Menschenrechtsorganisation von Anfang Dezember dokumentiert das Leiden von 45 Überlebenden sexualisierter Gewalt durch Mitarbeiter des Geheimdienstes oder der Sicherheitskräfte, darunter 26 Männer, zwölf Frauen und sieben Minderjährige. Bei den Opfern handele es sich um Frauen und Mädchen, die ihr Kopftuch abgenommen, sowie Männern und Jungen, die sich an den Protesten beteiligt hätten. »Die Überlebenden wurde mit Holz- und Metallschlagstöcken, Glasflaschen, Schläuchen und/oder den Geschlechtsorganen und Fingern der Sicherheitskräfte vergewaltigt«, heißt es in dem Bericht. Amnesty geht von einem systematischen Vorgehen aus.

Die Ereignisse zeigen, dass alle iranischen Staatsbürger gefährdet sind, die sich dem Regime auch nur im Geringsten widersetzen. »Wie soll man in dieser Lage nachweisen, dass man in besonders herausragender und langjähriger Weise in der Menschenrechts- oder Oppositionsarbeit aktiv war?« kritisiert Keul die neue Regelung des BMI. »Die Bundesrepublik war lange der treueste Partner der Islamischen Republik und hat viel zur Stabilisierung des Regimes beigetragen.« Daher habe Deutschland heute eine besondere Verantwortung für die Menschen in dem Land, »die für ein Leben verfolgt werden, das wir in Deutschland für erstrebenswert halten«.