Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan entdeckt sein Herz für die Houthi-Milizen

Ein Meer von Blut

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan befleißigt sich einer extravaganten Rhetorik, um sich mit den Houthi-Milizen gegen seine Nato-Partner und Israel zu solidarisieren.
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Die Luftangriffe, mit denen die USA und Großbritannien auf die Attacken der Houthi-Milizen auf den internationalen Schiffsverkehr in der Meerenge von Bab al-Mandeb zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden reagiert haben, verurteilte der Präsident des Nato-Alliierten Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, in schärfster Form. Die USA und Großbritannien würden im Jemen ebenso unangemessen Gewalt gebrauchen wie Israel in Palästina.

»Sie streben danach, das Rote Meer gewissermaßen in ein Meer aus Blut zu verwandeln«, so der türkische Präsident mit einer nur sprachlich naheliegenden Assoziation. Er fügte in seiner Rede in Istanbul hinzu, dass auch der Iran sich schützen müsse. Noch eine verfolgte Unschuld.

Am 31. März sollen in der Türkei Kommunalwahlen stattfinden. Diese sind für Erdoğan keine Nebensache. Es geht für ihn darum, die größten Städte der Türkei, Istanbul und Ankara, zurückzugewinnen.

Bereits zum derzeitigen Gaza-Krieg hat Erdoğan verbal aufgerüstet. Im Dezember stellte er die rhetorische Frage: »Gibt es etwas, was Hitler getan hat, das Netanyahu nicht getan hat?«, um sie gleich mit »Nein!« zu beantworten. Ähnlich hat sich Erdoğan über die Jahre immer wieder geäußert. Auf solche Phasen heftigster Polemik folgten immer wieder Phasen einer pragmatischen, manchmal geradezu herzlich erscheinenden Annäherung. Auch kann Israel weiterhin Öl über die Türkei beziehen. Was die USA betrifft, so bekäme Erdoğan von ihnen weiterhin liebend gerne F-16-Kampfflugzeuge.

Vielleicht sollen die rhetorischen Ausfälle auch nur ein wenig von der hohen Inflation in der Türkei ablenken, deren Folgen Erdoğan kaum noch kaschieren kann, wie er es vor der Präsidentschaftswahl 2023 mit allerlei Mitteln tat. Am 31. März sollen in der Türkei Kommunalwahlen stattfinden. Diese sind für Erdoğan keine Nebensache. Es geht für ihn darum, die größten Städte der Türkei, Istanbul und Ankara, zurückzugewinnen, die seine AKP bei den Wahlen 2019 verloren hat.

Über die Rathäuser, insbesondere in Istanbul, lief bis dahin viel Geld an Organisationen, die Erdoğans AKP nahestehen. Dabei geht es auch um die Teilstädte der Metropole am Bosporus. Schließlich ist der Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu von der kemalistischen CHP, beliebt und wurde schon vor der jüngsten Präsidentschaftswahl als möglicher Oppositionskandidat gehandelt.

Mit seiner Polemik gegen Israel trifft Erdoğan einen Nerv; wie sonst nur auf den Nationalismus springen fast alle politischen ­Lager in der Türkei darauf an. So kann er die Leute aufheizen und kaum jemand wird es wagen oder auch nur das Bedürfnis haben, ihm zu widersprechen.

Das Osmanische Reich war einmal ein Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden aus weiten Teilen Europas, doch hat sich auch in der Türkei seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der Antisemitismus ausgebreitet. Dabei spielt der Palästina-Konflikt die Rolle eines Takt­gebers, der das ganze Konzert des Antisemitismus aus der rechtsnationalistischen, aus der linksnationalistischen und der islamistischen Ecke ertönen lässt. Eine eifrig sprudelnde Propagandaliteratur sammelt »Beweise« dafür, dass die Reichen und Mächtigen im Grunde jüdische Wurzeln hätten.

Der israelische Außenminister Israel Katz erinnerte die Türkei an den Völkermord an den Armenier:innen und die ständigen Angriffe auf Kurd:innen in Syrien und im Irak.

Ein Beispiel ist Soner Yalçıns Buch »Efendi« mit dem Untertitel »Das große Geheimnis der weißen Türken«, mittlerweile in über 40 Auflagen erschienen, dem zufolge die Türkei von Kryptojuden unterwandert sei. Ein weiteres Beispiel ist »Moses’ Kinder: Tayyip und Emine« von Ergün Poyraz. Damit auch alle gleich wissen, wer gemeint ist, prangt auf dem Cover ein Davidstern, in den die Köpfe von Recep Tayyip Erdoğan und seiner Ehefrau Emine eingesetzt sind. Dazu kommen vielgelesene antisemitische Klassiker wie Adolf Hitlers »Mein Kampf« und »Die Protokolle der Weisen von Zion«.

Zudem ist die Berichterstattung in den türkischen Medien über den Krieg zwischen Israel und der Hamas einseitig. Gewalt gegen Israelis wird weggelassen oder entschuldigt, Gewalt gegen Palästi­nenser:innen ist in jedem Fall ein Verbrechen.

Entsprechend teilte Erdoğan auch mit, die Türkei werde das von Südafrika am Internationalen Gerichtshof angestrengte Verfahren gegen Israel wegen Völkermords mit der Zusendung von Dokumenten unterstützen. Man fragt sich, welche Dokumente Erdoğan da hat. Jedenfalls kommt das in der Türkei gut an. In Israel freilich weniger: Der dortige Außenminister Israel Katz erinnerte die Türkei an den Völkermord an den Armenier:innen und die ständigen Angriffe auf Kurd:innen in Syrien und im Irak.

Dabei ist es aber auch interessant zu erfahren, dass das Schicksal der Armenier:innen im Ersten Weltkrieg der Regierung Netanyahu noch so lebhaft vor Augen steht. Noch vor kurzem hat Israel Aserbaidschan an der Seite Erdoğans mit Waffen gegen das kleine Armenien aufgerüstet. Aserbaidschans Ölreichtum, und dass das Land in der Region ein potentielles Gegengewicht zum Iran darstellt, das war es wohl, was zählte. Auch Erdoğan wird die proiranischen Houthis wohl rasch wieder vergessen, wenn die Beziehungen zu Saudi-Arabien erneut in den Vordergrund rücken. Irgendwann nach den Kommunalwahlen, versteht sich.