Daniel Schuch, Initiativkreis Riebeckstraße 63, im Gespräch über einen neuen Lern- und Gedenkort in Leipzig

»Dreh- und Angelpunkt der NS-Verfolgungspolitik«

In der ehemaligen Arbeitsanstalt in der Riebeckstraße 63 im Leipziger Osten soll ein neuer Lern- und Gedenkort entstehen. Die Geschichte des Gebäudekomplexes ist eine von Unterdrückung und Gewalt – vom Kaiserreich über die NS-Zeit bis in die DDR. Der Initiativkreis Riebeckstraße 63 erforscht diese Geschichte und bereitet sie auf. Die »Jungle World« sprach mit Daniel Schuch über die Pläne der Initiative.
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Die ehemalige Arbeitsanstalt der Stadt Leipzig hat eine lange Geschichte. Können Sie diese kurz skizzieren?
1892 wurde auf dem Gelände in der Riebeckstraße 63 die städtische »Zwangsarbeitsanstalt zu St. Georg« eröffnet. Die Institution knüpfte an die Konzepte der europäischen Arbeitshäuser an. Vor allem arme Menschen wurden zu Zwangsarbeit verpflichtet, andere mussten auf diese Weise Haftstrafen verbüßen. Das Gelände diente aber auch als Obdachlosenasyl, weswegen sich dort auch Menschen freiwillig meldeten. Die Arbeitsanstalt war eine repressive Antwort auf Armut und soziale Verelendung. Deshalb war sie wie dafür geschaffen, im Nationalsozialismus zum Dreh- und Angelpunkt der hiesigen Verfolgungspolitik zu werden.

Welche Funktion hatte der Komplex im Nationalsozialismus?
An diesem Ort treffen die Verfolgungsgeschichten von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, als »asozial« Verfolgten genauso wie die von Zwangsarbeiter:innen aufeinander. Das Gelände war während des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Verteilerstelle von Zwangsarbeitern und ein Sammel- und Durchgangslager. Im ­Keller eines der Gebäude war außerdem ein Polizeiersatzgefängnis und ein »Ausländergefängnis«.

Und nach dem Krieg?
Zu DDR-Zeiten befand sich dort unter anderem eine geschlossene Venerologische Station, Frauen und Mädchen zwangseingewiesen, eingesperrt und auf Geschlechtskrankheiten untersucht wurden – ein Prozess, der heute als sexualisierte Gewalt anerkannt wird. Außerdem wurde in der Riebeckstraße 63 in den siebziger Jahren eine Außenstelle der städtischen Psychiatrie untergebracht.

»An diesem Ort treffen die Verfolgungsgeschichten von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, als ›asozial‹ Verfolgten genauso wie die von Zwangsarbeiter:innen aufeinander.«

Haben Sie einen Schwerpunkt bei Ihrer Arbeit?
Die Gewaltgeschichte an diesem Ort ist sehr vielfältig, daher ist es schwer, alles abzudecken. Aber die NS-Geschichte des Ortes kristallisiert sich als ein Schwerpunkt heraus, die der Venerologischen Station in der DDR als zweiter. Einen roten Faden stellen die Geschichte der als »asozial« verfolgten dar, sowie Arbeitsgeschichte und repressive Sozialpolitik, allerdings ist all das auch work in progress.

Was möchten Sie in dem Lern- und Gedenkort in Zukunft anbieten?
Im ehemaligen Pförtnerhaus der Arbeitsanstalt gibt es seit 2022 bereits ein offenes Depot mit Quellen zur Geschichte des Ortes und wir haben einen Audiowalk als App veröffentlicht. Außerdem bieten wir regelmäßig Rundgänge für historisch Interessierte über das Gelände an. Vor kurzem haben wir eine Förderung von 100 000 Euro vom Sächsischen Kulturministerium bekommen. Damit sollen bestehende Angebote ausgebaut und der Rest des Hauses soll saniert werden. Konkret sollen ein Raum für Ausstellungen, Arbeitsplätze und ein Archiv sowie sanitäre Einrichtungen geschaffen werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Initiativen und Projekten haben Sie in diesem Jahr neue Stellen bewilligt bekommen. Bedeutet das eine sichere Zukunftsperspektive für den Gedenkort?
Wir haben zunächst nur die Finanzierung von zwei halben Projektstellen bis Ende 2024 genehmigt bekommen. Die zukünftigen Mitarbeiter:innen sollen eine Gedenkstättenkonzeption erarbeiten und damit wird es dann hoffentlich möglich sein, eine institutionelle Förderung und damit eine langfristige Absicherung zu schaffen. Das steht allerdings noch in den Sternen, bisher arbeiten wir alle ehrenamtlich.
 

Verein Riebeckstr. 63

Die Website der Initiative Riebeckstraße 63 findet sich unter riebeckstrasse63.de.