Didier Eribon denkt über das Altern nach

Kritik des Anti-Aging

Die Mutter, Simone de Beauvoir, fallende Körper. Der französische Soziologe Didier Eribon untersucht in seinem Buch »Eine Arbeiterin« das Elend des Pflegeheims und fragt nach der Solidarität mit jenen, die nicht in der Lage sind, diese einzufordern.

»Tu verras, tu seras bien«, singt der kommunistische Chansonnier Jean Ferrat 1980 in seinem melancholischsten Stück. Ein Sohn überredet die Mutter, ins Heim zu gehen: »Du wirst sehen, dass es dir gutgehen wird.« Mit ähnlichen Worten, so bekennt der Soziologe Didier Eribon in seinem neuen Buch, verabschiedete er seine gebrechliche Mutter ins Altenheim. Nur sieben Wochen später war die 87jährige tot. Dass er sie lediglich an zwei Tagen besucht habe, sei genauso beschämend wie seine beschwichtigenden Worte, die schon Ferrat in dem Lied als Floskeln entlarvt habe.

Ausgehend von ihrem Tod in einem staatlichen Heim, einem Ehpad (Établissement d’hébergement pour des personnes âgées dépendantes), rollt Eribon die Biographie der Mutter erneut auf. Diente ihre Lebensgeschichte in »Rückkehr nach Reims« (»Retour à Reims«, 2009) als Material für eine soziologische Analyse des Rechtsextremismus innerhalb der prekarisierten Arbeiterschaft, illu­striert sie in seinem neuen Buch »Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben« (»Vie, vieillesse et mort d’une femme du peuple«, 2023) das Drama des Alterns und der Pflege.

Und noch etwas hat sich verschoben. In »Rückkehr« geht es um Eribons Emanzipation von der Familie und seiner Herkunft aus der Arbeiterschicht, um den Bildungsaufstieg und die Klassenflucht. In »Eine Arbeiterin« findet eine, wenn auch widersprüchliche Wiederannäherung an die Herkunftsgeschichte statt, die womöglich auch für Stirnrunzeln sorgen wird.

Das Altenheim der Mutter, ein schroffer Neubau an der Peripherie des Ortes Fismes in der Champagne, bildet die Black Box dieser literarisch-soziologischen Studie.

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