Die Proteste gegen und Angriffe auf Flüchtlinge in Irland reißen nicht ab

Kein Friede den Zelten

In Dublin ist es zu gewaltsamen Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte gekommen. Zuvor waren informelle Zeltcamps angegriffen worden. Zahlreiche Asylsuchende in Irland sind obdachlos.

London. Die jüngsten Ausschreitungen ereigneten sich im Dubliner Vorort Coolock. Eine alte Fabrik wird dort umgebaut, um bald als Flüchtlingsunterkunft genutzt zu werden. Seit Wochen schon protestierten teils Hunderte Menschen gegen die Pläne und blockierten die Baustelle. Mitte Juli wurde das Gebäude zweimal in Brand gesetzt. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden ein privater Sicherheitsmann und meh­rere Polizisten verletzt, ein Polizeifahrzeug ging in Flammen auf. Es gab 19 Festnahmen.

Seit Monaten gibt es regelmäßig ähnliche Proteste und Aktionen im gesamten Land, darunter Brandanschläge auf geplante Unterkünfte, Blockaden von Flüchtlingstransporten und, wie im Herbst im Dublin, gewaltsame Kra­walle. Letztere ereigneten sich, nachdem Ende November ein geistig verwirrter Mann in einer Grundschule Kinder angegriffen und dabei teilweise schwer verletzt hatte. In den sozialen Medien wurde zu Protesten aufgerufen, unter anderem mit der Falschbehauptung, der Mann sei ein Flüchtling und die Tat habe einen islamistischen Hintergrund.

Die Proteste und Angriffe richten sich nicht nur gegen staatliche Flüchtlingsunterkünfte, sondern auch gegen informelle Camps. Mitte Juli attackierten mit Messern bewaffnete Angreifer ein solches Zeltlager. Sie vertrieben die Bewohner und zerstörten einige der Zelte.

Fast die Hälfte aller männlichen Asylsuchenden in Irland ist ohne offizielle Unterkunft, wie aus Zahlen der zuständigen Asylbehörde IPO hervorgeht.

Mitte Mai war ein Zeltlager in der Dubliner Innenstadt angezündet worden, zwei Wochen nachdem sich dort etwa zehn obdachlose Geflüchtete niedergelassen hatten. Es wurde durch den Brandanschlag vollständig zerstört. Zuvor hatten vor dem kleinen Camp wiederholt flüchtlingsfeindliche Proteste stattgefunden, während Antifaschisten das Camp verteidigten. Die Polizei musste mehrere Nächte lang ­einschreiten, um offene Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen zu verhindern. Dann kam es zu dem Brandanschlag.

Seit einiger Zeit steigt die Zahl dieser informellen – teils jedoch von den Behörden geduldeten – Zeltlager in Dublin. Das erste dieser Camps bildete sich neben dem Sitz des International Protection Office (IPO), das Asylanträge prüft und für die Versorgung von Geflüchteten und Asylsuchenden zuständig ist.
Die Camps entstehen, weil es an öffentlichen Unterkünften mangelt. Der irische Staat verfolgt eine harte Sozialpolitik für Asylsuchende, die vor allem auf Abschreckung zielt. Geflüchtete dürfen nicht arbeiten, bekommen eine Unterkunft zugewiesen und erhalten dort auch Mahlzeiten. Darüber hinaus gibt es bloß minimale Bargeldzahlungen von rund 38 Euro pro Woche.

Wohlfahrtsverbände werden bedroht

Doch die Unterkünfte sind zuletzt immer knapper geworden, so dass das Amt begonnen hat, Geflüchtete – zunächst vor allem alleinstehende Männer – aufzufordern, selbst Unterkünfte zu finden. In diesem Fall werden die Wochenbezüge um 75 Euro erhöht. Wegen der hohen Mieten in Irland ist es jedoch praktisch unmöglich, für solche Beträge eine Unterkunft zu mieten. Den Asylsuchenden bleibt meist nichts anderes übrig, als irgendwo ein Zelt aufzustellen. Im Mai teilte die irische Einwanderungsbehörde mit, dass insgesamt 1.676 Asylsuchende keine öffentliche Unterkunft hätten.

Wohlfahrtsverbände, die Migranten unterstützen, werden bedroht. Zum Beispiel Tiglin at the Lighthouse: Die Organisation unterstützt seit 2008 Obdachlose im Zentrum von Dublin, immer öfter auch Migranten. In sozialen Medien sei deshalb dazu aufgerufen worden, ihre Einrichtungen mit Molotowcocktails anzugreifen, berichtete der Gründer der Organisation, Aubrey McCarthy, kürzlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RTE.

Anlass dafür sei gewesen, dass McCarthys Organisation unter anderem Zelte und Schlafsäcke an Obdachlose verteilte. Dass nicht nur der rassistische Mob im Internet, sondern auch Regierungspolitiker dies kritisiert hätten, sei heuchlerisch, sagte McCarthy RTE. Seine Organisation arbeite eng mit dem Department of Integration sowie den International Protection Acco­mmodation Services (IPAS) zusammen, die für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig sind. Letztere hätten seine Organisation beauftragt, Zelte und Schlafsäcke an Obdachlose auszuteilen, und dafür auch bezahlt, sagte McCarthy. 

Nur in Genf und London höhere Mieten als in Dublin

Die Frage der Unterbringung von Geflüchteten ist weiterhin völlig ungelöst. Die neuesten Zahlen des IPO von Juli zeigen, dass seit Dezember 2023 nur zehn Prozent der rund 4.500 offiziell registrierten männlichen Asylsuchenden direkt eine Unterkunft erhalten haben. Nur knapp die Hälfte von ihnen hat demnach bis Juli ein Angebot für eine offizielle Unterkunft erhalten.

Bei den Protesten spielt auch eine Rolle, dass die irischen Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind und bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird. Bei ­einer kürzlichen repräsentativen Umfrage im Auftrag der Irish Times antworteten 62 Prozent der Befragten, sie kämen finanziell gerade über die Runden, während ein Fünftel angab, finanziell »zu kämpfen zu haben«.

In Dublin kostet der BBC zufolge eine Einzimmerwohnung im Durchschnitt 1.800 Euro monatlich. Einer ­Untersuchung von Eurostat zufolge sind in Europa die Mieten nur in Genf und London teurer als in der irischen Hauptstadt. Die Obdachlosigkeit hat deutlich zugenommen.

Mehr in Sozialwohnungen investieren

Angesichts dieser Lage argumentieren die linksnationalistische Sinn Féin und die sozialdemokratischen Parteien, die der Opposition angehören, dass der irische Staat im europäischen Vergleich finanziell durchaus gut dastehe und zum Beispiel mehr in Sozialwohnungen investieren könnte. Wegen der niedrigen Unternehmensteuer haben zahlreiche internationale Konzerne in Irland ihr EU-Hauptquartier angesiedelt. Deshalb hat der irische Staatshaushalt nun schon das dritte Jahr in Folge Milliardenüberschüsse erzielt – 2024 wird mit einem Überschuss von acht Milliarden Euro gerechnet.

Die irische Regierung – ein Bündnis aus Mitte-rechts-Parteien und den Grünen – reagiert auf die steigenden Flüchtlingszahlen indes mit Vorwürfen an Großbritannien. Viele der Geflüchteten seien von dort nach Irland gekommen, um der Gefahr einer Abschiebung nach Ruanda zu entgehen, gab der stellvertretenden Ministerpräsident und Außenminister Micheál Martin Ende März zu Protokoll. Die dama­lige konservative Regierung in Großbritannien hatte den Plan verfolgt, Flüchtlinge in Lagern in Ruanda unterzubringen.

Zuvor hatte die irische Justizministerin Helen McEntee behauptet, bis zu 80 Prozent aller in Irland registrierten Geflüchteten seien aus dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland über die grüne Grenze in die ­Republik Irland gekommen. Die irische Regierung will, dass Großbritannien Flüchtlinge, die von dort kommen, zurücknimmt. Die dort bis Anfang Juli amtierende Tory-Regierung hatte dies abgelehnt, solange nicht auch Frankreich Flüchtlinge zurücknehme, die über den Kanal kommen.

Es ist noch unklar, ob und wie sich dies unter der neuen britischen Labour-Regierung ändern wird. Doch sicher scheint zu sein, dass die irische Regierung weiter ver­suchen wird, die Schuld für die selbstgemachte Krise am Wohnungsmarkt und damit bei der Geflüchtetenunterbringung auf andere zu schieben.