»Zerrieben zwischen geopolitischen Konflikten«
Die Türkei begründet die derzeitige Militäroffensive gegen die PKK im Nordirak mit Sicherheitsinteressen und Terrorbekämpfung. Wie ist das zu bewerten?
Leider wird der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK, der bis in die Achtziger zurückreicht, oft sicherheitspolitisch bewertet. Das verstellt die Sicht auf das Grundproblem, und das ist nach wie vor die Kurdenfrage. Präsident Recep Tayyip Erdoğan fürchtet um seine Mehrheit bei der anstehenden Wahl. Bei 10,7 Prozent Arbeitslosigkeit und enormer Inflation bietet die Regierungspolitik wenig Vereinendes, Nationalismus, Antisemitismus und Kurdenhass hingegen schon. Die Politik Erdoğans als Reaktion auf einzelne PKK-Angriffe zu beschreiben, ist kurzsichtig, es sind nicht mehr die Neunziger. Dahinter steht ein politischer Prozess, der 20 Millionen Kurden in der Türkei betrifft, es geht nicht nur um einen Kampf irgendwo in den Bergen.
Sowohl die kurdischen Autonomiebehörden im Irak als auch die irakische Regierung unterstützen die türkische Offensive. Wie ist das zu verstehen?
Die Zusammenarbeit der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) mit der Türkei hat eine 30jährige Tradition. Die kurdische Autonomie im Nordirak wurde als Projekt der Türkei und der westlichen Staaten aufgesetzt, um ein Gegengewicht zum irakischen Diktator Saddam Hussein zu bilden, mit genug Autonomie, um Saddams Irak zu drohen, aber nicht genug, um wirklich unabhängig zu werden. Die Hilfe im Kampf gegen die PKK war eine Bedingung der Türkei für die Unterstützung der irakisch-kurdischen Parteien, die sich zuvor bewaffnet bekämpft hatten. Unter der Regierung von Masrour Barzani (seit Juni 2019 Ministerpräsident der Autonomen Region Kurdistan, Anm. d. Red.) hat sich die sicherheitspolitische Zusammenarbeit intensiviert. Barzani will dem schwindenden Einfluss der kurdischen Autonomieregion im innerirakischen Machtgefüge mit einem mächtigen Verbündeten entgegenwirken.
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