Der Chef der Wagner-Gruppe stirbt bei Flugzeugabsturz in Russland

Putin statuiert Exempel: Prigoschins letzter Flug

Die Absturzursache ist bislang ungeklärt, es kursieren verschiedene Annahmen. Spekuliert wird über einen Raketenabschuss, aber auch über eine in dem Flugzeug platzierte Bombe.

Die Ankunft fiel aus. Am 23. August befand sich Jewgenij Prigoschin auf dem Heimflug von Moskau nach Sankt Petersburg. Zwei Tage zuvor hatte sich der Chef der Söldnergruppe Wagner erstmals seit seinem gewagten »Marsch der Gerechtigkeit« vom südrussischen Rostow in Richtung Moskau vor zwei Monaten mit einer für ihn typischen Videobotschaft aus Afrika zu Wort gemeldet. Wagner verhelfe Russland zu neuer Größe auf allen Kontinenten und mache Afrika noch freier, hieß es da.

Im Nachhinein wirken seine Worte wie eine Abschiedsbotschaft. Der von Prigoschin regelmäßig genutzte Privatjet, mit dem er am frühen Abend in Moskau gestartet war, verlor nach 25 Minuten Flugzeit plötzlich an Höhe und stürzte schließlich ab. Alle zehn Menschen an Bord des Flugzeugs kamen ums Leben.

Darunter befanden sich neben drei Besatzungsmitgliedern, Prigoschin selbst und als dessen Leibwächter abgestellten Söldnern zwei weitere Führungsmitglieder von Wagner: Namensgeber Dmitrij Utkin und Walerij Tschekalow. Ersterer hatte sich bei den Streitkräften bis zum Oberstleutnant hochgedient, bevor er sich als ­Privatmann dem Geschäft mit dem Tod widmete. »Wagner« war sein selbstgewählter Deckname, Utkin war Anhänger des Nationalsozialismus. Tschekalow zeichnete für geschäftliche und logistische Fragen verantwortlich. Dass das Führungstrio regelmäßig zusammen geflogen sein soll, zeugt von grenzenlosem Leichtsinn.

Dass das Wagner-Führungstrio regelmäßig zusammen geflogen sein soll, zeugt von grenzenlosem Leichtsinn.

Die Absturzursache ist bislang ungeklärt, es kursieren verschiedene Annahmen. Spekuliert wurde über einen Raketenabschuss, aber auch über eine in dem Flugzeug platzierte Bombe. In russischen sozialen Medien kursieren Mitteilungen über besondere Umstände vor dem Flug.

Die Flugbegleiterin Kristina Raspopowa, die einzige Frau an Bord, hatte ihre Angehörigen informiert, dass sich der Abflug verzögere. Am Tag des Absturzes sollen Kaufin­teressenten den Jet besichtigt haben und eine kurzfristig notwendige Reparatur mit Ersatzteilen zweifelhafter Herkunft soll ausgeführt worden sein.

Britische und ukrainische Geheimdienste verdächtigen Generaloberst Andrej Awerjanow, einen Anschlag angeordnet zu haben. Er hatte Geheimoperationen für den Militärgeheimdienst GRU geleitet, sein Name wurde im Zusammenhang mit der Vergiftung des in Großbritannien ansässigen ehemaligen GRU-Angehörigen Sergej Skripal im Jahr 2018 erwähnt.

Lange Zeit schien Prigoschin dem Kreml überaus nützlich gewesen zu sein. Dass er sozusagen als Quereinsteiger ins Geschäft mit militärischen Dienstleistungen keiner Behörde direkt unterstellt war, stellte für die von russischen Gesetzen nicht gedeckten Spezialaufträge, die Prigoschins Unternehmen in Syrien und anderen Ländern auszuführen hatte, einen Vorteil dar.

Mit provokanten Mitteln setzte Prigoschin sich gegen eine Übernahme der Wagner-Einheiten durch die Streitkräfte zur Wehr und untergrub mit seinen Eigenmächtigkeiten letztlich die Autorität des russischen Präsidenten.

Das barg aber auch ein gewisses Risiko, da Prigoschin mit Disziplinarmaßnahmen nicht beizukommen war und er sich immer mehr als unentbehrlicher Manager mit einem Freibrief für Regelverstöße aller Art inszenierte. Mit provokanten Mitteln setzte er sich gegen eine Übernahme der Wagner-Einheiten durch die Streitkräfte zur Wehr und untergrub mit seinen Eigenmächtigkeiten letztlich die Autorität des russischen Präsidenten.

Zunächst zeigte Präsident Wladimir Putin – offenbar nur zum Schein – noch Entgegenkommen. Prigoschin durfte Wochen nach seinem Marsch Ende Juni mit 35 Wagner-Kommandeuren im Kreml vorsprechen und schien sich begründete Hoffnungen zu machen, zumindest die laufenden Einsätze der Söldnertruppe in Afrika in Eigenregie fortsetzen zu können.

In gewissem Maß ging es auch noch so weiter wie zuvor, doch erwuchs Prigoschin nun rasch Konkurrenz. Das russische Investigativportal Important Stories berichtete, dass mehrere staatsnahe Militärdienstleister kurz davor stünden, in Afrika Fuß zu fassen, und dafür bereits Personal angeheuert hätten – darunter Konwoj, der als Reserveeinheit des Verteidigungsministeriums gilt, und das hauptsächlich von Gazprom finanzierte Militärunternehmen Redut.

Anstatt Prigoschin weit weg und in aller Stille in Afrika beseitigen zu lassen, lässt der Kreml mit dem spektakulären Flugzeugabsturz alle systemnahen Kräfte wissen, dass Illoyalität den Tod bringt.

Prigoschin war nicht nur ersetzbar geworden, er stellte spätestens seit Juni ein enormes Sicherheitsrisiko dar. Dies mag Putin dazu veranlasst haben, mit etwas zeitlichem Abstand an dem skrupellosen Wagner-Chef ein Exempel zu statuieren.

Einem Verräter aus den eigenen Reihen wird in Putins Russland nicht der Prozess gemacht, er wird physisch vernichtet. Anstatt Prigoschin weit weg und in aller Stille in Afrika beseitigen zu lassen, lässt der Kreml mit dem spektakulären Flugzeugabsturz alle systemnahen Kräfte wissen, dass Illoyalität den Tod bringt.

Welche Wirkung diese Lektion entfaltet, wird sich zeigen. Die auf russischer Seite kämpfende Neonazi-Brigade Rusitsch spurt derzeit nicht, wie sie soll. Jan Petrowskij, einer der Anführer, war im Juli in Helsinki festgenommen worden und könnte nun als Kriegsverbrecher an die Ukraine ausgeliefert werden. Weil das russische Außenministerium in dem Fall bis vor kurzem untätig blieb, erklärte die Rusitsch-Führung am Freitag voriger Woche, alle Kampfaktivitäten in der Ukraine bis auf Weiteres einzustellen.