Ahlrich Meyer, Politologe und Historiker, im Gespräch über die Herausforderungen der frühen Holocaustforschung

»Eine totalitäre Welt«

Von der Verdrängung über die Zeugenschaft, Dokumentation und Aufarbeitung zur Instrumentalisierung, Ritualisierung und Historisierung. Ahlrich Meyer, emeritierter Professor für Politische Theorien und Politische Ideengeschichte, spricht über die verschiedenen Phasen der Aufarbeitung des Holocaust. Und darüber, was die Holocaustforschung vergessenen Pionieren wie dem Trotzkisten David Rousset zu verdanken hat.
Interview Von

Die Rede vom »Bann der Unglaubwürdigkeit« geht auf Hannah Arendt zurück. Es ging ihr um die Erkenntnis, dass das Grauen der Konzentrations- und Vernichtungslager für diejenigen, die nicht selbst ihr Opfer wurden, kaum zu verstehen ist. Weshalb haben Sie diesen Titel für Ihre ­Essaysammlung gewählt?
Weil er vieles offenhält. Arendt zeigte auf, dass es der »gesunde Menschenverstand« in uns ist, der sich gegen die Berichte über das Grauen der Konzentrations- und Vernichtungslager sträubt und nicht glauben kann, was geschehen ist. Diese Unglaubwürdigkeit steht nach Arendt einem angemessenen Verstehen des Holocaust entgegen.

»Heute ist die Erzählung, dass die Juden den Holocaust gewissermaßen ›erfunden‹ haben oder jedenfalls benutzen, um daraus politisches und finanzielles Kapital zu schlagen, weltweit verbreitet.«

Es handelt sich um eine mentale Schranke, einen Bann, der durchbrochen werden muss. Nicht allein die offene Leugnung des Holocaust, schon der Zweifel, ob die Geschichte nicht übertrieben wird, ob die Zahl der Toten nicht übertrieben wird, verweist auf diese mentale Schranke. Heute ist die Erzählung, dass die Juden den Holocaust gewissermaßen »erfunden« haben oder jedenfalls benutzen, um daraus politisches und finanzielles Kapital zu schlagen, weltweit verbreitet.

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