Rechtsextreme schicken Moscheen über anonyme Essenslieferungen Drohmitteilungen

Nazis bestellen Essen

In Nordrhein-Westfalen erhalten zahlreiche Moscheen Morddrohungen.
Von

Sieben Moscheen in Nordrhein-Westfalen erhielten im Februar Morddrohungen per Lieferservice. Auf den Rechnungen von anonym bestellten Essenslieferungen, die den Moscheen zugestellt wurden, waren Bedrohungen aufgedruckt wie »Dönermord wird Volksport!«, »Genozid für Gaza!« oder »Gaskammern für das degenerierte Palästinensische Volk«. Aus einem Schreiben des nordrhein-westfälischen Innenministeriums vom 20. Februar geht hervor, dass der Polizei eine mittlere dreistellige Anzahl an Bestellungen bekannt ist.

Nicht in allen Fällen kam es jedoch zur Auslieferung der unerwünschten Mahlzeiten. Am 2. Februar seien innerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Minuten insgesamt 66 Bestellungen bei verschiedenen Restaurants in Auftrag gegeben worden, von denen die meisten nicht ausgeliefert worden seien, so das nordrhein-westfälische Innenministerium. In 23 dieser Fälle sei das Anmerkungsfeld mit einer gleichlautenden Botschaft versehen gewesen. Auch die 60 Bestellungen am Folgetag, die laut Innenministerium innerhalb eines Zeitraums von etwa fünf Minuten bei verschiedenen Restaurants getätigt worden sind, wurden demnach weitestgehend nicht ausgeliefert. Hier seien 14 der Bestellungen mit derselben Bedrohung versehen worden. In beiden Fällen sollte die Bestellungen an Moscheen in Bielefeld ausgeliefert werden.

Das hessische Innenministerium geht davon aus, dass die Drohbriefe von verschiedenen Absendern kommen.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen werden derzeit Moscheen bedroht. Seit Oktober sind laut dem nordrhein-westfälischen Innenministerium im gesamten Bundesgebiet »ähnlich gelagerte Bestellungen mit volksverhetzendem und beleidigendem Inhalt im Kommentarfeld der Online-Bestellungen über ein Internet-Bestellportal« getätigt worden. Bereits seit August erhalten Moscheen in Hessen regelmäßig rechte Drohschreiben. Sie enthalten Vernichtungsdrohungen oder Verweise auf das rassistische Attentat in Hanau, bei dem im Februar 2020 insgesamt zehn Menschen umgebracht wurden.

Ende Januar erst konnte ein 34jähriger Mann aus dem oberbayerischen Trostberg ermittelt werden, der im Verdacht steht, Drohbriefe an eine Moschee im hessischen Dieburg verschickt zu haben. Das hessische Innenministerium geht allerdings davon aus, dass die Briefe von verschiedenen Absendern stammen.

Die Expertin für Rechtsextremismus und rechtsextremen Terrorismus, Karolin Schwarz, identifizierte in ihrer Studie zum sogenannten NSU 2.0 – mit diesem Kürzel ist seit 2017 eine Reihe von Drohbriefen unterzeichnet –, welche Personen prädestiniert scheinen, mit rechtsextremen Drohschreiben belästigt zu werden. Betroffen seien einerseits im rechtsextremen Milieu zu Feindbildern stilisierte Personen und andererseits Personen, die in die Ermittlungen zu solchen Drohschreiben involviert sind. Darunter zählt Schwarz Ermittler:innen, Anwält:innen, Journal­ist:innen oder politische Amtsträ­ger:innen. Sollte gar beides zutreffen, dann stachelt das den Hass besonders an: Das zeigt sich etwa an Seda Başay-Yıldız. Sie vertritt Opfer im NSU-Prozess anwaltlich und ist als politisch aktive Frau mit Migrationsgeschichte besonders in den Fokus des NSU 2.0 geraten.

In etlichen Fällen kommen Täter:in­nen ungestraft davon. Ein Grund liege darin, dass Rechtsextreme ganz genau wüssten, wie sie eine strafrechtliche Relevanz ihrer Aussagen vermeiden könnten und der Inhalt dennoch klar und deutlich verstanden werde, teilt Anne Brügmann von der Opferperspektive e.V., einer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Brandenburg, der Jungle World im Gespräch mit. Die Drohungen ergingen sich meist in Andeutungen, die allerdings ebenfalls eine klare Sprache sprächen. Außerdem erstatten die wenigsten Betroffenen eine Anzeige. Dementsprechend muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

2021 befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa deutschlandweit Bürgermeister:innen zu ihren Erfahrungen mit Bedrohungen und Angriffen von rechts. Dies ist eine der wenigen Studien zum Thema. Sie zeigt, dass für viele Kommunalpolitiker:innen Bedrohungen zum traurigen Alltag gehören. 57 Prozent der Befragten geben an, schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden zu sein.

Was aber bedeutet das für die Opfer? »Das kommt sehr drauf an«, sagt Brügmann. Sie kenne Fälle, in denen Betroffene vor allem aus dem bedrohlichen Umfeld fliehen wollen. Bei anderen sei das Gegenteil zu beobachten, sie wollten irgendwie weitermachen und sich eben nicht zurückziehen. »Das habe ich bei den politischen Leuten sehr oft erlebt.« Der Handreichung »Bedroht zu werden, gehört nicht zum Amt« des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und des Bundesverbandes Mobile Beratung (BMB) zufolge hängt die Reaktion der Betroffenen maßgeblich davon ab, wie viel Unterstützung sie durch ihr privates und berufliches Umfeld erhalten.

Viele Betroffene wenden sich nicht aus eigenem Antrieb an die Beratungsstelle. Brügmann berichtet, dass in den meisten Fällen, in denen ihr Verein Betroffene rechtsextremer Drohschreiben berät, entweder die Beratungsstelle auf die Betroffenen zugehe oder die Drohschreiben »Beiwerk aus anderen Beratungsfällen« seien, man also bereits wegen anderer Übergriffe wie körperlicher Gewalt miteinander in Kontakt stehe. »Dass Leute ausschließlich wegen Drohbriefen sich an uns wenden, ist relativ selten.«

Die drei bekanntesten Serien von Drohschreiben der vergangenen Jahre waren die des NSU 2.0, der Nationalsozialistischen Offensive und des Staatsstreichorchesters. In den Drohbriefen der drei Serien nahmen die Verfasser:innen aufeinander Bezug.

»Je nachdem, welche Erfahrungen sie bereits in der Vergangenheit im Umfeld, mit Behörden und Institutionen gemacht haben«, sieht Christiane Löffler der Beratungsstelle Response Hessen bei den Betroffenen »Hemmschwellen bis hin zu Misstrauen, sich mit ihrer Situation an Außenstehende zu wenden«. Sie betont: »Die Kontaktaufnahme mit einer Betroffenenberatungsstelle ist ein durchaus voraussetzungsvoller Schritt und erfordert Ressourcen, die nicht immer vorhanden sind.«

Mit den Bedrohungen bezwecken Rechtsextreme, ihre Opfer einzuschüchtern; sie sollen in »ihrem Sicherheitsgefühl empfindlich gestört werden«, so Löffler. Dies habe »Signalwirkung über Einzelne hinaus«; online wie offline. Dass das effektiv ist, zeigt die Forsa-Studie. Für 30 Prozent der Bürger­meister:innen führt die Angst vor Anfeindungen und Übergriffen dazu, sich zu bestimmten Themen nicht mehr zu äußern; unabhängig davon ob sie bereits selbst im Zusammenhang mit diesen Themen angefeindet worden sind oder nicht. Innerhalb der rechtsextremen Szene würden serielle Drohungen als »Botschaftstaten erkannt und als nachahmenswert beschrieben«, fasst Schwarz in ihrer Studie zum NSU 2.0 zusammen.

Die drei bekanntesten Serien von Drohschreiben der vergangenen Jahre waren die des NSU 2.0, der Nationalsozialistischen Offensive und des Staatsstreichorchesters. In den Drohbriefen der drei Serien nahmen die Verfasser:innen aufeinander Bezug. Schwarz beschreibt, dass hierbei der Eindruck erweckt werden sollte, hinter der Drohschreiben stehe ein größeres Netzwerk. Man agiere zwar unter verschiedenen Namen, verstehe sich aber als Gemeinschaft.