Mit den geplanten Veränderungen am Bürgergeld bricht die Bundesregierung ein Versprechen

Die Würde des Einzelnen ist egal

Die Bundesregierung geht ans Bürgergeld und plant vor allem schärfere Sanktionen.

Wie tönten doch SPD, Grüne und FDP! Ein »Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit« wollten sie bilden. Nur etwa zweieinhalb Jahre nach Unterzeichnung ihres Koalitionsvertrags im Dezember 2021 ist von den vollmundigen Ankündigungen kaum mehr als ein Etikettenschwindel übriggeblieben. Ausgerechnet im Sozialbereich drehen die drei Regierungsparteien das Rad wieder zurück. Das frühere Arbeitslosengeld II, besser bekannt als »Hartz IV«, heißt zwar weiterhin »Bürgergeld«. Aber die Koalition will ihre zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Reform nun wieder zu Lasten der Betroffenen korrigieren.

Union, AfD, BSW und FDP reproduzieren das falsche Stereotyp von den faulen und betrügerischen Arbeitslosen, die der Staat einfach drangsalieren müsse.

Das ist ein zentraler Bestandteil der neuen »Wachstumsinitiative« der Bundesregierung. Ausgehandelt haben sie Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). In dem dazugehörigen 31seitigen Papier findet sich auf den Seiten 15 bis 17 die rot-grüne Kapitulationserklärung vor der anhaltenden Stimmungsmache gegen Bürger­geldempfänger:innen aus den Reihen der Union, der AfD, des BSW und der FDP. Sie reproduzieren das falsche Stereotyp von den faulen und betrügerischen Arbeitslosen, die der Staat einfach drangsalieren müsse.

Konkret plant die Bundesregierung unter anderem, die »Mitwirkungspflichten« von Leistungsbezieher:innen durch eine ausgeweitete Meldepflicht strenger zu fassen und »die Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung« zu verschärfen. Fortan muss man sich demnach monatlich persönlich bei der zuständigen Behörde selbst melden. Unbotmäßige Erwerbslose sollen bei einem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht einheitlich mit einer Kürzung ihres Bürgergelds um 30 Prozent für drei Monate sanktioniert werden. Bisher gilt bei Pflichtverletzungen eine gestaffelte Minderung von zunächst zehn Prozent für einen Monat, dann von 20 Prozent für zwei Monate und in der letzten Stufe von 30 Prozent für drei Monate.

Bis zu drei Stunden Fahrtzeit hinnehmen

Außerdem sollen die Regeln, welche angebotene Arbeit als zumutbar gilt und daher zu akzeptieren ist, gelockert werden. Dabei ist es schon jetzt so, dass grundsätzlich alle Tätigkeiten als zumutbar gelten, deren Ausübung dem oder der Betroffenen möglich ist und die nicht »sittenwidrig« sind. Zukünftig dürfen diese Tätigkeiten allerdings auch noch weiter weg sein. Bis zu drei Stunden Fahrtzeit (hin und zurück) sind künftig hinzunehmen.

Eine weitere Änderung betrifft einen Bereich, der einst die gesellschaftliche Sprengkraft von Hartz IV ausgemacht hat. Das Dramatische an der von der damaligen rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zum 1. Januar 2005 eingeführten Reform war die Transformation der alten Arbeitslosenhilfe von einer Versicherungsleistung zu einem staatlichen Almosen, also die Gleichstellung mit der Sozialhilfe. Somit konnte der Verlust des Arbeitsplatzes bereits nach nur einem Jahr Bezug von Arbeitslosengeld I dazu führen, alles zu verlieren, was man sich möglicherweise über Jahrzehnte aufgebaut hatte. Dass Hartz IV nur die bekommen konnten, die zuvor ihre finanziellen Reserven fast vollständig aufgebraucht hatten, erschütterte und erzürnte insbesondere gut­verdienende Facharbeiter:innen, die traditionelle Klientel der SPD. Denn sie sahen verständlicherweise ihre Lebensleistung bedroht.

Erwerbslose sollen ihr Vermögen aufbrauchen

Dieses Grundproblem hat das Bürgergeld nicht beseitigt, aber immerhin abgemildert. Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah seinerzeit vor, dass es nach Ablauf der Bezugsdauer des Arbeits­losengelds I noch zwei weitere Jahre dauern sollte, bis Erwerbslose ihr Vermögen aufzubrauchen (bis zu 60.000 Euro) haben. In dem im Dezember 2022 beschlossenen Gesetz war bereits nur noch von einem Jahr Karenzzeit die Rede, in der als nicht erheblich eingeschätztes Vermögen (bis zu 40.000 Euro) unangetastet bleibt.

Nun soll diese Karenzzeit auf ein halbes Jahr verringert werden. Um zu vermeiden, dass der Bundeshaushalt »mit dem Leistungsbezug von Personen belastet wird, bei denen grundsätzlich auch zunächst von einer Eigenleistungsfähigkeit ausgegangen werden kann, sollte die Regelung für das Schonvermögen eingeschränkt werden«, heißt es dazu in dem Papier.

Die Bundesregierung kann von Glück sagen, dass die Angst vor Massenarbeitslosigkeit derzeit nicht so groß ist wie noch vor zwei Jahrzehnten. Was übrigens nicht heißt, dass sie nicht dennoch ­berechtigt wäre. Wie auch immer: SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, das alte Hartz IV durch ein »neues Bürgergeld« abzulösen, »damit die Würde des Einzelnen geachtet und gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert wird«. Sie haben ihr Versprechen gebrochen.