Rechte Medien in Ungarn und ihre Herausforderer

Agitprop im Sinne Orbáns

Immer mehr Medien in Ungarn verbreiten rechte Propaganda. Aber es existieren auch wichtige Ausnahmen wie die Tageszeitung »Népszava« und das Online-Medium »Partizán«.

Auf der Liste der »Feindinnen und Feinde der Pressefreiheit« von Reporter ohne Grenzen tauchte 2021 zum ersten Mal ein Regierungsoberhaupt eines EU-Staats auf: Viktor Orbán. Er habe nach seinem Wahlsieg 2010 die ungarischen Medien Schritt für Schritt unter seine Kontrolle gebracht, heißt es in der Begründung. Und tatsächlich kann man dieser Einschätzung der Nichtregierungsorganisation kaum widersprechen.

Als Erstes ging es im neuen sogenannten Regime der nationalen Zusammenarbeit (in Ungarn unter der Abkürzung NER bekannt) den öffentlich-rechtlichen Medien an den Kragen, die von der Regierung unmittelbar beeinflusst werden können, zumal Orbáns Partei Fidesz bei den Parlamentswahlen 2010 eine Zweidrittelmehrheit erreichte, die Verfassungsänderungen möglich machte. Alle bis dahin bestehenden staatlichen Fernseh- und Radiosender und die staatliche ungarische Presseagentur (MIT) wurden in einer einzigen staatlichen Behörde (MTVA) zusammengefasst. Die staatliche Presseagentur darf die staatlichen Medien seitdem exklusiv mit Nachrichten versorgen. Die Behörde leiten Orbán-Getreue aus der Regierungspartei Fidesz, die von ihren Mitarbeitern erwarten, die Fidesz zu unterstützen, wie heimliche Tonaufnahmen bereits vor Jahren gezeigt haben.

Mit der erdrückenden Fidesz-Mehrheit im Parlament etablierte Orbáns Partei nach der Machtübernahme außerdem eine Medienaufsichtsbehörde (NMHH), die unbequemen Radiosendern die Lizenzen entzog, wie jüngst dem Klubrádió, das seither im Internet weitersendet. Auch vor Orbán galten die staatlichen Medien als parteiisch. Im sogenannten Medienkrieg der neunziger und nuller Jahre war es üblich, dass jede neue Regierung auch neue Journalisten in den staatlichen Medien einsetzte. Doch eine so starke Zentralisierung der Macht und eine so eindeutig parteiische Propaganda, die auf die Vorgaben der Regierung abgestimmt ist, haben eine neue Qualität.

Doch nicht nur die staatlichen Medien hat sich das Regime einverleibt. Mit Hilfe befreundeter Oligarchen wie Orbáns Schulfreund Lőrinc Mészáros, dem mittlerweile verstorbenen ungarischen Hollywood-Produzenten Andy Vajna und dem österreichischen Bankier Heinrich Pecina sicherte sich das Regime den Großteil der gedruckten privaten Presseorgane. Nach dem Erwerb übertrugen die drei Genannten ihre Pressetitel einer neu eingerichteten Stiftung mit dem Namen Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung (KESMA). Dieser gehören nicht nur traditionell rechte Tageszeitungen wie die Magyar Nemzet und der rechte Nachrichtensender Hír TV, sondern auch Boulevardblätter und alle lokalen und regionalen Tageszeitungen des Landes.

»Népszava« ist mittlerweile die einzige unabhängige Tageszeitung in Ungarn. Ihr Profil bezeichnet Chefredakteur Németh Péter als »linksliberal«, ihr Ziel sei der Sturz der »sanften Diktatur«.

Wenn man Stil und Inhalt dieser staatlichen und privaten Medien betrachtet, hat man den Eindruck, das ganze Land sei einer Art ungarischer Fox News ausgeliefert. Denn genauso nati­onalistisch und antiliberal wie im US-amerikanischen Kulturkampfsender sind auch hier die Inhalte und so konfrontativ der Stil, wobei die ungarischen Sender noch mehr zu Verschwörungstheorien neigen als Fox News.

Doch den Orbán’schen Medien in Ungarn gelingt es nicht, die ganze Öffentlichkeit zu beherrschen. Dafür sorgen vor allem zwei private Fernsehsender und das Internet. Einer der beiden Privatsender ist der ungarische Ableger von RTL (RTL Klub), der andere Sender, ATV, gehört einer kleinen protestantischen Pfingstgemeinde. Hier können sich vor allem die älteren Zuschauer, die sich im Fernsehen informieren, unabhängige Nachrichten und vor allem auf ATV auch politische Talkshows anschauen, die regimekritisch sind. Beide Sender können ihre Unabhängigkeit wahren, solange die Besitzverhältnisse bleiben, wie sie sind.

Die wahrscheinlich wichtigste Rolle für unabhängige Information spielen aber Nachrichtenseiten im Internet; sie gehören neben einigen von Boulevardmedien zu den meistbesuchten Websites. Von diesen Seiten sind die meisten, wenngleich nicht alle, regimeunabhängig.
Auch bei den Printmedien gibt es einige wenige unabhängige. Zu diesen gehört die älteste noch erscheinende Tageszeitung Ungarns, Népszava (Volksstimme), die eine wahre Überlebenskünstlerin ist. Das Blatt blickt auf eine fast 150jährige Geschichte zurück. Als es gegründet wurde, regierte noch Franz Joseph I. als Apostolischer König von Ungarn. Die Zeitung sollte helfen, die sich gerade gründende Arbeiterbewegung des Landes zu organisieren, und es gelang ihr auch, in der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu überleben. In Miklós Horthys völkisch-autoritärem System ab 1920 konnte sie als Zeitung der Sozialdemokratischen Partei erscheinen, im Staatssozialismus wurde sie zum Gewerkschaftsblatt und damit zum Transmissionsriemen der kommunistischen Einparteienherrschaft.

Nachdem die linke Népszabadság (Volksfreiheit) 2016 von dem der Fidesz nahestehenden österreichischen Bankier Pecina überraschend gekauft und sofort eingestellt wurde, ist Népszava die einzige unabhängige Tageszeitung und gehört nun einem ungarischen Herausgeber. Ihr Profil bezeichnet Chefredakteur Péter Németh im Gespräch mit der Jungle World als »linksliberal«, und ihr Ziel sei es, die heute in Ungarn herrschende Ideologie und die »sanfte Diktatur« zu stürzen.

Németh bestätigt die vielfach berichteten Probleme, die das Medienregime unabhängigem Journalismus bereitet, und ergänzt, dass es kaum möglich sei, Informationen von der Regierung zu erhalten. Das Regime fasse seine Beschlüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Journalisten würden auf diese Weise erheblich in ihrer Arbeit behindert. Németh hofft, dass die Zeitung auch weiterhin in gedruckter Form erscheinen kann, doch Online-Alternativen habe man bereits aufgebaut, inklusive einer neuen App. Schließlich griffen vor allem ältere Leser zur Papierausgabe, während die jüngeren die digitalen Ausgaben nutzten.

Von der Népszava unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht das Online-Medium Partizán, die »regime- und kapitalismuskritische Online-Medienwerkstatt« und der »größte Video-Channel für das öffentliche Leben«, wie der Gründer Márton Gulyás Partizán gegenüber der Jungle World charakterisiert; das Medium spreche vor allem Leser zwischen 18 und 35 Jahren an. Auch er beklagt, dass das Orbán-Regime der Öffentlichkeit Informationen vorenthalte und darüber hinaus die Regulierung der Medien in seinem Sinne vornehme. Im Interview betont er ausdrücklich, dass man das Orbán-Regime immer auch im Zusammenhang mit der deutschen Politik analysieren müsse. Denn zum einen finanzierten die deutschen Steuerzahler Orbáns Politik mit ihren EU-Beiträgen und zum anderen mache die ungarische Regierung »die Drecksarbeit« für die Deutschen, wenn sie zum Beispiel die Grenzen für Flüchtlinge schließe.

Gulyás hat Partizán zu einem wichtigen Medium für Ungarn gemacht, die Orbán kritisch sehen. Mit seinen jungen Lesern repräsentiert Partizán wahrscheinlich die Zukunft der unabhängigen Medien.

Ein rechtes Pendant zu Partizán gibt es bislang nicht. Doch offensichtlich hat Fidesz das Potential des Internets erkannt und zumindest bei Nachrichtenseiten schon zugeschlagen. Das größte Informationsportal Index.hu hat ein der Partei nahestehender Medienunternehmer gekauft. Wenn man bedenkt, dass sich immer mehr Ungarn im Internet informieren, werden Orbán und seine Leute in Zukunft sicherlich nichts unversucht lassen, um auch hier ein Meinungsmonopol aufzubauen.