Antizionisten haben in Berlin eine Veranstaltung über Israel gestört

Die Meinung des anderen

Vorige Woche gab es in einer Programm-Kneipe in Berlin-Neukölln eine Podiumsdiskussion zum »Mythos #Israel 1948«. Wie erwartet wurde die Veranstaltung gestört.

Ohne Sicherheitsmaßnahmen geht mittlerweile nichts mehr – zumindest, wenn man im Berliner Bezirk Neukölln zu einer Veranstaltung über die Staatsgründung Israels laden möchte. Zu dieser traurigen Einsicht musste kommen, wer am Mittwoch vergangener Woche eine Podiumsdiskussion in der Neuköllner Kneipe »Bajszel« besuchte. Dort stellte der junge Bildungsverein Masiyot den 80 Besucherinnen und Besuchern seine Broschüre »Mythos #Israel 1948« vor.

Die Textsammlung wurde von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung und der Organisation Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) gefördert. Ihr Ziel ist, anhand von fünf kurzen Beiträgen die geläufigsten Gerüchte zu widerlegen, die sich um die Entstehung des jüdischen Staats ranken – zum Beispiel, dass Israel ein »kolonialistisches Projekt« und »Produkt des westlichen Imperialismus« sei. Auf dem von der Berliner Landeszentrale finanzierten Podium saßen neben einem Mitglied von Masiyot die Integrationsbeauftragte des Bezirks Neukölln, Güner Balcı, ­sowie zwei Verfasser von Texten der Broschüre, Michael Spaney und Alexander Carstiuc – Letzterer ist einer der Betreiber des Bajszel.

Schon eine Woche vorher hatte der antizionistische Aktivist Yossi Bartal im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) geschrieben, dass die Veranstaltung »Palästinenser:innen dämonisieren« solle. Die Veranstalter waren also nicht überrascht, dass sie und die Security sich im Laufe des Abends immer wieder mit Störungen aus dem Publikum auseinandersetzen mussten. Bereits die Bitte, von der Veranstaltung keine Aufnahmen anzu­fertigen, löste gleich zu Anfang Unruhe aus. Auf die Kritik eines Besuchers, dass dies eine öffentliche Veranstaltung sei und man filmen dürfe, entgegnete Alexander Carstiuc, dass es um die »Sicherheit« der anwesenden Menschen gehe und die Betreiber des »Bajszel« zu ­deren Schutz ihr Hausrecht ausüben würden.

Schon eine Woche vor der Veranstaltung hatte der anti­zionistische Aktivist Yossi Bartal geschrieben, dass diese »Palästinens­er:innen dämonisieren« solle.

Einen Eklat gab es schließlich nach dem Referat von Michael Spaney. Der Geschäftsführer des MFFB hatte als Mythos bezeichnet, dass Israel auf gestohlenem palästinensischem Land ­errichtet worden sei. Plötzlich schrie ein sich als jüdisch identifizierender Teilnehmer lautstark auf Englisch Parolen wie »Propaganda«, »Ihr seid die Antisemiten« und »Ihr hasst Araber«. Israel töte jeden Tag Kinder, das wisse er, weil er selbst Soldat der israelischen Armee gewesen sei.

Der Mann war ­äußerst erregt und hörte nicht auf zu schreien. Das übrige Publikum blieb weitgehend ruhig sitzen. Vom Podium wurde gegen den Mann schließlich ­unter Berufung auf das Hausrecht ein Hausverbot ausgesprochen. Er verließ unter Begleitung der Security den Raum, andere schlossen sich ihm freiwillig an.

Außerhalb des Veranstaltungssaals, im Eingangsbereich der Bar, kam es dann offenbar zu einem Handgemenge. In einer gemeinsamen Erklärung behaupteten verschiedene antizionistische Gruppen wie Nakba 75, Palästina Spricht und Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, dass der herausgeworfene Teilnehmer im Eingangsbereich der Bar »zu Boden geschlagen wurde« und ihm »mehrere Rippen gebrochen« worden seien. In den sozialen Medien wurde das später dahingehend korrigiert, es sei nur eine gebrochene Rippe gewesen. Außerdem sei der Mann, bevor er den Saal verließ, beschimpft worden: »›Du armer Jude!‹ und ›Shut up‹ grölte es aus dem ›antisemitismuskritischen‹ Publikum.«

Auf einem Video, das den Vorgang zeigt und der Redaktion vorliegt, hört man jemandem aus dem Publikum »Shut up« sagen, der Ausruf »Du armer Jude!« ist jedoch nicht zu hören. Der Verein Masiyot wies die Darstellung in einer eigenen Erklärung zurück. Auslöser des Vorfalls im Saal sei ge­wesen, dass die Security den jungen Mann gebeten habe, keine weiteren Aufnahmen der Veranstaltung zu machen, und ihm mitgeteilt habe, die Aufnahmen müssten gelöscht werden.

Daraufhin habe der junge Mann herumgeschrien, woraufhin ihm das Hausverbot erteilt wurde. Der junge Mann sei dann »in den Räumlich­keiten des Bajszel im Folgenden weiterhin aggressiv und ausfällig« gewesen und habe sich geweigert, »die Handyaufnahme zu löschen«. Daraufhin »wurde er kurzfristig von der Polizei festgenommen, um die illegale Aufzeichnung zu sichern und die Personalien festzustellen«. Den Polizeieinsatz außerhalb der Bar »und seine Folgen können wir nicht beurteilen«. Die übrigen »vom Betreffenden verbreiteten Aussagen« werte man jedoch »als bewusste Fehlinformationen in denun­ziatorischer Absicht«.

Im Saal selbst bekam man davon nichts mit, dort ging die Veranstaltung weiter. Der Zwischenfall stimmte die ­Integrationsbeauftragte nachdenklich. In ihrem Redebeitrag bedauerte Balcı: »Wir sind erwachsene Menschen und können nicht miteinander streiten.« Sie selbst sei mit palästinensischen Menschen aufgewachsen: »Das sind Geschichten von Leid und Entbehrung und diese Menschen haben ein Anrecht darauf, diese Geschichten auch für andere wahrnehmbar zu machen.«

Nachdem die Veranstaltung für Fragen des Publikums geöffnet wurde, meldete sich ein Teilnehmer, der sich selbst als jüdisch bezeichnete. In seiner Wortmeldung suggerierte er, die Leute auf dem Podium – die er als nichtjüdisch wahrnahm – hätten die Störer her­auswerfen lassen, weil diese jüdisch seien. Dann fragte er, wie viele Podiumsteilnehmer »die Betroffenenperspek­tive repräsentieren« würden. Balcı antwortete, das sei ein »völlig legitimer Einwand«. Der identitätspolitischen Implikation des Einwands hielt sie jedoch entgegen: »In der Demokratie hat jeder das Recht, über alles zu reden – aber er muss auch die Meinung des ­anderen ertragen, selbst wenn er die schlecht findet.« Nach der Diskussion lud Masiyot zum Besuch des Büchertischs ein. Die spürbare Anspannung der Veranstalter begann sich zu lösen.