Die gar nicht so unsichtbare Front
Wien. Eine beliebte österreichische Krimi-Romanserie beginnt immer mit den Worten »Jetzt ist schon wieder was passiert«. Etwas Ähnliches könnte man über ein Dossier mit Informationen über russische Geheimdienstaktivitäten in Österreich sagen, dessen Inhalt die Wiener Wochenzeitung Falter vergangene Woche öffentlich gemacht hat.
Das Papier trägt den Titel »Kämpfer an der unsichtbaren Front«. Es stamme, so die Wochenzeitung, von »Kennern der russischen diplomatischen Szene in Wien«, die nach dem Tod des Oppositionspolitikers Aleksej Nawalnyj genug von der derzeitigen Situation gehabt hätten.
Dass russische Geheimdienste in der österreichischen Hauptstadt sehr aktiv sind, ist nichts Neues. Die zahlreichen dort ansässigen internationalen Organisationen bieten Deckung für Spione, die laxen Gesetze und schwache Strukturen der Spionageabwehr machen Wien für ausländische Agenten attraktiv. In einem Artikel der Financial Times im Sommer 2023 bemerkte ein nicht namentlich genannter westlicher Diplomat dazu, es sei »fast schon komisch, womit man hier durchkommen kann«.
Weil andere westliche Dienste dem österreichischen schon Ende des vergangenen Jahrzehnts nicht mehr trauten, wurde die Behörde umbenannt in Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) – ob sich mehr als nur der Name geändert hat, ist fraglich.
Das im Falter veröffentlichte Papier zeigt, wie beharrlich russische Dienste österreichische Parteiapparate und den Verfassungsschutz unterwanderten; auch der ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek machte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus (BVT) zunutze. Weil andere westliche Dienste dem österreichischen schon Ende des vergangenen Jahrzehnts nicht mehr trauten, wurde die Behörde umbenannt in Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) – ob sich mehr als nur der Name geändert hat, ist fraglich.
Im Zentrum der Angelegenheit aber stehen – wie bei diesem Thema oft – die Aktivitäten der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Die Partei schloss 2016 mit der russischen Regierungspartei Einiges Russland einen Kooperationsvertrag ab. Dieses Abkommen, so das Dossier, sei auf russischer Seite mit der Absicht geschlossen worden, mit Hilfe der FPÖ gegen die nach der Annexion der Krim verhängten EU-Sanktionen vorzugehen. Der damalige Parteiobmann Heinz-Christian Strache brüstete sich schon in dem berüchtigten »Ibiza-Video« damit, dass er mit Maksim Schewtschenko, einem Berater Putins, an einer Strategie für weitere Kooperation gearbeitet habe.
Das Papier nennt aber noch weitere Kontaktleute innerhalb der FPÖ, von denen einige aus dem Landesverband Oberösterreich kommen. Neben Manfred Haimbuchner, dem Landeshauptmannstellvertreter, geht es besonders um Detlef Wimmer, ehemaliger Vizebürgermeister von Linz. Dieser reiste nach der Annexion auf die Krim und traf sich mit Vertretern des Okkupationsregimes.
Das Dossier hebt außerdem die Rolle des ehemaligen FPÖ-Innenministers und heutigen Parteiobmanns Herbert Kickl hervor. Dieser habe 2018 mit der russischen Seite, offiziell im Rahmen besserer Zusammenarbeit im Katastrophenschutz, über die Möglichkeiten »einer sicheren Kommunikation jenseits der Diplomatenpost« verhandelt. Im Außenministerium, das damals die von der FPÖ nominierte Karin Kneissl geführt wurde, die heute in Russland lebt, habe es Pläne für den Aufbau eines hauseigenen Geheimdienstes gegeben. Federführend sei dabei Egisto Ott gewesen, ein ehemaliger Verfassungsschützer, der gemeinsam mit Martin Weiss, dem ehemaligen Leiter der Spionageabwehr in Österreich, in die Affäre um Jan Marsalek verstrickt ist. Beide hatten Kontakt zu Marsalek und sollen ihm bei seiner Flucht über Belarus nach Russland im Jahr 2020 geholfen haben.
Die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stellt jetzt die FPÖ und ihren Parteiobmann Kickl wegen ihrer Verbindungen nach Russland als Gefahr für Österreich hin, versucht aber gleichzeitig, sich die FPÖ als möglichen Koalitionspartner warmzuhalten.
Außerdem beschreibt das Papier, wie »Journalisten, Künstler und russische Dissidenten« in Wien ausgespäht werden. Ein prominentes Beispiel ist der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev, der bei Bellingcat unter anderem daran mitwirkte, die Täter des Giftanschlags auf Aleksej Nawalnyj zu identifizieren. Vor einem Jahr musste er Österreich verlassen, weil die Behörden seine Sicherheit nicht mehr garantieren konnten. Auch hier spielten die Marsalek-Kontaktleute Ott und Weiss eine Rolle: Sie besorgten 2020 für Marsalek Grozevs Adresse und ließen offenbar Fotos von dessen Wohnhaus machen.
Vergangene Woche wies Österreich zwei russische Diplomaten aus. Ein Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Falters liegt nahe. Und auch innenpolitisch könnte das Dossier Sprengstoff bergen. Die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stellt jetzt die FPÖ und ihren Parteiobmann Kickl wegen ihrer Verbindungen nach Russland als Gefahr für Österreich hin, versucht aber gleichzeitig, sich die FPÖ als möglichen Koalitionspartner warmzuhalten. Diese an sich schon widersprüchliche Strategie könnte durch die Nennung von Haimbuchner und Wimmer in dem Dossier noch vertrackter werden, ist es doch gerade die oberösterreichische FPÖ, die von der ÖVP als vermeintlich moderaterer Teil der Partei gegen Kickl in Stellung gebracht werden soll. In Oberösterreich bilden beide Parteien die Regierungskoalition.
Erste Reaktionen der ÖVP lassen aber vermuten, dass diese Widersprüche auf ganz österreichische Art »net amoi ignoriert« werden. Denn in verschiedener Gewichtung sind Antiamerikanismus, wirtschaftliche Interessen und eine romantisierte Vorstellung der österreichischen Neutralität in fast allen Parteien vorhanden, weshalb es einen Konsens gibt, keine entschiedenen Schritte gegen Russland zu unternehmen.