Interview

1999/29 Hans-Georg Wiek

»Keine Union zwischen Moskau und Minsk«

In dieser Woche endet eigentlich die fünfjährige Amtszeit des belorussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko. Doch den läßt das kalt: Zumindest bis zu den nächsten Präsidentenwahlen im Jahr 2001 möchte er - ausgestattet mit autoritären Vollmachten - weiterregieren. Bislang hat es die Opposition in Minsk nicht geschafft, das Regime des als unberechenbar geltenden Autokraten ins Wanken zu bringen. Das hat auch damit zu tun, daß die wenigen oppositionellen Zeitungen schon bei der leisesten Kritik am Machthaber geschlossen werden können. Weil die belorussische Bevölkerung also die Existenz der Opposition kaum wahrgenommen hat, unterstützt sie den Präsidenten fast bedingungslos: Mehr als 60 Prozent der Belorussen vertrauen dem Landesvater, gleichzeitig glauben aber nur 27 Prozent, daß Belorußland eine Demokratie sei.

In letzter Zeit begibt sich Lukaschenko verstärkt auf Jobsuche: Gemeinsam mit Rußland möchte Belorußland eine Union bilden, und der Präsident in Minsk hat schon seinen Anspruch auf den Posten des Unionspräsidenten angemeldet. Allerdings gibt es noch einen zweiten Bewerber für diesen Job: Auch Rußlands Präsident Boris Jelzin versucht einen Pensionsschock nach dem Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2000 durch die Übernahme des Postens in der noch nicht verwirklichten Union zu vermeiden. Vom 14. bis 19. Juli besuchte eine Parlamentarierdelegation der OSZE die belorussische Hauptstadt Minsk und konnte angeblich Lukaschenko dazu überreden, die straffen Zügel zu lockern.

Hans-Georg Wiek ist Botschafter der OSZE in Minsk.

1999/28 Shira Anski und Jossi Berkovich

»Ich kannte Nazis nur aus dem Fernsehen«

Zwölf israelische Journalistinnen und Journalisten sind zehn Tage durch Deutschland gereist. Einen Tag verbrachten sie in der südbrandenburgischen Kleinstadt Greifenhain, um in der dortigen Kirche an einer Diskussion über den "Braunen Alltag in Brandenburg" teilzunehmen. Geladen waren auch Neonazis aus der Region, die in dem rechten Terror an Schulen und auf der Straße nur Alkoholdelikte erkennen mochten.

Doch so richtig los ging es erst nach der Diskussionsveranstaltung. Vor der Kirche wurden die Israelis - mehrere von ihnen haben Eltern oder Großeltern in deutschen Vernichtungslagern verloren - von weiteren Neonazis erwartet. Diese fingen auch gleich mit den ortsüblichen Gesprächen an: "Woher kommt denn die Frage mit den sechs Millionen Juden? Die wurde doch von den Juden selbst aufgestellt. Weil sie Kohle einsacken wollen." "Das Mahnmal, das sie da in Berlin bauen wollen, das ist ein Lacher für mich. Ich möchte mal sehen, daß in Israel ein Mahnmal für die Palästinenser steht." Zum Abschied folgte eine Hitlerrede, die aus dem Lautsprecher eines Autos über den Kirchplatz ausgestrahlt wurde.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt zwar, aber, wie eine Sprecherin mitteilte, "gegen Unbekannt, da wir bislang nur die Vornamen der Jugendlichen kennen". Die Autonummern hatte sich keiner der anwesenden Polizisten notiert.

Shira Anski (22) arbeitet als Redakteurin bei dem privaten israelischen Fernsehsender Channel 2; Jossi Berkovich (33) ist Lehrer an der Journalistenschule Koteret in Tel Aviv.

1999/27 Wolfgang Petritsch

»Walker war ein Cowboy«

Wolfgang Petritsch ist österreichischer Botschafter in Belgrad und seit Oktober letzten Jahres EU-Sondergesandter für das Kosovo. Der Sozialdemokrat wurde am vorvergangenen Dienstag von den Staats- und Regierungschefs der EU als neuer Hoher Repräsentant für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina nominiert. Petritsch wird damit den Spanier Carlos Westendorp ablösen.

1999/26 Ingeborg Maus

»Der 'Genozid' ist ein Kampfbegriff der Nato«

Ingeborg Maus ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main. Sie hat verschiedene Bücher und Aufsätze zu ideengeschichtlichen und demokratietheoretischen Themen publiziert, zuletzt den Aufsatz "Volkssouveränität und das Prinzip der Nichtintervention in der Friedensphilosophie Immanuel Kants", in Hauke Brunkhorst (Hg.), "Einmischung erwünscht?", Frankfurt a. M. 1998.

1999/25 Malik Gouendoul

»Ich suche keine Rache«

Im Februar dieses Jahres wurde Maliks Bruder Farid, der sich in Deutschland Omar ben Noui nannte, im brandenburgischen Guben von einer Gruppe rechtsextremer und rassistischer Jugendlicher in den Tod gehetzt. Als jetzt vor drei Wochen der Prozeß gegen die elf mutmaßlichen Täter begann, ist Malik Gouendoul, der älteste Bruder von Farids neun Geschwistern, aus Algier nach Deutschland gereist. Zehn Tage lang blieb der 39jährige Bankangestellte hier und besuchte den Prozeß vor dem Cottbusser Landgericht.

1999/24 Norman Paech

»Unheilbar rechtsstaatswidrig«

Norman Paech, Völkerrechts-Professor an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, ist Berater der Anwälte und Beobachter im Öcalan-Prozeß. Zusammen mit prominenten Vertretern der internationalen Initiative "Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan", der u.a. auch die Witwe des ehemaligen französischen Staatspräsidenten, Danielle Mitterrand, sowie der israelische Schriftsteller Uri Avneri angehören, fordert Paech ein rechtsstaatliches Verfahren gegen den inhaftierten PKK-Chef vor einem internationalen Gerichtshof.

1999/23 Johannes Agnoli

»Die Europa-Wahlen sind Scheinwahlen«

Johannes Agnoli ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und lebt in Italien. 1967 veröffentlichte er zusammen mit dem Psychologen Peter Brückner "Die Transformation der Demokratie" - eine fulminante Kritik der Institutionen des bürgerlichen Staates, die die außerparlamentarische Opposition nachhaltig prägte.

1999/22 Rudolf Schuster

»Meciar muß vor ein Gericht«

Seit vergangenem Samstag ist der 68jährige Rudolf Schuster slowakischer Staatspräsident. Mit der Wahl des SOP-Politikers (Partei der bürgerlichen Einheit) endet auch eine Periode recht seltsamer politischer Verhältnisse in der Slowakei: Seit dort im März 1998 Michal Kovac als Präsident abtrat, verfügte das Land nämlich über kein Staatsoberhaupt mehr. Das ist nun wieder anders: Schuster gewann mit 57 Prozent der Stimmen gegen seinen Herausforderer Vladimir Meciar. Im Land zwischen Donau und Tatra war Schuster zunächst Bürgermeister der ostslowakischen Metropole Kosice, wo er sich den Ruf eines effizienten Stadt-Managers erwarb.

1999/21 Ignatz Bubis

»Auschwitz als Entschuldigung«

Außenminister Joseph Fischer meint, in der serbische Spezialpolizei "gewissermaßen die SS" wiederentdeckt zu haben, Verteidigungsminister Rudolf Scharping spricht von "Selektionen" und "Konzentrationslagern" im Kosovo: Nicht erst seit Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien stehen die rot-grünen Minister in vorderster Front, um dem Krieg gegen das Jugoslawien von Präsident Slobodan Milosevic die passende moralische Legitimation zu erteilen. Dazu scheint ihnen auch jede Analogie zum Nationalsozialismus recht.

Ignatz Bubis ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

1999/20 Benjamin Mikfeld

»Die Linken handeln ohne Konzept«

Mit einem kleinen Eklat nahm Benjamin Mikfeld vor anderthalb Wochen sein Amt als neu gewählter Juso-Vorsitzender auf: Seinen Amtsvorgänger Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete der neue Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation als "Rechtsaußen", der in der SPD "die Kapitänsbinde an sich gezogen" habe. Damit verband der 26jährige Student der Sozialwissenschaften aus Bochum die Ankündigung, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit diese sich für ein Ende des Krieges gegen Jugoslawien stark macht. So setzte er eine Resolution des Juso-Kongresses um, in dem dieser - anders als der grüne Koalitionspartner am vergangenen Wochenende - eine sofortige unbedingte Einstellung des Nato-Bombardements, den Abzug aller deutschen Soldaten aus Mazedonien und das Ende der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien gefordert hatte. Auch bei den Jusos sind solche Positionen nicht unumstritten: Mikfeld erhielt die Quittung in Form einer äußerst knappen Mehrheit von nur 50,9 Prozent der Stimmen; 43,6 Prozent der Delegierten stimmten gegen ihn, obwohl es noch nicht einmal einen Gegenkandidaten gab.