Der Unionspolitiker Thorsten Frei will das individuelle Recht auf Asyl ­abschaffen

Die CDU ist so frei

Die Union scheint derzeit eine Entwicklung nach rechts durchzumachen, wie sie zahlreiche konservative Parteien in anderen Ländern bereits vollzogen haben. Ein Beispiel dafür ist die Forderung, das individuelle Asylrecht abzuschaffen.
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Wer will noch mal, wer hat noch nicht, scheint derzeit innerhalb der Führungsriege der CDU das Motto zu lauten, wenn es darum geht, extrem rechte Positionen einzunehmen. Vergangene Woche war Thorsten Frei an der Reihe. der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Union. Er forderte in einem Gastbeitrag in der FAZ ein Ende des individuellen Rechts, Asyl in den Ländern der EU zu beantragen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz lobte Freis Forderung, sie sei »ein wichtiger und guter Beitrag, um ein Problem zu lösen, das wir seit Jahren sehen«.

»Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine Institutsgarantie werden«, schrieb Frei. »Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen.« Das derzeitige Asylrecht gründe auf einer »Lüge«: »Wir gestalten unser Asylrecht als Individualrecht aus und sind zugleich nicht bereit, den Anspruch in unbegrenztem Umfang einzulösen, der daraus resultiert.« Zudem führe das bestehende Asylrecht zu einer »zutiefst inhumanen Auswahl«, denn es sei »chancenlos«, jemals in Europa anzukommen, »wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist«. Frauen und ­Kinder seien »von unserem ›humanen‹ Recht oft faktisch ausgeschlossen«.

Dass Letzteres nicht falsch ist, macht Freis Vorschlag keineswegs richtig, denn seine sehr spezielle Logik lautet: Gerecht sei es, das Asylrecht für alle abzuschaffen, damit nicht nur bestimmte Gruppen von ihm ausgeschlossen sind. Weil Frei freilich kein Unmensch sein will, schlägt er vor, dass die EU »jährlich ein Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland« aufnehmen und auf die aufnahmewilligen Staaten verteilen solle.

Die öffentliche Debatte über dieses Thema funktioniert bereits seit Monaten als Überbietungswettbewerb. Die von der Bundesregierung in der EU forcierte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die vorsieht, Asylverfahren in Lagern an den Außengrenzen der EU durchzuführen, geht der CDU offensichtlich nicht weit genug. Frei schrieb, von ihr sei »nur wenig zu erhoffen, da sie das grundlegende Problem nicht angeht«.

Dass Leute wie Frei, Kretschmer und Spahn für ihre menschenfeindlichen Vorstöße in Anspruch nehmen, durch diese würde »Rechtspopulisten der Boden entzogen« (Frei), wäre nachgerade lächerlich, wenn es nicht so bitterernst wäre.

Bereits im Mai sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU): »Die Höhe von Sozialleistungen für Flüchtlinge« sei »für Deutschland ein klarer Pull-Faktor«, also mit der Hauptgrund, warum Geflüchtete nach Deutschland kämen. Damit griff Kretschmer den Vorwurf des »Sozialtourismus« wieder auf, den der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Herbst vergangenen Jahres ­Geflüchteten aus der Ukraine gemacht hatte. Dabei beträgt der monatliche Regelsatz für Alleinstehende nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur 410 Euro und liegt somit mehr als 22 Prozent unter dem Regelsatz des »Bürgergelds«, wie Hartz IV seit Anfang des ­Jahres heißt, dessen Sätze aufgrund der hohen Inflation nicht einmal annähernd das Existenzminimum decken.

Auch Kretschmer hatte in diesem Zusammenhang eine Reform des Asylrechts gefordert, die auch eine Änderung des Grundgesetzes beinhalten könne. Konkreter wurde er nicht, doch vermutlich schwebte auch ihm eine weitere Einschränkung oder gar Abschaffung des Asylrechts vor. Und genau das ist offensichtlich das Ziel dieser Kampagne der CDU. Schon im Mai sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jens Spahn im ZDF: »Vielleicht müssen wir tatsächlich mal darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention so noch funktionieren.«

Wenn die Menschenrechte nicht mehr für Geflüchtete gelten, dann ist ihr Universalismus passé – und letztlich kann sich niemand mehr auf sie berufen. Dass Leute wie Frei, Kretschmer und Spahn für ihre menschenfeindlichen Vorstöße in Anspruch nehmen, durch diese würde »Rechtspopulisten der Boden entzogen« (Frei), wäre nachgerade lächerlich, wenn es nicht so bitterernst wäre.

Das Gegenteil ist der Fall: Sie bereiten den Boden für eine weitere Verhärtung derer, die jetzt schon die Augen vor dem Leid und dem Sterben an den europäischen Außengrenzen verschließen, und in der Konsequenz für einen Antihumanismus mit vermeintlich reinem Gewissen. Die Geschwindigkeit der nachholenden Entwicklung, mit der die CDU derzeit die zivilisatorischen Mindeststandards der Ära Angela Merkel verwirft und sich den konservativen Parteien anderer Länder angleicht, ist geradezu schwindelerregend.