Moustafa Ayad, Forscher, im Gespräch über islamistische und rechtsextreme Internet-Memes

»Man beobachtet sich und lernt voneinander«

Das Internet ist voller rechtsextremer und islamistischer Propaganda. Auffällig oft verwenden Islamisten dabei Meme-Formate aus rechts­extremen Internetsubkulturen, während Neonazis islamistische Terrorgruppen feiern. Ein Gespräch mit dem Extremismusexperten Moustafa Ayad über die Aneignung von Neonazi-Ästhetik durch Islamisten und wechselseitige Respektbekundungen beider Milieus.
Interview Von

Welches bemerkenswerte islamistische Meme ist Ihnen zuletzt im Gedächtnis geblieben?
Das eindrucksvollste Meme war eines in sogenannter Fashwave-Ästhetik. Das ist ein futuristischer Retrostil, der Ähnlichkeit mit Cyberpunk-Ästhetik hat. Das Meme zeigte Kämpfer des Islamischen Staats (IS), die Raketen in einen pinken Himmel schießen, auf dem in einem Neonschriftzug im Stil der achtziger Jahre »baqiya« geschrieben stand. »Baqiya wa tatamadad« bedeutet so viel wie »Bestehen und Expandieren« und ist der Wahlspruch des IS. Fashwave, eine rechtsextreme Aneignung der Vaporwave-Musik und -Ästhetik, wird viel von rechtsextremen und Alt-Right-Influencern genutzt.

Was macht insbesondere rechts­extreme Memes für Islamisten so attraktiv?
In den Memes drücken sich Ideen aus, die sowohl für Rechtsextremisten als auch für Islamisten identitätsstiftend sind, etwa die Faszination für die Idee vom Niedergang des angeblich degenerierten Westens. Wegen dessen Niedergang wird jeweils die Wiederbelebung von Tradition starkgemacht, auch wenn es unterschiedliche Traditionen sind: bei den einen eine ideale weiße Gesellschaft, bei den andern ein vermeintlich wahrer und unverfälschter Islam. Gemeinsam hat man außerdem viele Feindbilder, etwa die Abscheu vor LGBT-Personen oder vor der Demokratie mit ihren menschengemachten Gesetzen sowie ihren Rechten für Individuen und Minderheiten.

Von Taliban gepostetes Meme

»Die Taliban wurden für eine kurze Zeit von breiten Teilen der rechtsextremen und islamistischen Szene gemeinsam gefeiert, weil sie den westlichen Imperialismus und die westliche Degeneration bekämpften.« Von Taliban gepostetes Meme

Bild:
Screenshot

So sind immer wieder Mitglieder beider Lager voneinander inspiriert. Beispielsweise wurde in den USA ein junger Islamist festgenommen, der Videomontagen zu Ehren von Dylann Roof angefertigt hatte, also für den rassistischen Attentäter, der 2015 neun Schwarze in einer Kirche in Charleston, South Carolina, erschossen hatte. Dass Islamisten sich für solche Taten begeistern können, erscheint zunächst seltsam, aber auch hier geht es darum, Angst und Schrecken im Namen einer Ideologie zu verbreiten.

Neueste Hypes und ästhetische Trends im Internet werden also genutzt, um für eine Rückkehr zur Tradition zu werben?
So hat sich das Internet nun mal entwickelt und dabei Grenzen eingerissen. Man erreicht mit Memes ein viel größeres Publikum als mit langen Texten und Argumenten, insbesondere junge Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind. »Content is king«, das Internet basiert auf massenhaft weiterverbreiteten Inhalten, und wenn man herausfinden will, welche Inhalte funktionieren und Menschen dazu bringen, sich mit bestimmten Ideen auseinanderzusetzen, muss man mit verschiedenen Stilen experimentieren.

Die oft im Comicstil gehaltenen Memes erlauben es auch, zu behaupten, man habe es ja gar nicht so gemeint.
Ja, Sarkasmus und angebliche Ironie sind effektive Abwehrmittel: »Ich rufe ja gar nicht zu Terrorismus auf, aber der Islamische Staat sieht schon krass aus, wenn er Leute umbringt.«

Gibt es einen Konflikt zwischen jungen, internetaffinen Islamisten und einer älteren Generation, die Instagram etwa wegen der unislamischen Inhalte ablehnt?
Es gibt keine Konflikte über die Nutzung von Plattformen an sich. Beispielsweise hat der IS immer schon auch neuere Technologien und Plattformen wie Tiktok adaptiert, seine Anhänger waren überall von Anfang an dabei. Aber die Generationen unterscheiden sich, was Ausdrucksformen und Ästhetik angeht. Mit Memes wurde zwar schon früh gespielt, aber heute werden sie viel mehr verwendet und besser gestaltet. Das hat sich bei einem Ereignis wie der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gezeigt. Die Taliban nutzen sehr intensiv westliche Meme-Formate, darunter auch viele aus rechtsextremen Internetforen wie Kiwi Farms.

Werden von Islamisten nur westliche Memes adaptiert oder erfinden sie auch eigene Formate?
Hauptsächlich wird die sogenannte Chan-Kultur, also die Bildsprache von Foren wie 4Chan und Reddit, übernommen und islamisch abgewandelt. Das lässt sich quer durch alle islamis­tischen Strömungen beobachten, etwa auch bei Anhängern von vom Iran ­unterstützten schiitischen Gruppen wie der Hizbollah. Es gibt auch eine Subkultur von islamistischen weebs, von Fans japanischer Popkultur wie Anime, die das mit islamistischen Inhalten vermischen. Junge Islamisten bedienen sich also bei unterschiedlichsten Internet-Subkulturen. Unser Institut dokumentiert das zwar erst seit 2020, aber es begann schon 2016 im Zuge der damaligen US-Präsidentenwahl. Damals verbreiteten sich diese Chan-Kultur und rechtsextreme Alt-Right-Memes weltweit in unterschiedlichsten Kreisen, man entdeckte die Kraft der »memetischen Kriegsführung«.

Was will man mit dem Posten von Memes erreichen?
Die Motivation ist unterschiedlich. Überzeugte Islamisten, die an die Propagandabotschaften glauben, wollen diese mit Hilfe angeeigneter Ästhetik verbreiten. Es gibt aber auch sogenannte Edgelords, die einfach nur von extremen und grenzüberschreitenden Inhalten besessen sind. Und dann gibt es noch Leute, die nicht nur ästhetische Stile, sondern auch Ideen vermischen und an einen nationalsozialistischen Islam glauben, auch wenn diese Mischung keinen Sinn ergibt. Sie beziehen sich auf muslimische Unterstützer des historischen Nationalsozialismus, beispielsweise die überwiegend bos­nische SS-Division Handschar. Die soll als Beleg dafür dienen, dass die Nazis muslimische Kämpfer respektierten. Andere, auf die oft Bezug genommen wird, weil sie eine gelungene Konvergenz von Islam und Rechtsextremismus repräsentieren sollen, sind Mohammed Amin al-Husseini, der als Mufti von Jerusalem mit den Nazis kollabierte, oder »Jihadi John«, ein britischer Staatsbürger, der sich dem IS anschloss. Memes dienen also der Unterhaltung, aber entscheidend ist, dass dadurch Online-Communitys um gemeinsame Ideale und Ideen herum geschaffen werden.

Welche Plattformen sind dabei besonders wichtig?
Instagram, Discord, Telegram, manchmal auch Facebook. Das unterscheidet sich auch nach Sprachen, auf Facebook gibt es mehr arabische Gruppen, auf den anderen Plattformen gibt es mehr westliche und englischsprachige Gruppen.

Wie gehen die Plattformen mit diesen Inhalten um? Werden sie gemäß den offiziellen Richtlinien blockiert?
Manchmal ja, wenn Grenzen überschritten werden, aber Islamisten sind inzwischen sehr gut darin, Inhalte zu produzieren, die »awful but lawful«, also gerade noch im erlaubten Rahmen sind. Wenn man in einem Video beispielsweise nicht die komplette Hinrichtung einer Geisel zeigt, hat man keine Regel verletzt. Man vermeidet auch, Namen und Logos verbotener ­Organisationen zu zeigen. Es gibt viele so genannte Edit-Videos, also neu zusammengeschnittene Versionen bereits geblockter Terrorpropaganda, die so weit verändert wurden, dass sie nicht mehr von den Algorithmen und Moderatoren der Plattformen erkannt werden. Es wird immer schwerer zu entscheiden, ob ein Inhalt tatsächlich eine Ideologie unterstützt oder ob hier nur Edgelords um Aufmerksamkeit buhlen.

»Während der Machtübernahme der Taliban gab es eine ›One Struggle‹-Kampagne im Internet. Die Taliban wurden von breiten Teilen der rechtsextremen und islamistischen Szene gemeinsam gefeiert.«

In Ihrer Studie sind einige von ­Islamisten gepostete Bildgeschichten zu sehen, in denen ein junger Mensch zuerst über das Internet mit islamistischen Ideen in Berührung kommt und am Ende einen Terroranschlag verübt. Wie real ist dieses Szenario einer Radikalisierung durch das Internet?
Die Zahl der Fälle von Menschen, die sich online radikalisiert haben, nimmt stark zu, es muss jedoch immer noch etwas in der realen Welt dazu beitragen. Aber das Internet kann eine Radikalisierung beschleunigen. Die Algorithmen der Plattformen können dazu führen, dass man immer tiefer in eine Weltsicht hineingezogen wird. Wenn man erst einmal in einer Community gelandet ist, die sich um Hass und ­Aggression dreht, kann das Internet als Beschleuniger wirken.

Häufig gebraucht wird das »Yes Chad«-Meme, bei dem zwei kräftige Männer, die Islam und Rechtsex­tremismus repräsentieren, sich angesichts gemeinsamer Gegner ihres gegenseitigen Respekts versichern und sich zusammentun. Ist das nur eine Phantasie oder gibt es online tatsächlich Interaktion und Kooperation zwischen Islamisten und Rechtsextremisten?
Ja, es gibt gemeinsame Chats, man beobachtet sich und lernt voneinander. Nazis verbreiten viel ideologisches und taktisches Material islamistischer Gruppen, beispielsweise antisemitische Schriften des IS. Das ist keinesfalls eine brüderliche Zusammenarbeit, aber man versucht, einander zu verstehen, und man klaut einander Inhalte und ­Ästhetik.

Der gemeinsame Antisemitismus ist nicht überraschend, aber woher kommt der Rassismus, der in vielen islamistischen Memes zu sehen ist? Woher etwa der Hass auf die Black-Lives-Matter-Bewegung?
Insbesondere Muslime, die aus dem Nahen Osten kommen, wo der Islam »einheimisch« ist, sehen sich als Menschen anderer Weltgegenden überlegen an. Außerdem sehen Islamisten Black Lives Matter als Ausdruck einer progressiven und demokratischen Ideologie an, ähnlich der LGBT-Bewegung. Muslime aus dem Nahen Osten werden als »rein« gesehen, eine offensichtliche Parallele zur nationalsozialistischen Ideologie. Ähnliches sieht man auch bei Islamisten auf dem Balkan, bei denen die Vorstellung einer »weißen Sharia« verbreitet ist, mit der sie sich ethnischen Minderheiten überlegen fühlen – den Slogan »weiße Sharia« verwenden sonst Neonazis, um ihre Vision einer auf rassistischer Unterdrückung basierenden Gesellschaft zu beschreiben. Dasselbe Konzept einer weißen rassischen Überlegenheit wird also von Nazis und Islamisten geteilt und ästhetisch für die eigene Ideologie angepasst.

Ist diese Verbindung von Rechts­extremismus und Islamismus gesellschaftlich relevant?
Es ist trotz teilweise Tausender Mitglieder in einigen Gruppen nach wie vor eine randständige Internet-Subkultur, die allerdings immer wieder Konjunkturen hat, während derer sie breite Aufmerksamkeit erreicht. So ein Moment war beispielsweise die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, als es eine »One Struggle«-Kampagne im Internet gab. Die Taliban wurden für eine kurze Zeit von breiten Teilen der rechtsextremen und islamistischen Szene gemeinsam gefeiert, weil sie den westlichen Imperialismus und die westliche Degeneration bekämpften. Und es gibt auch Beispiele für konkrete Aktivitäten, die aus diesem Ideologiemix entstanden sind. Beispielsweise hat ein Islamist, der in den USA Bombendrohungen gegen Synagogen verbreitete, auch mit rassistischer Gewalt von Rechtsextremisten sympathisiert. Von außen erscheint dieser Ideologiemix weird, also seltsam und verstörend, aber das ist die Währung des Internets. Das Internet lebt von Mashups und Remixen, im Mainstream wie in Subkulturen.

Reden wir von einer rein männlichen Subkultur oder gibt es auch aktive Frauen?
Frauen haben wir kaum beobachtet. Die Szene ist extrem misogyn, Frauen sollen keine Rolle im öffentlichen ­Leben spielen.

 

Moustafa Ayad ist beim unabhängigen Think Tank Institute für Strategic Dialogue (ISD), der über Extremismus, Islamismus, Desinformation und Propaganda im Internet forscht, geschäftsführender Direktor für den Bereich Afrika, Naher Osten und Asien (AMEA) und hat zahlreiche Studien über die Online-Aktivitäten von Islamisten und Terrorgruppen verfasst. Als Teil eines Forschungsprojekts über »Gen-Z & The Digital Salafi Ecosystem« erschien 2021 seine Studie »Islamogram: Salafism and Alt-Right Online Subcultures«.