Ressentiment für den gehobenen Geschmack
Nehmen die -ismen mal wieder überhand, weiß jeder, was die Stunde geschlagen hat: Die Pädagogen müssen ran. Jeder neue Wahlerfolg der AfD bedeutet auch einen neuen Fördertopf für die politische Bildung, um für Aufklärung unter den Unbedarften zu sorgen. Aber ein solcher Begriff von »Vorurteil« entspringt selber einem Vorurteil. Dass Bildung als Bollwerk gegen die Barbarei diene, wird von jeder historischen Erfahrung widerlegt: Die Weltgeschichte, bemerkte Wolfgang Pohrt einmal, wurde schließlich nicht von Hilfsschülern geschrieben.
Das Ressentiment ist nicht das Produkt von zu wenig Grübelei, sondern bedarf, ganz im Gegenteil, der ausgefeiltesten Begründungen, wer warum zu knechten und zu hassen sei. Ob es um den Wahn von der Minderwertigkeit »fremder Rassen«, der »jüdischen Weltverschwörung« oder dem »angeborenen Schwachsinn des Weibes« geht – stets handelt es sich um herabgesunkenes Kulturgut, das seinen Ausgang von den sogenannten geistigen Eliten nahm.
Akademischer Betrieb wichtigster Stichwortgeber für den Antizionismus
Dass in Sachen Antizionismus der akademische Betrieb der wichtigste Stichwortgeber ist, sollte daher eigentlich niemanden verwundern. Ganz im Gegenteil: Kein Ressentiment bedarf größerer geistiger Verrenkungen als der Hass auf Israel. Plausibel zu machen, warum ausgerechnet ein Regionalkonflikt in Tausenden Kilometern Entfernung, mit im Weltmaßstab vergleichsweise bescheidenen Opferzahlen, das Gemüt derart in Wallung versetzen sollte, gelingt nur geschulten Intellektuellen.
Schon für ägyptische Fellachen, libanesische Ärzte, selbst palästinensische Tagelöhner gilt ja, dass sie, nüchtern betrachtet, weit drängendere Probleme in ihrem Leben vorfinden als ausgerechnet die Existenz eines jüdischen Staats; um wie viel mehr stimmt dies für europäische Klimaschützerinnen oder US-amerikanische Organisatoren von Black Lives Matter! Wer sich statt an den Schandtaten von Lehrern, Nachbarn oder Sachbearbeitern an denen der Regierung Netanyahu festbeißt, demonstriert nicht spontane Empörung, sondern ein gut geöltes Abstraktionsvermögen; und wer sich von einem Massaker wie dem vom 7. Oktober nicht aus der antizionistischen Bahn werfen lässt, muss sich beim Rationalisieren schon als echter Profi erweisen.
Man nehme etwa, als aktuelles Beispiel, die Sandinisten: Diese haben für das Bündnis mit der Katholischen Kirche, das die Regierungspfründe sichert, noch jede revolutionäre Forderung drangegeben, lassen Frauen lieber verbluten, als ihnen die Abtreibung zu erlauben – aber indem sie Deutschland als Unterstützer Israels vor dem Internationalen Gerichtshof anklagen, signalisieren sie der Bewegung, dass sie weiterhin mit vollem Elan dabei sind.
Dass die Universitäten der Gegenaufklärung ideologische Zulieferdienste leisten, ist eben alles andere als neu. Kaum irgendwo waren die Nazis vor 1933 erfolgreicher in der Rekrutierung als unter der Studentenschaft. War es damals kruder Antisemitismus, der vielen Studenten zusagte, ist es heute ausgerechnet der Antizionismus, auf dessen Produktion man sich spezialisiert hat. Das verweist auf die soziologischen Wandlungen, welche die Akademie durchlaufen hat. Die Modernisierung des Antisemitismus zur Hatz auf Israel, den »Juden unter den Staaten« (Léon Poliakov), ist ja der eine genuin linke Beitrag zum allgemeinen Verblendungszusammenhang – und zugleich das eine, was die Linken sich bei ihrem langen Marsch durch die Institutionen nicht haben abmarkten lassen.
Man nehme etwa, als aktuelles Beispiel, die Sandinisten: Diese haben für das Bündnis mit der Katholischen Kirche, das die Regierungspfründe sichert, noch jede revolutionäre Forderung drangegeben, lassen Frauen lieber verbluten, als ihnen die Abtreibung zu erlauben – aber indem sie Deutschland als Unterstützer Israels vor dem Internationalen Gerichtshof anklagen, signalisieren sie der Bewegung, dass sie weiterhin mit vollem Elan dabei sind. Der Antizionismus ist das Ticket, dessen Gegenzeichnung, egal was man sonst so veranstaltet, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der edlen Seelen garantiert. Genau deshalb gedeiht er nirgends besser als im akademischen und im Kulturbetrieb.
Verlagerung politischer Konflikte aufs Feld der Repräsentation
Mit dem Zerbröckeln der Institutionen der Arbeiterbewegung – Gewerkschaften, Parteien, Kulturverbände – hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr die Universität in einer bestimmten Hinsicht deren Rolle übernommen. Der Ort, an dem man mit linken Ideen in Berührung kommt, an dem agitiert, rekrutiert und ein kollektives Gedächtnis bewahrt wird, ist nicht mehr der Betrieb, sondern das Studium. Die Studenten, die sich 1968 die Uni als ihren Stützpunkt zu eigen machten, waren freilich nur die Vorreiter einer allgemeineren Tendenz: Heutzutage entscheidet darüber, wo einer politisch steht, weniger die Klassenzugehörigkeit als vielmehr der Bildungsgrad.
Seinen Ausdruck findet das nicht zuletzt in der Verlagerung politischer Konflikte aufs Feld der Repräsentation, von Sprache und Symbolik – Felder also, auf denen der intellektuell Geschulte sich rundum heimisch fühlen kann (was die Rechten, die doch einstmals als Wahrer der Kultur sich gerieren durften, wiederum zur Weißglut treibt). »Linkssein« wird unter diesen Bedingungen aus einer Frage des materiellen Interesses zu einer des Habitus: zur moralischen Selbstvergewisserung, dass man nicht bloß zu den Privilegierten gehört, sondern zugleich, oder vielmehr gerade deswegen, zu den Guten.
Auszuhalten ist diese Welt selbst für die Sieger im akademischen Wettbewerb nur, wenn beständig und verbissen Sinn produziert wird: wenn man sich einreden kann, das, womit man sich so durchwurstelt, diene zugleich einem höheren Zweck, der »Diversität« und der »Inklusion«, dem Frieden und der Völkerverständigung. Niemand ist dafür anfälliger als die Kopfarbeiter, und niemand darum auch einfacher aufzustacheln zur Fronde gegen jene, welche die edlen Zwecke in Frage stellen.
Genau das tut Israel, ob es will oder nicht. Gerade weil es durch seine bloße Existenz den Hass der Feinde der Menschheit auf sich zieht, gemahnt es daran, dass nicht jeder Konflikt sich schon verflüchtigen würde, wenn nur alle so sensibel und aufgeklärt wären wie der Bildungsbürger; dass es Feindschaften gibt, gegen die nicht die Feder hilft, sondern nur das Schwert; dass man dem Strom der Geschichte zu widerstehen hat, wenn man nicht in dessen destruktiven Sog geraten will. Exakt das also, was zu verleugnen die Gesellschaft sich ihre Bildungseinrichtungen hält.