Auf EU-Ebene bahn sich ein Pakt von Konservativen und Rechtsextremen an

Postfaschistischer Schwesternkuss

In ganz Europa droht ein Bündnis zwischen Konservativen und Rechtsextremen. Für diese politische Allianz steht symbolhaft das Bild von Ursula von der Leyen mit Giorgia Meloni.

In Italien ist in bemerkenswerter Klarheit zu sehen, wie sich eine rechte Regierung mit für das Land ungewöhnlich stabiler Zustimmung etablieren kann, wenn sich aus drei konkurrierenden rechten Parteien ein Bündnis entwickelt, das sehr unterschiedliche Milieus, Stile und Mythen miteinander verbindet: eine anarchokapitalistische Partei der Glamour-Verbindung von Medien und Mafia (Forza Italia); eine dumpfmuffige Vereinigung der Ressentimentgeladenen, die sich nach regionalistischen und separatistischen Anfängen einen klassisch-vulgären Populisten an die Spitze setzt (Lega); und eine rechtsextreme Gruppierung, die sich aus faschistischer Nostalgie, Neuer Rechter und terroristischem Untergrund zu einer »postfaschistischen« Partei vermengt – und innerhalb weniger Jahre von einer politischen Randerscheinung zur stärksten Partei wird (Fratelli d’Italia).

Innerhalb dieses Bündnisses, das sich ironischerweise noch als centro-destra (Mitte-rechts) bezeichnen lässt, verschieben sich die Verhältnisse immer mal wieder, die Führungsrolle der Fratelli d’Italia bleibt aber stabil. Die Partei stellt mit Giorgia Meloni eine Führerin, die sich auf der internationalen Bühne halbwegs zu benehmen weiß. »Kreide fressen« nennt man das gern, es ist aber vielleicht ein bisschen komplizierter als bloße Verstellung und Maskerade.

In den Niederlanden lassen sich »konservativ-liberale« Politiker und sogar (ehemalige) »Sozialdemokraten« in eine Regierung der Rechtsextremen einbinden.

In den Niederlanden lassen sich »konservativ-liberale« Politiker und sogar (ehemalige) »Sozialdemokraten« in eine Regierung der Rechtsextremen einbinden. Schon wegen der unterschiedlichen Verteilung der Macht in einer Präsidialdemokratie bietet der Rassemblement national in Frankreich ein anderes Bild: Hier sollen – wie in der deutschen AfD vor dem Übergang in eine offen neofaschistische Partei unter Björn Höcke und seinem in der Partei selbst aufgelösten »Flügel« – die verschiedenen rechten Milieus zusammengefasst werden, wozu ein moderateres Auftreten in der Öffentlichkeit notwendig und nützlich scheint.

Allen drei Modellen – dem italienischen, dem niederländischen und dem französischen – ist gemeinsam, dass es darum geht, zugleich verschiedene Milieus der Rechten zu bedienen und zu organisieren und dabei in beide Richtungen offen zu bleiben, nämlich zu einer sich noch als bürgerlich verstehenden Rechten auf der einen Seite und zu der gewaltbereiten Szene der »nationalen Revolutionäre«, den »Identitären« und dem faschistischen jugendlichen Untergrund auf der anderen. Diese Taktik erfordert den Doppelsprech – auf Provokation folgt Zurückrudern; auch die Kunst, durch Schweigen zu sprechen und durch Sprechen zu schweigen, gehört zu diesem Repertoire.

Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und FDP mit offen Rechtsextremen

Der Zusammenschluss unterschiedlicher rechter Milieus, Szenen und Organisationen sowie die Schwäche der demokratischen Gegenspieler wären für sich genommen vielleicht noch nicht hinreichend für eine rechtsextreme Machtübernahme. Was dazukommen muss, ist eine klammheimliche oder doch nicht mehr ganz verborgene Sympathie der »konservativen« Mitte, aus dem Milieu jener, die es gerne hören, wenn man sie die »Normalen«; die »Vernünftigen«, die »Anständigen« und dann auch »die Mehrheit« nennt. Auf der Ebene der öffentlichen Politik bedeutet das: Es gibt, »Brandmauer« hin oder her, immer wieder eine partielle Zusammenarbeit zwischen Parteien wie CDU/CSU oder FDP mit offen Rechtsextremen und vor allem der AfD hierzulande.

In drei Bereichen stimmen Konservative und Rechtsextreme überein. Erstens im »Kulturkampf« gegen das »Gendern«, für die Abwehr von »Frühsexualisierung« durch Trans-Personen im Kindergarten; es geht gegen Bilder und Bücher, die den Anstand verletzen, gegen LGBT. Zweitens ein sie der erboste Kampf gegen »grüne Ideologie«, gegen »vegane Verbotsparteien« und überhaupt gegen ökologisches Bremsen bei Wachstum und Freizeit. Und drittens schließlich kommt das Thema Migration. Ausgerechnet da, wo es um bedenkenloses Opfern von Menschenleben auf der einen und das Konzept der Menschlichkeit auf der anderen Seite geht, versuchen Rechtsextreme und Konservative, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Wäre in einer Seifenoper über das vergangene Jahrhundert die Rolle einer Gutsherrin zu vergeben, Ursula von der Leyen wäre die Idealbesetzung. 

Aber nicht nur auf diesen Gebieten, die man als »Körperpolitik«, »Umweltpolitik« und »Identitätspolitik« fassen kann und in denen Vernunft und Moral so gern hinter krassen Bildern und starken Worten verschwinden, wird eine Zwischenzone für Menschen geschaffen, die vielleicht noch nicht rechtsextrem sind, im Zweifel aber rechts. Ursula von der Leyen, einst deutsche Ministerin und derzeit EU-Kommissionspräsidentin, in den Medien gleichermaßen für »Green Deal« und »Pfizergate« bekannt, ist in der jüngeren Vergangenheit vielleicht noch mehr als geplant zur Symbolfigur für diese Unentschiedenheit geworden. Das hat nicht nur mit ihrer Politik zu tun, sondern auch mit ihrem Auftreten.

»Europapolitik nach Gutsherren-Art« nannte es der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler. Wäre in einer Seifenoper über das vergangene Jahrhundert die Rolle einer Gutsherrin zu vergeben, Ursula von der Leyen wäre die Idealbesetzung. Während ihrer Amtszeit hat sich die EU in so ziemlich allen Belangen nach rechts bewegt. Aber für die Zukunft mindestens genauso bedeutend ist, dass sie die Grenzen zwischen den Rechtsextremen und Konservativen durchlässiger machte und die Beziehungen zwischen diesen Lagern enger wurden.

Beabsichtigt oder nicht, jedenfalls wurde das Bild der offenkundig ausgesprochen herzlichen Beziehung zwischen Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni zum Symbol für die Öffnung der beiden Lager zueinander. Man mochte sarkastisch sagen: Da haben sich die zwei Richtigen gefunden. Oder sich etwas freundlicher fragen: Warum sollte es in einer Welt der Männerfreundschaften auch über politische Lager hinweg nicht auch mal eine vergleichbare »Frauenfreundschaft« geben?

Mit Migrationspolitik Basis des liberalen Humanismus verlassen

Trotzdem ist die Verbindung für beide Seiten auch nicht ganz einfach zu integrieren. Dass von der Leyen durch ihre Migrationspolitik im Grunde schon die Basis des liberalen Humanismus verlassen hatte, ist das eine; für Melonis Anhänger freilich gilt das Versprechen, man gehe nur »nach Europa«, um es fundamental zu verändern. Ein Übermaß an Freundlichkeit gegenüber den Vertretern des Status quo könnte da als Anbiedern verstanden werden. Jeder Pakt zwischen Konservativen und Rechtsextremen spielt damit, dass man Gefolgschaft an den Rändern verliert; die Konservativen ein paar Bürgerliche, die Rechtsextremen ein paar Hardcore-Faschisten.

Doch er ist in der Welt, der patto della piadina, der Piadina-Pakt, so benannt nach dem Schinken-in-Teigrollen-Stück, für das von der Leyen einmal schwärmte, vielleicht aber auch nach der cleveren Form einer »Ummantelung« verborgener Inhalte. Diese kann sich für beide Politikerinnen als kluger Schachzug erweisen oder als beherzter Schritt in eine Falle, so dass eine der beiden Damen zu Fall gebracht würde damit die andere Seite den Sieg davonträgt.

Dabei geht es nicht nur um zwei Frauen, die so gut miteinander können, dass sie das Doppelgesicht der weiter nach rechts driftenden EU sind. Es geht um die Vorherrschaft in beiden Lagern. Der patto della piadina entspricht dem, was Marine Le Pen in Frankreich für ihre Partei als dédiabolisation, als Entdämonisierung der extremen Rechten bezeichnet. Die Konservativen in der EU müssen sich entscheiden, ob sie über Distanzierungsfloskeln hinausgehen und so im Zweifelsfall in einem historischen Kom­pro­miss auch mit Grünen und Linken zur Verteidigung der Demokratie bereit sind, oder aber ob sie eher mit Postfaschisten, Rechtsextremen und Autokraten gegen die »Volksfeinde« von grünlinksqueer zusammenstehen.

Schmuddelpolitiker wie die von der AfD erschweren den Piadina-Pakt

Das gilt nicht nur für die Vertreter der entsprechenden Parteien, sondern für die Politik in den europäischen Ländern allgemein. Daher wird das ikonische Bild von Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni vielleicht dereinst zum Sinnbild. Im Sinne einer tieferen, ästhetisch-mythischen Repräsentation sagt das Bild: Die zwei Formen, der bürgerliche Konservatismus und der modernisierte Faschismus, sind einander viel ähnlicher, als man dachte; sie verhalten sich wie zwei Schwestern zueinander, deren Verwandtschaft sich bis in die Kleider- und Farbenwahl niederschlägt – oder, um es mit dem Wort einer Kollegin zu sagen: Zwischen die passt kein Blatt.

Auch in der extremen Rechten geht es derzeit um Führung und Richtung. Dass Marine Le Pen die Zusammenarbeit mit der AfD aufgekündigt hat nach dem berüchtigten Interview der italienische Tageszeitung La Repubblica vom 18. Mai mit Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, hat wenig mit historischer Nachdenklichkeit zu tun. Zum einen kommt in Ländern, die einst unter deutscher Besatzung litten, eine Relativierung der SS wohl auch bei den Rechtsextremen nicht immer gut an – auch der Duce-Nostalgie-Flügel in Melonis Partei Fratelli d’Italia argumentiert schließlich immer damit, der Mussolini-Faschismus sei mit dem viel schlimmeren Hitler-Faschismus nicht zu vergleichen. Zum anderen aber erschweren Schmuddelpolitiker wie die von der AfD den Piadina-Pakt.

Für den Augenblick sieht es so aus, als sei das Bündnis von Konservativen und »eingewickelten« Rechtsextremen die Zukunft Europas und als könne sich dieser Pakt einer so breiten Zustimmung in der Bevölkerung erfreuen, dass die einzelnen Regierungen daheim in aller Ruhe den Abbau der Demokratie, den prinzipiellen Kulturkampf und den Ausbau der eigenen Macht bis in die Tiefen der Zivilgesellschaft hinein fortsetzen könnten.

Taktik, Terror und die rechte Janusköpfigkeit

Um sich an diesem Spiel, zumindest auf EU-Ebene, beteiligen zu können, müsste die AfD sich wohl eine »Entdämonisierungsstrategie« ausdenken (einschließlich vielleicht einer Namensänderung, wie es der RN und die Fratelli vorgemacht haben, um »Altlasten« zu entsorgen) und eine charismatische Figur an die Spitze bringen, bei deren Auftreten sich die »kultivierteren« Rechten nicht gleich mit Grausen abwenden. Danach sieht es gerade aber eher nicht aus. Zu groß ist wohl noch der Genuss der berauschten Zustimmung beim Spiel mit dem Nazi-Jargon, zu narzisstisch das Personal. Die vereinte europäische Rechte kann die AfD so nicht brauchen.

Doch dieser Störfaktor ist wirkmächtig. In Deutschland haben schließlich die Anhänger und Wählerinnen den wachsenden Extremismus, das rüpelhafte Auftreten und das Fischen nach Zustimmung bei alten und neuen Nazis bislang immer honoriert. Das Kreidefressen betrachtete man bisher als juristischen, nicht als politischen Zug. Sich nicht weiter zu extremisieren, birgt die Gefahr einer Spaltung. Denn so, wie sich die Konservativen gerade spalten müssen in den Teil, der der Demokratie die Treue hält, und den Teil, der einer geheimen Sehnsucht nach Autokratie folgt, so müssen sich auch die Rechtsextremen immer wieder spalten in die, die ein mehr oder weniger postfaschistisches Regime in der Postdemokratie verwirklichen wollen, und jene, die den traditionellen Totalitarismus auch in den äußeren Formen ihrer Herrschaft verlangen.

Taktik oder Terror. Geht jemand wie Le Pen zu sehr in die »Mitte«, dann wächst die Gefahr, dass ihr rechts eine Konkurrenz wie die Partei Reconquête von Éric Zemmour erwächst; extremisiert sie sich aber in solchem Maße wie die deutsche AfD, setzt man die offene Unterstützung und Allianzbereitschaft der von der Leyens aufs Spiel. Der Trick besteht nun also darin, die verschiedenen Gesichter der Rechten (darunter auch die eine oder andere Fratze) zur Doppelgesichtigkeit des römischen Gottes Janus zu vereinen, der zwar nur einen Rumpf und Kopf hatte, aber zwei Gesichter, eines vorne, eines hinten.

Die Rechtsextremen müssen den Konservativen versichern, dass man es nicht zu weit treiben werde. Damit gewährt man ihnen den Freiraum für den Selbstbetrug.

Man muss den Konservativen also versichern, dass man es nicht zu weit treiben werde. Damit gewährt man ihnen den Freiraum für den Selbstbetrug. Für die Mahnung, dass die Allianz zwischen Bürgerlich-Konservativen und Faschisten schon einmal in die Katastrophe geführt hat, hat ein Großteil der europäischen Konservativen in den Parteien, in den Medien und in den Bürgerwohnungen schon kein Ohr mehr.

Das, was sich als Drama und Farce in den Sphären der professionellen Politik abspielt, ist immer auch Abbild dessen, was in der Gesellschaft geschieht. Eine rechtsextreme bis neofaschistische Partei allein hat derzeit wohl noch nirgends eine Mehrheit hinter sich, wohl aber das Angebot einer »aufgefächerten« Rechten in verschiedenen Abstufungen des Bruchs mit Demokratie und Menschenrecht. So werden nicht nur die unterschiedlichsten rechten Milieus angezogen, auch die Brücke zwischen Rechtsextremen und Konservativen wird passierbar.

Eike Schmidt, der sich für die Postfaschisten zum Bürgermeister von Florenz wählen lassen will, meinte in einem Interview, die Deutschen hätten wohl nicht begriffen, dass man unter dem Dach der Rechtsextremen auch ganz viel Bürgerliches finden könne. Doch nirgendwo kommen Faschisten ohne ihre bürgerlichen Steigbügelhalter an die Macht, und die Frage, wie viel Bürgerliches in den Faschismen Europas steckt, ließe sich auch umkehren: Wie viel Faschismus verbirgt sich in der europäischen Bürgerlichkeit? So wie sie derzeit beschaffen sind, bieten Europas Konservative keine Alternative zu den Rechtsextremen. Sie sind ihre Verbündeten im Kampf gegen die Demokratie. Manche von ihnen wissen es schon, manche noch nicht. Auf dem Weg vom einem zum anderen kann schon mal das Bild eines Schwesternkusses liegen, der so unschuldig ist wie die Katzen, mit denen sich Marine Le Pen so gern fotografieren lässt. Nämlich insofern es etwas zeigt, ohne es zu sagen.